Wirtschaft:Koalition streitet über Ende des Soli

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Teile der Unionsfraktion würden den Zuschlag am liebsten sofort für alle abschaffen, die SPD will Besserverdiener dagegen weiter zahlen lassen. Auch beim Mindestlohn gibt es Ärger.

Von Cerstin Gammelin und Boris Herrmann, Berlin

In der großen Koalition ist eine neue Diskussion über die vorzeitige Abschaffung des Solidaritätszuschlags entbrannt. Wirtschaftspolitiker der Union fordern, dass das Aus für den Soli auf den 1. Juli vorgezogen wird und seine Abschaffung "vollständig" gilt. So steht es in einer zehn Punkte umfassenden Beschlussvorlage für die Beratungen der Unionsfraktion über das geplante Konjunkturpaket. "Die Abschaffung des Soli ist eine langjährige Forderung der CDU", sagte Axel Knoerig, einer der Autoren des Papiers, am Dienstag der Süddeutschen Zeitung. "Wir haben da durch Finanzminister Scholz zuletzt sehr viel Rückenwind bekommen. Dann legen wir gerne noch eine Schippe von CDU-Seite drauf."

Union und SPD ringen derzeit heftig um Maßnahmen, mit denen die wegen des Coronavirus lahmende Konjunktur angekurbelt werden soll. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte gesagt, man schaue sich an, was sinnvoll sei, was das koste und was man sich leisten wolle. Kommenden Dienstag will der Koalitionsausschuss über das Paket entscheiden. Es soll Hilfen für Kommunen enthalten, für Unternehmen und bestimmte Berufsgruppen sowie Investitionsanreize setzen.

Das vorzeitige Aus des Solidaritätszuschlags ist trotz neuerlicher Initiative aus der Union allerdings kaum näher gerückt, dafür droht ein weiterer Koalitionsstreit. Union und SPD liegen weit darüber auseinander, wer von der Abschaffung des Zuschlags profitieren soll: Scholz will ihn nur für untere und mittlere Einkommen vorzeitig abschaffen; Bestverdiener sollen weiterzahlen. Die Union pocht darauf, die Abgabe auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer für alle zu streichen. Hinzu kommt bei dem jüngsten Vorstoß ein verwaltungstechnisches Problem: In den Spitzen von Union und SPD hält man es schlicht für kaum machbar, kurzfristig zum 1. Juli eine Steuer abzuschaffen. Der administrative Aufwand sei sehr groß, hieß es. Nach geltender Beschlusslage wird der Solidaritätszuschlag ab Januar 2021 für gut 90 Prozent der Steuerzahler entfallen. Die Reaktionen auf den Zehn-Punkte-Plan, in dem die Wirtschaftsexperten neben dem vorzeitigen Aus auch eine Senkung des Mindestlohns fordern, changierte in der eigenen Fraktion zwischen Überraschung und Empörung. Es handele sich keineswegs um eine Fraktionsmeinung, sondern um ein nicht abgestimmtes Thesenpapier einer Arbeitsgruppe, hieß es. Einzelne Abgeordnete übten scharfe Kritik. Statt langer Debatten brauche man jetzt "Entlastungen und Anreize, die schnell wirken", sagte Fraktionsvize Andreas Jung. Prioritär seien Tarifentlastungen und die Möglichkeit, neue Verluste mit früheren Gewinnen zu verrechnen. Der Chef der Arbeitnehmergruppe in der Unionsfraktion, Uwe Schummer, sagte: "Das ist ein Wachstumspapier vor allem für die Sozialdemokratie." Wer CDU wählende Arbeitnehmer zur SPD treiben wolle, müsse solche Forderungen erheben. Vor allem die Forderung nach Senkung des Mindestlohns hält Schummer für einen "taktischen Fehlpass". Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken griff Schummers Kommentar umgehend auf. Sie bezeichnete den Vorstoß gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland als "einfach nur schäbig".

Um die Debatte einzufangen, verfügte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Dienstagmorgen via Twitter: "Hände weg vom Mindestlohn." Später legte ihr Generalsekretär Paul Ziemiak nach: "Eine Debatte über eine Absenkung des Mindestlohns ist überhaupt keine Position der CDU." Dies sei sowohl die Haltung der Parteispitze als auch der Bundestagsfraktion. Es gebe keinen Grund, daran zu zweifeln. "Es mag einzelne Stimmen geben, die das diskutieren. Aber es gibt da weder eine Beschlusslage noch irgendeine Motivation, daran irgendetwas zu ändern."

Dass in der Koalition konstruktiv Zusammenarbeit möglich ist, zeigte sich am Dienstag im Bundestag: Weil die SPD zugestimmt hatte, dass sich CDU und CSU wegen des Abstandsgebots im Plenarsaal treffen durften, war auch die Union großzügig und überließ den SPD-Abgeordneten ihren Sitzungssaal. Auf dem Weg dorthin mussten die Genossen an der Ahnengalerie der Unionsfraktionschefs vorbeilaufen: Kauder, Merkel, Merz, Schäuble, Dregger, Kohl.

© SZ vom 27.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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