Wirtschaftspolitik:Furcht vor dem Handelskrieg

News Bilder des Tages Wang Yi, Aussenminister der Volksrepublik China, aufgenommen im Rahmen einer Pressekonferenz in de

"Die Verhandlungen haben die letzte Phase erreicht", bestätigte ein Sprecher von Wang Yi, dem Außenminister der Volksrepublik China, am Freitag.

(Foto: Janine Schmitz/imago)

Ein Investitionsschutzabkommen zwischen EU und China rückt näher. Deutschland hat die Verhandlungen vorangetrieben - und will bei Arbeitnehmerrechten "eine gute Abwägung" vornehmen.

Von Lea Deuber, Björn Finke, Christoph Giesen und Matthias Kolb, Brüssel/Peking

Sieben Jahre wurde verhandelt, sieben Jahre gab es kaum Bewegung. Nun aber stehen die EU und China offenbar kurz vor einem Durchbruch in den Gesprächen über ein Investitionsschutzabkommen. Das soll Europas Firmen die Geschäfte in China erleichtern und fairere Wettbewerbsbedingungen schaffen. "Die Verhandlungen haben die letzte Phase erreicht", bestätigte ein Sprecher des chinesischen Außenamts am Freitag in Peking. Und eine Kommissionssprecherin sagte, die EU halte am Ziel fest, die Gespräche bis Jahresende abzuschließen - "sofern wir einen Deal haben, der sich lohnt". Es gebe "weiterhin einige wichtige offene Punkte".

Verhandelt worden war in den vergangenen Wochen per Videokonferenz. Nachdem die zuständigen EU-Beamten lange über "Millimeterfortschritte" und wenig Bewegung aus Peking geklagt hatten, haben sich zuletzt der Ton und die Argumentation geändert: Auf einmal bot Peking deutlich besseren Marktzugang für EU-Firmen an - wie lange vergeblich gefordert von EU-Seite. Aus der Brüsseler Generaldirektion Handel heißt es nun, das "kurze Zeitfenster" müsse man nutzen.

Nichts weniger als das außenpolitische Vermächtnis der Angela Merkel sollte es werden

Angetrieben wurden die Verhandlungen vor allem aus Berlin. Seit Juli hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne, und es war das erklärte Ziel der Bundesregierung, das Investitionsabkommen abzuschließen. Nichts weniger als das außenpolitische Vermächtnis der Angela Merkel sollte es werden. Entsprechend üppig war bereits eine Zeremonie im September in Leipzig angedacht, ein EU-China-Gipfel mit Präsident Xi Jinping, auf dem das Abkommen präsentiert werden sollte. Doch dann kam Corona, und schließlich verpasste die chinesische Führung der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong ein Sicherheitsgesetz, das mit Rechtsstaatlichkeit nicht in Einklang zu bringen ist.

Trotzdem wurde weiterverhandelt. Das Kalkül der Europäer: Wenn man China einen Vertrag abtrotzen kann, der Unternehmen besseren Marktzugang in der Volksrepublik garantiert, dann jetzt. Denn China befindet sich in einem desaströsen Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten, Hunderte Milliarden Dollar an Strafzöllen wurden in den vergangenen zweieinhalb Jahren verhängt. Die größte Furcht Pekings ist eine Art ökonomischer Zweifrontenkrieg: in dem Fall, dass die Europäer sich den USA anschließen sollten. Mit dem unberechenbaren US-Präsidenten Donald Trump war das in Paris, Berlin oder Brüssel keine Option. Mit Joe Biden könnte das hingegen anders aussehen.

Pekings Charmeoffensive traf manche in Brüssel unerwartet

Pekings Charmeoffensive in den Verhandlungen traf manche in Brüssel unerwartet. So sagt Bernd Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament, ihn habe das verbesserte Angebot überrascht. "Offenbar will Peking einen Abschluss, um zu verhindern, dass der neue US-Präsident Biden mit der EU eine Allianz gegen China schmieden kann", vermutet der SPD-Politiker. "China bietet nun einfacheren Marktzugang für EU-Firmen an. Vorschriften, dass die Firmen einen chinesischen Joint-Venture-Partner brauchen, würden wegfallen oder auch Investitionsverbote in bestimmten Branchen. Das löst nicht alle Probleme, aber es ist eine Verbesserung."

Jörg Wuttke, der Chef der Europäischen Handelskammer in Peking, sagt, man müsse auf die Details des Abkommens warten, "aber ich kann nur annehmen, dass es robust sein wird und viele Punkte anspricht, die die EU-Kammer in den vergangenen Jahren vorgebracht hat". Für die europäischen Unternehmen sei das Investitionsabkommen "von sehr großer Bedeutung".

Eine verbleibende Hürde sind die Vorgaben zu Arbeitnehmerrechten in dem Vertrag: "China müsste sich zum Beispiel verpflichten, unabhängige Gewerkschaften zuzulassen, und Zwangsarbeit bannen", sagt der Europaabgeordnete Lange. Am Freitagmorgen befassten sich auch die EU-Botschafter mit dem Thema. Ein Diplomat sagte hinterher, viele Wortmeldungen hätten die Bedeutung von guten Verhandlungsergebnissen in den Bereichen Energie und Arbeitnehmerrechte unterstrichen, doch gebe es generell "sehr breite Unterstützung" für das Abkommen.

Jede Einigung müsste vom EU-Parlament bestätigt werden

Den Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer besorgt allerdings, dass die Bundesregierung versuche, in einem "einzigartigen Powerplay alles über den Haufen zu rennen", um das Abkommen zu schließen. Der Chef der China-Delegation des EU-Parlaments hält diese "Torschlusspanik" weniger für "handelspolitisch relevant als geopolitisch bedeutsam", sagt er. Dies könnte die Botschaft senden, dass Europa die angekündigte Partnerschaft mit der neuen US-Regierung gegenüber China nicht vorrangig behandle.

Jede Einigung müsste aber vom EU-Parlament bestätigt werden, und Bütikofer hält es für unmöglich, dass dort ein Abkommen eine Mehrheit findet, das Zwangsarbeit nicht explizit bannt. Erst in dieser Woche haben die Abgeordneten mit 89 Prozent Zustimmung eine Resolution zur Zwangsarbeit und der Lage der Uiguren in der nordwestchinesischen Region Xinjiang beschlossen und gefordert, Sanktionen gegen die für diese Menschenrechtsverletzungen verantwortlichen Personen zu beschließen. In Xinjiang sind nach Schätzungen mehr als eine Million Uiguren in Internierungslagern.

Bundeskanzlerin Merkel erklärte zum Thema Investitionsabkommen und Arbeitnehmerrechte am Mittwoch im Bundestag, sie nehme die entsprechenden Normen der Internationalen Arbeitsorganisation "sehr ernst" und werde "eine gute Abwägung" vornehmen. Ein EU-Diplomat formulierte die Wahrnehmung vieler Partner dagegen so: "Den Deutschen ist ja vor allem wichtig, dass sie ihre Autos ungestört produzieren und verkaufen können - sei es in China oder in Ungarn."

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