Wirtschaft:Wohlstand für wenige

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Beim Wachstum lässt Großbritannien fast alle Industriestaaten hinter sich. Doch gleichzeitig steigt die Zahl der Armen rasant an.

Von Björn Finke, London

"Ökonomisches Chaos" drohe Großbritannien. Und Steuererhöhungen. Die Staatsausgaben würden außer Kontrolle geraten. Der konservative Premierminister David Cameron malte am Montag in düstersten Farben aus, welche Folgen seiner Meinung nach ein Sieg der oppositionellen Labour-Partei bei den Parlamentswahlen im Mai hätte. Labour-Chef Ed Miliband wiederum bezeichnete den Premier bei einer Rede vor Geschäftsleuten als "Gefahr" für die Unternehmen. Sie müssten Camerons Versprechen fürchten, das Volk über einen Austritt aus der Europäischen Union abstimmen zu lassen.

Die zukünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik gehört zu den wichtigsten Themen im britischen Wahlkampf. Die Vorschläge von Tories, also den Konservativen, und von Labour liegen dieses Mal so weit auseinander wie lange nicht mehr - einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands steht vor einer Richtungsentscheidung.

Zugleich zeichnen die beiden Parteien ein sehr unterschiedliches Bild von der Wirtschaftslage: Die Konservativen betonen, dass die Rezession nach Ausbruch der Finanzkrise überwunden ist. Der "long-term economic plan", das langfristige Wirtschaftsprogramm der Partei, zeige erste Erfolge, müsse aber geduldig fortgesetzt werden. Die Hallodris von der Labour-Partei würden das nur gefährden.

Labour dagegen erklärt den Untertanen Ihrer Majestät mit der gleichen Ausdauer, dass es ihnen nach fünf Jahren Regierungskoalition von Konservativen und Liberaldemokraten schlechter gehe als vorher. Der Aufschwung komme nicht bei den Bürgern an, heißt es. Alles werde teurer, und die Einkommen hielten nicht Schritt. Das Königreich ächze unter einer "cost of living crisis" - in kaum einer Rede kommt Miliband ohne einen Hinweis auf diesen empfindlichen Anstieg der Preise aus.

Beide Seiten haben gute Argumente parat: Die Regierung kann tatsächlich auf handfeste Erfolge verweisen. Als sie 2010 das Ruder von Labour übernahm, dümpelte die Wirtschaft vor sich hin; die Finanzkrise hatte das Land, das viel zu abhängig von den Banken ist, hart getroffen. Die Staatsfinanzen waren zerrüttet, das Haushaltsdefizit betrug mehr als zehn Prozent der Wirtschaftsleistung - geradezu griechische Verhältnisse. Im vergangenen Jahr hingegen wuchs in Großbritannien die Wirtschaft mit 2,6 Prozent so schnell wie in keinem anderen großen Industrieland. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt rasant. Und auch den Haushalt bekam der konservative Schatzkanzler George Osborne mit harten Sparprogrammen halbwegs in den Griff.

Die Tafeln für Bedürftige verzeichnen starken Zulauf

Im laufenden Jahr soll das Defizit nur noch vier Prozent der Wirtschaftsleistung betragen - eine klare Verbesserung zu den zweistelligen Werten zu Beginn des Jahrzehnts. Für eine Boom-Zeit ist das allerdings immer noch ein hohes Minus.

Labour streitet nicht ab, dass die Wirtschaft wächst und mehr Menschen einen Job finden. Doch die Opposition argumentiert, dass die Wohltaten des Aufschwungs im Leben der allermeisten Briten keine Spuren hinterlassen. Im Gegenteil: Die Zahl der Armen steigt, immer mehr Menschen kommen mit ihrem Geld nicht aus. Eine alljährliche Untersuchung des Institute for Fiscal Studies belegt das. Der Studie zufolge muss nach Abzug der oft üppigen Miete oder der Hypothekenzahlungen fast jeder vierte Brite als arm gelten- das betrifft 14,6 Millionen Bürger, drei Millionen mehr als vor zehn Jahren.

Dies bedeutet viel Arbeit für den Trussell Trust: Die Stiftung betreibt Foodbanks, also Essenstafeln, die Hungrige mit überschüssigen Lebensmitteln versorgen. Die Anzahl der Nutzer hat sich zuletzt binnen eines Jahres verdreifacht, berichtet die Organisation. Oft seien den Besuchern vorher die Sozialleistungen gekürzt worden, weil sie sich nicht an Auflagen gehalten hatten, sagen Fachleute. Die Regierung kappte die Sozialausgaben und verschärfte die Bedingungen für deren Bezug.

Die Kirche von England fordert eine Umkehr. Im Januar veröffentlichten Bischöfe ein Buch, in dem sie die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und zwischen dem boomenden Großraum London und abgehängten Regionen des Landes beklagen - Wahlkampf-Munition für Labour.

Im Falles eines Wahlsieges versprechen die Konservativen, die Staatsausgaben weiter zu kürzen, 2018 sollen keine neuen Schulden mehr nötig sein. Fast 17 Milliarden Euro wollen die Tories bei den Sozialausgaben sparen. Labour strebt zwar auch einen ausgeglichenen Haushalt an, möchte die Budgets aber weniger hart kappen. Noch weiter liegt die Wirtschaftspolitik der Parteien auseinander. Während die Konservativen ihren unternehmerfreundlichen Kurs fortsetzen wollen, verkündet Labour, die Steuern für Reiche anzuheben und mächtige Konzerne stärker zu regulieren. So will die Opposition Energieversorgern verbieten, die Preise zu erhöhen.

Den Briten stehen damit wirklich zwei sehr unterschiedliche Alternativen zur Wahl.

© SZ vom 31.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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