Süddeutsche Zeitung

Wirecard-Skandal:Was ein Untersuchungsausschuss bewirken kann

Lesezeit: 3 min

Ein U-Ausschuss zu Wirecard rückt näher. Manche Politiker brillieren in so einem Gremium, andere geraten ins Rutschen. Auch Olaf Scholz hat schon seine Erfahrungen gemacht.

Von Nico Fried, Berlin

Der junge Mann von der CDU bekommt eine große Chance - und er weiß sie zu nutzen. Es ist seine erste Legislaturperiode im Bundestag, doch alsbald wird der in Bonn als fleißig geltende Abgeordnete für die Union Obmann in einem wichtigen Untersuchungsausschuss. Es geht um den Vorwurf des Stimmenkaufs beim gescheiterten konstruktiven Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt 1972.

Der Ausschuss beendet seine Arbeit im Frühjahr 1974 nach 49 Sitzungen in weitgehender Uneinigkeit. Doch in der Debatte im Plenum hält Wolfgang Schäuble eine Rede, in der er auch davon spricht, dass die Bevölkerung nicht das Vertrauen in das Parlament verlieren dürfe. Sein Fraktionschef Karl Carstens war vom Auftritt des jungen Juristen aus Baden damals so begeistert, dass er die Aufnahme angeblich als Schallplatte vertreiben wollte.

46 Jahre später könnte der Bundestag demnächst unter dem Vorsitz seines heutigen Präsidenten Schäuble und mit den Stimmen eines Viertels seiner Mitglieder einen Untersuchungsausschuss zur Wirecard-Pleite einsetzen. Es wäre der 62. Untersuchungsausschuss in der Geschichte der Bundesrepublik, inklusive der 15 Fälle, in denen der Verteidigungsausschuss sich aufgrund einer Sonderregelung als Untersuchungsausschuss konstituierte. Und das Gremium könnte zur Belastung für den Finanzminister und möglichen SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz werden. Sogenannte U-Ausschüsse gelten nicht nur als wichtigstes Kontrollinstrument der Opposition. Sie sind äußerst glatte Kampfplätze, auf denen manche Politiker schon ins Rutschen gerieten.

Anders als die Unions-Fraktion hat sich Schäuble bereits für einen Untersuchungsausschuss zu Wirecard ausgesprochen. Die Erfahrung zeige, dass so immer wieder Dinge ans Licht befördert würden, "die sonst nicht bekannt geworden wären", sagte er der Wirtschaftswoche. Die Äußerung steckt voller Pikanterie. Denn nicht nur würde Schäuble als Scholz' Vorgänger wohl selbst als Zeuge geladen. Vielmehr weiß kaum jemand besser als er, wie ein solcher Ausschuss auch scheitern kann: Nachdem Schäuble eine Spende des Rüstungslobbyisten Karlheinz Schreiber Anfang 2000 Partei- und Fraktionsvorsitz gekostet hatte, blieben die Umstände der Spende und ihr Verbleib bei der parlamentarischen Untersuchung weiter ungeklärt.

Wie beim jungen Schäuble machten in manchen Untersuchungsausschüssen die Aufklärer Furore. Als bekanntestes Beispiel gilt Otto Schily, der sich - damals noch bei den Grünen - von 1983 an in der Flick-Affäre profilierte. U-Ausschüsse förderten zwar nach oft jahrelanger Arbeit häufig neue Details einer Affäre zutage. Wenn betroffene Kanzler oder Minister sich aber überhaupt zu einem Rücktritt gezwungen sahen, geschah das meist schon, ehe die parlamentarische Untersuchung abgeschlossen war oder auch nur begonnen hatte. So war es bei Willy Brandt im Spionagefall Guillaume, so war es bei Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff im Flick-Skandal, so war es bei Franz Josef Jung nach dem Angriff der Bundeswehr auf zwei Tanklaster in Afghanistan mit Dutzenden Toten. Franz Josef Strauß, der mit Vorwürfen jedweder Art Bekanntschaft gemacht hatte, wird deshalb der Satz nachgesagt, in dem Moment, in dem ein Ausschuss eingerichtet werde, habe man als Politiker die Affäre überstanden.

Tatsächlich bestätigen das gerade manche Nachfolger von Strauß im Verteidigungsministerium: von Manfred Wörner in der Affäre um den Vier-Sterne-General Kießling über Thomas de Maizière wegen einer Drohne bis hin zu Ursula von der Leyen und ihren teuren Beratern. Wörner wurde von Helmut Kohl im Amt gehalten und ging später zur Nato nach Brüssel, von der Leyen folgte ihm gut drei Jahrzehnte später in die EU-Kommission.

Doch auch Finanzminister sind oft geladene Zeugen. Peer Steinbrück musste die Rettung der HRE-Bank rechtfertigen, Wolfgang Schäuble sich Vorwürfen wegen des Cum-Ex-Skandals erwehren. Nun könnte ein Wirecard-Ausschuss Olaf Scholz als SPD-Kanzlerkandidaten hemmen. Das gilt wegen der zusätzlichen Arbeitsbelastung für ihn und wichtige Mitarbeiter. Es gilt aber auch politisch: Im Zuständigkeitsbereich seines Ministeriums sei getan worden, was getan werden musste, so Scholz. So eine eindeutige Festlegung kann schnell nach hinten losgehen.

Dass man sich seiner Sache nie zu sicher sein sollte, erlebte zum Beispiel auch der Abgeordnete, den die SPD von 2004 an als Obmann im Visa-Untersuchungsausschuss platziert hatte. Nachdem Gerhard Schröder im Mai 2005 angekündigt hatte, vorzeitige Neuwahlen anzustreben, setzten SPD und Grüne in dem vor allem für Außenminister Joschka Fischer unangenehmen Ausschuss ein schnelles Ende der Beweisaufnahme durch. Doch der Beschluss wurde vom Bundesverfassungsgericht kassiert. Blamiert war der Obmann der SPD. Sein Name: Olaf Scholz.

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SZ vom 01.08.2020
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