Wirecard:Untersuchungsausschuss kommt

Die Opposition einigt sich auf eine parlamentarische Aufklärung des Skandals. Der Vorsitz des Gremiums fällt an die AfD.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Der Betrugsskandal um den inzwischen insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard soll in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden. Die Grünen teilten am Dienstag nach einer zweitägigen Sondersitzung des Finanzausschusses in Berlin mit, dass sie einen entsprechenden Antrag von FDP und Linken unterstützen.

Fraktionschef Anton Hofreiter nannte den Ausschuss "unvermeidbar". Die Bundesregierung sei "bis heute die Aufklärung dieses gigantischen Betrugsskandals schuldig geblieben", sagte er. Hofreiter kritisierte "eklatante Lücken und Fehler in der Aufsicht und einen teilweise erschreckend naiven Umgang mit Lobbyismus". Es müsse geklärt werden, wer die politische Verantwortung dafür trage.

Wirecard galt lange als Vorzeigeunternehmen der deutschen Finanzbranche. Der weltweit operierende Zahlungsdienstleister hatte die Commerzbank aus dem Kreis der Dax-30-Unternehmen verdrängt; die Bundesregierung setzte sich für das in Bayern ansässige Unternehmen auf Auslandsreisen ein. Hinweise auf Geldwäsche und Bilanzbetrug wurden jahrelang ignoriert. Im Juni 2020 musste Wirecard Luftbuchungen in Höhe von knapp zwei Milliarden Euro einräumen und Insolvenz anmelden. Tausende Anleger wurden geschädigt.

Die Opposition im Bundestag will die Vorgänge nun aufarbeiten. Grüne, Linke und FDP haben genug Stimmen, um den Ausschuss zu beschließen. Der Vorsitz des Gremiums müsste turnusmäßig an die AfD fallen. Das sei jedoch "kein Selbstläufer", sagte Linken-Fraktionsvize Fabio de Masi am Dienstag. Die AfD müsse für den Vorsitz einen qualifizierten Kandidaten aufstellen. Dieser sei "noch nicht in Sicht".

Der Untersuchungsausschuss dürfte sich bis in den Frühsommer 2021 ziehen - und damit parallel zum Wahlkampf für die Bundestagswahl im Herbst 2021 laufen. Das könnte insbesondere für Bundesfinanzminister Olaf Scholz heikel werden, der die SPD als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf führen soll. Scholz hatte bereits in seiner Zeit als Erster Bürgermeister Hamburgs Finanzaffären aufzuklären; dass eine weitere in Berlin dazukommt, könnte die Glaubwürdigkeit beschädigen. Obwohl Scholz zu den beliebtesten Politikern in der Bundesrepublik zählt, hat seine Nominierung der SPD bisher keinen Wählerschub versetzt.

Heikel könnte der Ausschuss auch für den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Markus Söder werden. Bislang besteht der Verdacht, dass die Behörden des Freistaates bei der Geldwäscheaufsicht nachlässig waren. Ungeklärt ist auch die Lobbyarbeit einiger renommierter CSU-Politiker für Wirecard. Grüne, Linke und FDP wollen spätestens im November mit der Aufklärungsarbeit beginnen, bis dahin müssen noch einige Formalien geklärt werden. Grünen-Fraktionschef Hofreiter sagte, es müsse "endlich Licht in dieses Dunkel aus falschen Strukturen, menschlichem Versagen und politischem Fehlverhalten kommen".

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