Absturz der türkischen Lira:Bewährungsprobe für das System Erdoğan

Im Handelsstreit mit den USA fällt dem türkischen Präsidenten nur ein, an den Stolz der Türken zu appellieren - und an ihren Gott. Doch die Ersten spotten schon, Allah werde die Schulden nicht zahlen.

Kommentar von Christiane Schlötzer, Istanbul

Die Türkei ist ein Land mit extremen sozialen Unterschieden. Wenn die Inflationsrate steigt, die Lira taumelt und die Preisschilder in den Supermärkten täglich neu geschrieben werden, dann können sich vor allem diejenigen, die schon wenig haben, immer weniger leisten. Die aktuelle Währungskrise macht die Armen noch ärmer. Aber sie wird auch die Reichen nicht lange verschonen, weil viele ihr Leben oder ihre Firma seit Langem auf Pump finanziert haben, mit günstigen Krediten in Euro und Dollar, die jetzt sündhaft teuer werden.

Die Türkei ist auch ein krisenerfahrenes Land, und in der Not ist meist die Solidarität groß. Doch diese Krise wird das Land nicht einigen, sondern noch tiefer spalten. Denn nach dem Lira-Absturz am vergangenen schwarzen Freitag - dem tiefsten an einem einzigen Tag in 20 Jahren - steckt die Türkei nicht nur finanziell in der Klemme. Die Krise wird zur politischen Bewährungsprobe werden für das neue, ohnehin heftig umstrittene Präsidialsystem, das sich Recep Tayyip Erdoğan auf den Leib geschneidert hat.

Bislang ist Erdoğan nur eingefallen, an Stolz und Stärke der Türken zu appellieren, und an ihren Gott. Das verfängt nicht bei allen, die Spötter höhnen schon: Allah wird unsere Schulden nicht zahlen, die Kenntnis des Koran nicht helfen, wenn der Gerichtsvollzieher kommt. Widerspruch ist im neuen türkischen System eigentlich nicht vorgesehen, und dennoch macht die Not schon erste Brüche sichtbar, in Form eines Familienkrachs: Erdoğan sagt, die Zinsen müssen weiter runter, was sonst kaum ein Experte zur Inflationsbekämpfung empfiehlt. Schwiegersohn Berat Albayrak, nun Finanzminister, betont dagegen die Unabhängigkeit der türkischen Notenbank, die allein über die Zinshöhe entscheiden soll.

Erdoğans großes Versprechen war es, die Türken könnten in Wohlstand leben, solange sie nur fleißig sind und ihm das Regieren überlassen. Lange löste er dieses Gelöbnis ein, die Einkommen stiegen ständig, Renten und der Mindestlohn auch. Nun aber führt die Rolltreppe nicht mehr nur nach oben, es geht auch abwärts. Erinnerungen an das Jahr 2001 werden wach, als die Türkei die schwerste Wirtschaftskrise seit ihrer Gründung durchlitt. Damals explodierte die Inflationsrate bis auf fast 70 Prozent. So weit ist es noch lange nicht. Aber die Krise 2001 hatte ebenfalls nicht nur wirtschaftliche Ursachen, sie zeigte das Versagen des politischen Systems. Das brachte schließlich Erdoğan an die Macht. Deshalb wird er diese Erinnerung nicht mögen.

Pech der Türkei ist es nun, dass sie sich mit Donald Trump angelegt hat. Das macht Vorhersagen über den Ausgang des Dramas völlig unmöglich. Stärke, Stolz und Vorurteil - das sind Vokabeln, die auch der US-Präsident schätzt. Gegenseitiges Misstrauen belastet die Beziehungen zwischen Ankara und Washington schon länger, der Syrienkrieg hat es vertieft. Und der Putschversuch vom Juli 2016. Erdoğan unterstellt den USA eine Mitschuld, weil sie den Prediger Fethullah Gülen beherbergen. Deshalb wurde ein US-Priester in der Türkei ins Gefängnis gesteckt, dessen Freilassung Trump mit allen Mitteln erzwingen will. Der Putschversuch ist bis heute ein Dunkelfeld, das lässt die Verschwörungstheorien blühen. Das ändert aber nichts daran, dass sich hier zwei Nato-Partner gegenseitig praktisch jede Gemeinheit zutrauen. Ende offen.

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