Wirtschaftspolitik:Das Feldlager

Gelände zum Neubau eines Logistikzentrums der Dietz AG in Neu-Eichenberg im Bundesland Hessen, Deutschland

Äcker zu Lagerhallen: Wo am Rand des hessischen Hebenshausen brache Felder liegen, sollen bald Hunderte LKWs vom Hof rollen

(Foto: Ullstein Bild/Euroluftbild.de)

Der ewige Konflikt: Jobs schaffen oder lieber die Landschaft bewahren? Was ein riesiges Logistikzentrum neben einem Dorf in Nordhessen bewirken würde.

Von Susanne Höll, Neu-Eichenberg

Hebenshausen ist ein kleiner, auf den ersten Blick beschaulich wirkender Ort in Nordhessen, im Dreiländereck zu Niedersachsen und Thüringen. Ein altes Straßendorf, knapp 500 Einwohner, einige alte Fachwerkhäuser, manche renoviert, andere nicht. Am Ortsrand liegt ein Neubaugebiet, geschätzt von Familien. Viel Grün, Hügel, Felder und Wiesen. Idyllisch? Nun ja. In Hebenshausen und Umgebung herrscht dicke Luft.

Die Gemeinde Neu-Eichenberg, zu der das Örtchen zählt, möchte auf einem gut 70 Hektar großen Acker direkt am Ortsrand ein Logistikzentrum bauen lassen. Seit der Jahrtausendwende wurde an dem Plan gebastelt, in einem Bürgerentscheid 2004 stimmten die Einheimischen klar für eine solche Anlage. Davon versprechen sie sich, ebenso wie die Politiker von SPD und CDU, mehr Jobs, mehr Wohlstand in der zweifellos malerischen, aber eben auch strukturschwachen Region.

Mehr als ein Jahrzehnt lang passierte dann nichts. Die einen fürchteten, die anderen hofften, das Projekt sei gestorben. Aber so ist es nicht. Inzwischen hat ein südhessisches Unternehmen das Areal vom Land Hessen unter Vorbehalt gekauft. Wenn alles glatt geht, könnten die Bauarbeiten schon in der ersten Hälfte 2019 beginnen.

Große Lagerhallen, hunderte Laster, die Tag für Tag auf das Gelände rollen, nächtliche Beleuchtung - mit dem aus Großstädteraugen vergleichsweise beschaulichen Leben wäre es dann wohl vorbei. Genau das fürchtet auch Anja Banzhaf. Die 33 Jahre alte Geografin ist Ackerschützerin und Autorin eines Buches über Saatgut und Agrarindustrie. Sie wohnt seit dem Jahreswechsel im Ort, zusammen mit Freunden, die in nachhaltiger Wirtschaft Gemüse anbauen und es in der Region an eingetragene Kunden verkaufen. Solidarische Landwirtschaft nennt man das. Von ihrem alten Fachwerkhof sind es nur ein paar Steinwürfe bis zu dem fraglichen Feld. "Das ist es", sagt die zierliche Frau und zeigt auf die riesengroße Fläche, auf der verbrannte Getreidestoppeln stehen. Bis vor Jahresfrist wurde der Boden noch von einem Bauern bewirtschaftet. Jetzt liegt er brach, am Rand ein grüner Fleck, auf dem noch Zuckerrüben wachsen.

Banzhaf versteht die Welt nicht mehr. Warum, um Himmels Willen, soll hier gutes Ackerland versiegelt werden, in einer Region, die sich, zumindest im Prinzip, der Öko-Wirtschaft verpflichtet sieht? Sie hat sich der Bürgerinitiative angeschlossen, die den Logistikpark noch in letzter Minute verhindern will. "Für ein lebenswertes Neu-Eichenberg", nennt sich die Gruppe, etliche Zugezogene, aber auch Alteingesessene haben sich angeschlossen. Plakate, Transparente, selbstbemalte Betttücher gegen das Logistikzentrum hängen nicht nur in Hebenshausen an Hauswänden und Gartenzäunen, sondern auch in anderen Ortsteilen Neu-Eichenbergs. Die Initiative protestiert, mischt Bürgerversammlungen auf. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Alsbald wird das Einverständnis der schwarz-grünen Landesregierung zum Verkauf erwartet, Beratungen über einen geänderten Bebauungsplan stehen im Spätherbst an. "Wir arbeiten unter erheblichem Zeitdruck", sagt Banzhaf.

Der Bürgermeister ist neu und sagt: "Ich mache mir natürlich auch Gedanken."

Keine ideale Situation, um grundsätzliche und bedeutende Fragen zu klären. Wie wollen wir in Zukunft leben? Sind uns Jobs und die Hoffnung auf besser gefüllte Gemeindekassen wichtiger als der Schutz der Natur? In Hebenshausen wird, wie an so vielen Orten der Republik, der inzwischen schon klassische Disput zwischen Ökonomie und Ökologie ausgetragen. Wo immer es um größere Flughäfen, neue Autobahnen oder riesige Stromtrassen geht, werden solche Diskussionen ausgefochten, oftmals erbittert.

Ja, stimmt Bürgermeister Jens Wilhelm zu. "Es ist ein Konflikt." Der Sozialdemokrat ist gerade zwei Monate im Amt. Er wusste, worauf er sich einließ, er lebt seit mehr als einem Jahrzehnt im Ort. Wilhelm stützt den Kopf in die Hände und sagt, er habe Verständnis für die Sorgen der Kritiker. Auch wenn es ihn stört, dass die Gegner des Projekts in den Medien mehr Aufmerksamkeit bekommen als die Befürworter. "Der Verkehr wird zunehmen, landwirtschaftlich wird sich viel verändern. Ich mache mir natürlich auch Gedanken. Es ist ein Abwägungsprozess."

Ein Bürgermeister muss an die Finanzen denken, die wirtschaftliche Entwicklung, die Joblage. Er muss im Auge behalten, ob junge Leute abwandern, weil sie anderswo leichter eine gute Arbeit finden. Wilhelm kommt zu dem Schluss, dass die Vorteile größer sind als die Nachteile. "Die Dietz AG, der Investor, sagt, es könnten bis zu 2000 Arbeitsplätze entstehen. Das ist extrem wichtig für die Gemeinde." Neu-Eichenberg ist mit knapp 2,5 Millionen Euro verschuldet, hat jetzt zwar einen ausgeglichenen Haushalt, aber kaum Spielraum für Investitionen, wie Wilhelm sagt. Der Bürgermeister glaubt, bei einem neuen Bürgerentscheid würde abermals eine Mehrheit für das Projekt stimmen. Möglich, dass sie knapper ausfällt als 2004, seither hat sich viel geändert. Das Umweltbewusstsein ist gestiegen, man besinnt sich auf dem Land auf ökologische Qualität. Auch Städter fragen, ob das mit der Bodenversiegelung immer so weitergehen kann. Zugleich boomt der Internethandel, auch auf den Dörfern, die Branche sucht nach neuen Plätzen für den Vertrieb.

Wolfgang Dietz, Vorstandschef der Dietz AG aus dem südhessischen Bensheim, leugnet nicht, dass ein solches Gewerbegebiet auch Nachteile mit sich bringt. Aber er unterstreicht die Vorteile für die Gemeinde. Jobs, nicht nur im Niedriglohnbereich, aber auch. Mehr Steuereinnahmen. Ein eigenes, kleines Gewerbegebiet für die Gemeinde. Aufträge für lokale Handwerker. Er verspricht, der Lärm und der Lkw-Verkehr würden sich in Grenzen halten, von den 70 Hektar sollen nur 44 versiegelt werden. Man sehe für die Region keine Alternative, erklärt Dietz.

Das wiederum bestreiten die Kritiker. Man könne sehr wohl alternative Landwirtschaft fördern, naturnahen Tourismus, alternative Projekte, sagt Banzhaf. Sie und ihre Mitstreiter hoffen auf eine Wende, ein Wunder sozusagen. "Ich habe noch Hoffnung, solange die Hallen nicht hier stehen", sagt sie.

Auf viel Unterstützung aus der Landespolitik können die Kritiker nicht zählen. Die örtlichen Grünen sind zwar dagegen, auch die Linke im Wiesbadener Landtag protestiert. Aber die können in dieser Causa kaum etwas bewegen. Umweltministerin Priska Hinz von den Grünen ließ die Gegner des Zentrums im Juli wissen, ihr seien die Hände gebunden. Zuständig sei längst die Kommune, und in deren Hoheit könne sie nicht eingreifen.

Das wiederum empört Anja Banzhaf: "Dass so ein Projekt mit einer grünen Landesumweltministerin und einem grünen Landeswirtschaftsminister möglich ist, ist einfach Wahnsinn." Und was geschieht, wenn die Hallen trotz der Proteste kommen? Dann kehren manche, die sich der Äcker und der Natur wegen hier angesiedelt haben, dem Ort womöglich den Rücken. Banzhafs Freund und Mitbewohner Simon Arbach, Gemüseanbauer im Dorfgarten, sagt: "Ich bin mir sicher, wir sind dann weg."

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