Schwerin (dpa/mv) - In Mecklenburg-Vorpommern gehen von Anfang 2024 an Aufträge von Land und Kommunen nur noch an Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Tarif- oder tarifähnliche Löhne zahlen. Der Landtag in Schwerin beschloss in seiner Sitzung am Mittwoch nach einer erneut kontroversen Debatte mit den Stimmen der rot-roten Koalition und der Grünen das sogenannte Tariftreuegesetz.
Betroffen sind öffentliche Aufträge etwa für Bauvorhaben und Reinigungsleistungen, an Sicherheitsdienste und Essenanbieter. Für Bereiche, in denen Tarifregelungen fehlen, wird ein Mindestlohn von 13,50 Euro pro Stunde gefordert. Für Bauleistungen gelten Schwellenwerte für die Gesetzesanwendung von 100 000, für die anderen Bereiche von 50 000 Euro. Anträge, diese mit Rücksicht auf kleinere Firmen heraufzusetzen, fanden keine Mehrheit.
Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) bezeichnete das Gesetz als „Meilenstein“ in der Gesetzgebung des Landes, der zu höheren Löhnen und fairem Wettbewerb führe. Mecklenburg-Vorpommern sei das Bundesland mit der geringsten Tarifbindung und dem niedrigsten Lohnniveau. Dies müsse sich ändern, um auch im Wettbewerb um Fachkräfte bestehen zu können. „Eine gesicherte gute Entlohnung ist wichtig für die Attraktivität des Standortes Mecklenburg-Vorpommern und entscheidend bei der Gewinnung von Arbeits- und Fachkräften“, betonte Meyer.
Ähnlich äußerte sich Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), die wegen eines Termins in Hamburg nicht im Landtag war. Das Gesetz sende das klare Signal: „Wir in Mecklenburg-Vorpommern setzen auf gute Löhne und faire Arbeitsbedingungen“, sagte sie laut Mitteilung.
Sprecher der Opposition kritisierten die Lohnvorgaben als unzulässigen Eingriff in das Wirtschaftsgefüge und die Tarifautonomie. Kleine Firmen, die Tariflöhne nicht zahlen könnten, würden ausgegrenzt, beklagte der CDU-Abgeordnete Wolfgang Waldmüller. Der Wirtschaft, die in der aktuellen Krisensituation Entlastung nötig habe, würden zusätzliche Lasten aufgebürdet. „Das Gesetz wirkt einseitig gegen die Wirtschaft“, konstatierte Waldmüller.
Wie die CDU bezeichnete auch die AfD das Tariftreuegesetz als Beispiel einer ideologiegetriebenen, realitätsfernen Politik von SPD und Linke. Mit dem Gesetz wolle die SPD ihr soziales Gewissen beruhigen. „Doch es schafft keine neuen Arbeitsplätze und es bringt auch Langzeitarbeitslose nicht in Lohn und Brot“, sagte der AfD-Abgeordnete Michael Meister.
David Wulff von der FDP bezeichnete das neue Vergabegesetz als „Bankrotterklärung nach 25 Jahren SPD-Regierung in diesem Land“. Diese habe versäumt, mit einer wirksamen und gezielten Wirtschaftsansiedlung für eine positive Lohnentwicklung zu sorgen. Stattdessen werde noch mehr Bürokratie geschaffen. „Wir reden hier nicht über ein Vergabegesetz. Das ist ein sozialistisches Manifest“, erklärte Wulff.
Henning Foerster von der Linken hingegen verteidigte die Gesetzesänderung als Impulsgeber für bessere Löhne. Der Unterschied zwischen tariflich und nicht tariflich bezahlter Arbeit mache in MV rund 850 Euro im Monat aus. „Mit dem neuen Gesetz stärken wir den Wirtschaftsstandort Mecklenburg-Vorpommern, denn unstrittig ist: Wer ansässige Arbeits- und Fachkräfte dauerhaft binden und neue für sein Unternehmen gewinnen will, muss attraktive Arbeitsbedingungen und faire Löhne bieten“, erklärte Foerster.
Die Gewerkschaften begrüßten die neuen Regelungen, als „Beitrag zur dringend notwendigen Erhöhung des Entgeltniveaus im Land“. „Durch die ambitionierten Tariftreue-Regelungen des Gesetzes wird die Wirkung von Tarifverträgen in Mecklenburg-Vorpommern nachhaltig gestärkt“, betonte DGB-Nord-Vize Ingo Schlüter.
Die Wirtschaftsverbände sprachen von einem „Schlag ins Gesicht der Kleinst- und mittelständischen Wirtschaft in MV“. Rot-Rot schaffe neue Bürokratie für wenig bis gar kein Nutzen. „Was uns wirklich erschreckt: die Regierung bringt gewollt Unfrieden in die Betriebe und gibt das auch noch zu“, sagte Sven Müller vom Unternehmer-Dachverband des Landes.
In der Landtagsdebatte verwiesen die Gesetzeskritiker erneut darauf, dass in Unternehmen mit Landesbeteiligung die Mitarbeiter bislang vielfach keine Tariflöhne erhalten, das Land somit selbst die Vorgaben nicht erfülle. „Grundsätzlich stehen wir hinter dem Gesetz und befürworten das Anliegen, öffentliche Aufträge künftig nur noch an Unternehmen zu vergeben, die Tariflohn oder tarifgleichen Lohn zahlen. Hier sollte das Land gerade in den Unternehmen mit Landesbeteiligung, in denen die Mitarbeiter bislang vielfach keine Tariflöhne erhalten, mit gutem Beispiel vorangehen“, mahnte auch Jutta Wegner von den Grünen.
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