Süddeutsche Zeitung

Hochschulen:Lehre statt Leere

Das Wintersemester beginnt, die Studierenden kehren nach vielen Monaten des Distanzunterrichts an die Universitäten zurück. Aber so wie vor der Pandemie wird's erst mal nicht werden.

Von Lilith Volkert

Wenn nach anderthalb Jahren das Leben an die Uni zurückkehrt, kann die Party gar nicht groß genug sein. 13 000 Studenten und Mitarbeiter der Universität zu Köln feierten vergangenen Montag den Vorlesungsbeginn - in dem Fußballstadion, in dem sonst der 1. FC Köln spielt. Eine Brass-Band trat auf, es wurde reichlich Kölsch ausgeschenkt, die Stimmung war ausgelassen.

Nach drei Semestern, in denen sich Studierende und Lehrende fast nur auf dem Bildschirm gesehen haben, sollen die Universitäten und Fachhochschulen wieder zu "Orten der persönlichen Begegnung und des wissenschaftlichen Austauschs werden". So wünscht es sich das Wissenschaftsministerium von Nordrhein-Westfalen. Auch in den anderen Bundesländern - an diesem Montag beginnen unter anderem in Bayern und Baden-Württemberg die Vorlesungen - heißt das alle elektrisierende Zauberwort gerade "Präsenz".

Dass es nun tatsächlich so kommt, war lange nicht abzusehen. Am Ende des Sommersemesters wollte sich noch niemand für das Wintersemester 2021/22 festlegen. Mitte August drängte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) dann: "Das nächste Semester muss ein Präsenzsemester werden." Es ist ein Fortschritt, dass sich die Politik plötzlich so fest dazu entschlossen zeigt. Lange Zeit wirkte es, als habe sie die Studierenden völlig vergessen.

Auch an Hochschulen gelten Abstandsgebot, 3-G-Regel und Maskenpflicht

Im Gegensatz zu Kitakindern und Grundschülern gibt es in diesem Alter kein Betreuungsproblem, mit der Technik kommen junge Erwachsene - zumindest in der Vorstellung der Älteren - problemlos zurecht. Den Verantwortlichen ist erst spät aufgegangen, dass es vor allem Studienanfängern sehr schlecht damit ging, für anderthalb Jahre zum Lernen ins WG-Zimmer verbannt zu werden.

Auch dieses Semester wird trotz der Präsenz-Möglichkeit nicht so ablaufen wie in der Zeit vor Corona. Die Pandemie ist noch nicht vorbei, auch an Hochschulen gelten Abstandsgebot, 3-G-Regel und Maskenpflicht. Gleichzeitig gibt es an den Unis viel mehr Kontakte als etwa an Schulen. In Vorlesungen sitzen oft Hunderte zusammen - die nach 90 Minuten in andere Veranstaltungen wechseln, wo sie wiederum auf zahlreiche andere Studierende treffen.

Das stellt die 108 Universitäten und 210 Fachhochschulen in Deutschland vor enorme organisatorische Herausforderungen. Alle müssen sich an die Corona- oder Infektionsschutzverordnung ihres Bundeslands halten, doch jede setzt für sich allein um, wie sie den Betrieb für sinnvoll hält.

Die wenigsten Hochschulen bieten alle Veranstaltungen in Präsenz an. Viele haben ein Platzproblem: Räume fallen weg, weil sie zu klein sind, um mit Abstand darin zu unterrichten.

Am Ende muss man wohl selbst sehen, wie man zurechtkommt

Die Universität zu Köln hat gut 50 000 Studierende. Hier geht man davon aus, dass ungefähr die Hälfte der Veranstaltungen in Präsenz oder hybrid stattfinden kann. Die Fakultäten haben entschieden, welcher Kurs in welcher Form läuft. Wer Pech mit dem Stundenplan hat, darf wieder nur zu Hause am Computer sitzen - und wird sich wahrscheinlich doppelt ärgern, wenn es überall heißt, die Unis seien doch wieder offen.

Das Nebeneinander von Präsenz- und Distanzformaten bringt organisatorische Schwierigkeiten mit sich. "Wer direkt nach einem Seminar an der Uni eine Online-Vorlesung hat, der braucht einen Platz, wo er sich mit seinem Laptop hinsetzen kann", sagt Eugen Esman von der Studierendenvertretung AStA an der Kölner Uni. Das gilt auch in anderen Städten: Die wenigsten Studierenden wohnen so nah an der Hochschule, dass sie schnell nach Hause fahren können, Bibliotheken sind oft nur eingeschränkt zugänglich. Im Rektorat der Universität zu Köln gebe es Verständnis für das Problem, berichtet Esman, inzwischen bemühe man sich, zusätzliche Räume zur Verfügung zu stellen. Am Ende muss man wohl selbst sehen, wie man zurechtkommt.

Dass die 3-G-Regel eingehalten wird, sich also nur Geimpfte, Genesene und vor kurzem Getestete an der Hochschule aufhalten, ist die nächste Herausforderung. Oft müssen Uni-Mitarbeiter die Kontrolle übernehmen. An der Technischen Universität Ilmenau in Thüringen sollen die Dozenten vor Beginn ihres Kurses den "Hörsaalpass" eines Teils der Studenten überprüfen. Empfohlen wird eine Stichprobe von mindestens zehn Prozent. Bei größeren Veranstaltungen übernimmt das der Wachschutz. "Der Hörsaalpass ist bei uns ein Blatt Papier mit Uni-Stempel, auf dem der Status oder das Testergebnis vermerkt ist", sagt Marc Schlagenhauf vom Studierendenrat. "Wer möchte, kann das leicht fälschen."

Etwa 80 Prozent der Studierenden sollen geimpft oder genesen sein

Andere Unis bieten ihren Studenten an, sich mit einem Armband oder einer Vignette auf dem Studentenausweis als geimpft oder genesen auszuweisen. Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), hofft, dass Studenten in Zukunft schon bei der digitalen Anmeldung für einen Kurs nachweisen können, dass sie geimpft oder genesen sind. Momentan gibt es noch technische und datenschutzrechtliche Probleme. "Aber das Thema wird uns ja im nächsten Jahr auch noch beschäftigen", sagt Alt.

Der HRK-Präsident geht davon aus, dass bundesweit etwa 80 Prozent der Studierenden geimpft oder genesen sind. Die Zahlen sind allerdings nicht repräsentativ, sie beruhen auf freiwilligen Umfragen der Hochschulen. Alt wünscht sich von den Bundesländern Rechtssicherheit in einem Punkt, der einzelnen Hochschulen Ärger machen könnte: Studenten, die das Gebäude nicht betreten dürfen, weil sie die 3-G-Regel nicht erfüllen, sollen keine digitale Lehre einklagen können. "Individuelle Hybridlehre können die Hochschulen nicht leisten", sagt Alt.

Und was passiert, wenn es Impfdurchbrüche gibt und die Infektionszahlen unter den Studierenden deutlich steigen? Man denke über Szenarien nach, heißt es, für die konkrete Planung sei aber keine Zeit. Dass die Hochschulen noch einmal vollständig geschlossen werden, kann und will sich ohnehin niemand vorstellen. "Das würde nur funktionieren, wenn es einen Lockdown für alle gibt", sagt Peter Heusch, Informatikprofessor an der Technischen Hochschule Stuttgart und Landesvorsitzender des Verbands Hochschule und Wissenschaft (vhw). "Macht man nur die Hochschulen dicht, würde das sicher zu Protesten führen, besonders bei den Studierenden."

Dann gibt es noch diejenigen, die gar nicht so wild darauf sind, zur Präsenzlehre zurückzukehren. Birgit Eickelmann, Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn, unterrichtet wie einige ihrer Kolleginnen und Kollegen im Wintersemester noch mal ausschließlich im Distanzformat. Viele ihrer Masterstudierenden sind während der Pandemie wieder nach Hause gezogen und haben Schwierigkeiten, nur für ihre letzten Semester wieder an die Uni zurückzukommen, sagt sie. "Außerdem haben wir in den letzten Semestern tolle Lehrkonzepte entwickelt, die sehr gut angekommen sind. Damit und daran arbeiten wir weiter - das kommt auch den zukünftigen Lehrkräften zugute."

Wer auch in diesem Semester statt im Hörsaal ausschließlich vor dem Bildschirm sitzen wird und soziale Kontakte vermisst, kann sich damit trösten, dass auch ein anderer wichtiger Teil des Studentenlebens endlich wieder stattfinden kann: Cafés, Bars und Clubs haben geöffnet.

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