Manjeet Kumar möchte Autos bauen. Immer schon war das sein Traum. Aber dort, wo er lebt, baut niemand Autos. Keine Fabrik in Sicht. Wenn er aus der Hütte seiner Eltern blickt, sieht er die fruchtbaren Ebenen am Ufer des Ganges, wo Senf, Zuckerrohr und Weizen angebaut werden. Kumar kommt aus einem kleinen Dorf im Bundesstaat Uttar Pradesh, wo die Frauen Kuhfladen als Brennmaterial trocknen und zu großen Bergen auftürmen. Er kommt aus einer Welt der Bauern, ohne Strom, ohne fließendes Wasser. So ist es hier immer gewesen.
Kumar aber ist ein Tüftler, er will nicht auf dem Feld arbeiten und Kühe melken, wie all die Generationen seiner Familie zuvor. Also hat er sich durchgebissen in der Schule, hat studiert und einen Abschluss als Ingenieur gemacht, obwohl seine Eltern kaum Geld dafür hatten. Jetzt sucht er einen Job, irgendwo in den Weiten der indischen Wirtschaft: "Mir egal. Ich gehe überall hin, solange der Job irgendwie passt," sagt der junge Mann mit der randlosen Brille. "In der Landwirtschaft zu Hause sehe ich keine Zukunft für mich."
Indien ist neunmal so groß wie Deutschland und hat 15 Mal so viele Einwohner. Nahezu 1,3 Milliarden Menschen bevölkern das Land, bald schon wird es mehr Inder geben als Chinesen. Und diese Bevölkerung ist vor allem eines: jung. Die Zahl der Menschen, die monatlich auf den Arbeitsmarkt drängen, würde jedem europäischen Minister zwischen Stockholm und Rom chronische Schlaflosigkeit bereiten: eine Million Inder sind es - pro Monat.
Auch Indiens Premierminister Narendra Modi schläft nicht viel, drei bis vier Stunden am Tag, wie er sagt. Yoga und eine gute Atemtechnik würden ihm helfen, mit so wenig Schlaf auszukommen. Ansonsten ist er damit beschäftigt, jenes gewaltige Versprechen einzulösen, das ihn vor acht Monaten zum Sieg bei den nationalen Wahlen getragen hat: Entwicklung für Indien. Der große Wandel. Arbeit, Arbeit, Arbeit.
Dafür streckt Indien nun seine Hand in verschiedene Richtungen über die Grenzen aus. Delhi möchte Partner für den Aufschwung gewinnen, und der indische Staat blickt dabei auch auf Deutschland. Subrahmanyam Jaishankar, Staatssekretär im Außenministerium, empfängt in seinem Büro, er spricht davon, dass Deutschland eine lange Geschichte der Industrialisierung durchlaufen und viele wertvolle Erfahrungen gemacht habe. "Neben den USA können die Beziehungen zu Deutschland und zwei, drei anderen Ländern einen Unterschied für uns Inder machen". Modi wird im April als Gast die Hannovermesse eröffnen, so wird Indien ins Licht rücken, mit allen Chancen und Hürden, die den aufstrebenden Riesen in Südasien kennzeichnen.
Ohne Infrastruktur wird es kaum gehen
Gewaltige Aufgaben hat Modis Regierung zu schultern, und dabei darf man keinesfalls die Psyche der jungen Inder außer Acht lassen: "Unsere Menschen sind ruhelos", sagt Amidabh Kant, Staatssekretär für Industriepolitik und Investitionen im Wirtschaftsministerium in Delhi. Er sagt es nicht einmal, sondern viermal. Er sitzt an einem langen Konferenztisch und entwirft ein großes Bild, wie Indien unter Modi vorankommen will. Und das klingt alles schön und gut: Digital India! Skill India! Make in India! All diese Kampagnen hat Modi losgetreten.
Besonders die letztere - Make in India - ist Kants Domäne. Und er hat keine Schwierigkeiten, wortgewandt zu erklären, warum sie so viel Gewicht hat: "Manche dachten, Indien könne die industrielle Produktion einfach überspringen und ganz auf Dienstleistungen setzen". Aber so werde es nicht gehen, sagt Kant. "Wir brauchen neue Fabriken, um Arbeitsplätze zu schaffen. Und das in großem Ausmaß."
In Indien erwirtschaftet dieser Sektor nicht einmal ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts. Das will Modi ändern. Doch damit dies gelingt, muss Indien zunächst massiv in Kraftwerke, Schnellzüge und Autobahnen investieren. Ohne Infrastruktur wird es kaum gehen, wenn man bedenkt, dass es bislang bis zu sieben Tage dauerte, um einen Container von der Hafenstadt Mumbai nach Delhi zu schaffen. Nun hilft japanisches Geld beim Bau einer Schnellzugstrecke, die den Transport künftig auf 24 Stunden verkürzen soll. Ein Anfang ist das, doch noch mehrere industrielle Korridore sind geplant, um den Aufschwung zu beschleunigen.