Gut drei Monate muss sich Friedrich Merz noch gedulden, bis er weiß, ob er Olaf Scholz tatsächlich als Bundeskanzler nachfolgen wird. Was aber bereits feststeht: Die Staatskasse wird auch nach der geplanten Neuwahl des Bundestags am 23. Februar nicht voller sein als derzeit, weshalb der Kanzlerkandidat der Union am Mittwoch eine erste überraschende Kurskorrektur von CDU und CSU andeutete. Beim Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung in Berlin zeigte sich Merz grundsätzlich offen dafür, die Schuldenbremse des Grundgesetzes zu reformieren. Das hatte er bisher stets abgelehnt.
Die Regel besagt, dass der Bund die Aufnahme zusätzlicher Kredite in wirtschaftlich normalen Zeiten auf 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung beschränken muss. Das entspräche derzeit rein rechnerisch einer Summe von knapp 15 Milliarden Euro im Jahr. Vor allem aus Sicht von SPD und Grünen verhindert die Vorschrift, dass sich der Staat die nötigen Mittel leihen kann, um etwa den klimagerechten Umbau des Landes, die Sanierung der Infrastruktur oder auch die Unterstützung der Ukraine zu bezahlen. Weil die FDP eine grundlegend andere Meinung vertritt, war die Berliner Ampelkoalition in der vergangenen Woche zerbrochen.
Merz machte deutlich, dass er die Schuldenbremse für bedeutsam, aber nicht für sakrosankt hält. Nur einige wenige Vorschriften des Grundgesetzes seien unveränderbar, „über alles andere kann man selbstverständlich reden“, sagte er. Die entscheidende Frage sei aber, wozu die zusätzlichen Kredite verwendet werden sollten. „Ist das Ergebnis, dass wir noch mehr Geld ausgeben für Konsum und Sozialpolitik? Dann ist die Antwort nein“, betonte der CDU-Chef. „Ist es wichtig für Investitionen, ist es wichtig für Fortschritt, ist es wichtig für die Lebensgrundlage unserer Kinder, dann kann die Antwort eine andere sein.“
Lindner bekennt sich erneut zur Schuldenbremse
Letztlich sei die Schuldenbremse nicht mehr als ein finanzpolitisches Instrument, so Merz weiter. Die eigentliche Debatte müsse sich darum drehen, wie man Menschen, die sich wirtschaftlich abgehängt fühlten, davon überzeugen könne, ihr Heil nicht bei Populisten und Verschwörungsideologen zu suchen. Der bisherige Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, dessen Partei nach der Neuwahl im Februar gerne mit der Union koalieren würde, erneuerte dagegen sein Bekenntnis zur Schuldenbremse.
In der ersten Bundestagsdebatte nach dem Ampel-Aus, die mehr Wahlkampfauftakt als Diskussion war, bekannte sich Scholz zum Rauswurf Lindners, betonte aber zugleich, seine Minderheitsregierung bleibe handlungsfähig. Er forderte Union und FDP auf, bei Entscheidungen, die keinen Aufschub duldeten, mit Rot-Grün zusammenzuarbeiten. Wesentliche Punkte seien etwa Steuererleichterungen für die breite Masse, die Anhebung des Kindergelds, die Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor extremistischen Parteien.
Selbstzweifel oder Selbstkritik nach dem Scheitern der Koalition äußerte Scholz nicht. In seiner knapp halbstündigen kämpferischen Rede zeichnete er vielmehr das Bild eines besonnenen Regierungschefs, der das Land zusammenhalte und Abenteuer etwa mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine vermeide. „Die Zeiten, in denen wir leben, sind verdammt rau“, sagte er. Was er nicht zulassen werde, seien „Verteilungskämpfe jeder gegen jeden“ und ein „Entweder-oder“, wenn es um die dringendsten Staatsausgaben gehe. Dies sei ein Konjunkturprogramm für Populisten.
Habeck verpasst die erste Debatte als designierter Kanzlerkandidat
Merz hingegen warf Scholz vor, versagt zu haben. „Sie spalten das Land, Herr Bundeskanzler“, sagte er. Die Rede des Kanzlers sei eine „Geisterstunde“ und „nicht von dieser Welt“ gewesen. Deutschland brauche einen Neustart etwa in der Wirtschafts-, der Sicherheits-, der Migrations- und der Europapolitik, betonte er. Lindner bezeichnete seine Entlassung als „Befreiung“ und attestierte dem Kanzler Realitätsverweigerung. „Die Regierung Scholz ist auch daran gescheitert, dass wir im Kabinett nicht mehr über dasselbe Land gesprochen haben“, sagte er.
Rückendeckung erhielt Scholz von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die die Kompromissbereitschaft innerhalb der Ampelkoalition lobte und für mehr Gemeinsinn der demokratischen Parteien auch in der Zukunft warb. Baerbock vertrat Wirtschaftsminister Robert Habeck, der es wegen einer technischen Panne an einem Regierungsflugzeug nicht rechtzeitig zurück nach Berlin geschafft hatte und den ersten großen Auftritt im Bundestag als designierter Grünen-Kanzlerkandidat deshalb verpasste.