Winterklausur in Seeon:Ein Brief beschäftigt die CSU

  • In einem Schreiben an Angela Merkel und Horst Seehofer fordern Unionspolitiker ein Ende des Streits um eine Obergrenze für Flüchtlinge.
  • Die Autoren präsentieren einen Kompromissvorschlag und plädieren für einen "atmenden Richtwert", der jährlich festzulegen sei.
  • Führende CSU-Politiker rechnen indes nicht mit einer Einigung vor den Bundestagswahlen.

Von Wolfgang Wittl, Seeon

Es werden viele Papiere behandelt bei der Winterklausur der CSU-Landesgruppe im Kloster Seeon: zur inneren Sicherheit, zur Zuwanderung, zur besseren Zusammenarbeit der europäischen Staaten bei der Terrorabwehr. Am meisten Aufmerksamkeit erhält am Donnerstag allerdings ein Brief, der gar nicht auf der Tagesordnung steht und der bereits drei Monate alt ist.

Verfasst haben ihn Stephan Mayer, der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und sein Abgeordnetenkollege Armin Schuster von der CDU. Adressaten sind ihre Parteivorsitzenden Angela Merkel und Horst Seehofer. Die Bundeskanzlerin und der bayerische Ministerpräsident werden in dem Schreiben mehr oder weniger sanft aufgefordert, ihren Streit um die Obergrenze endlich beizulegen - inklusive Vorschlag, wie eine Lösung dazu aussehen könnte.

Die Vergangenheit habe immer wieder gezeigt, dass das Vertrauen der Wähler in eine Partei signifikant leide, wenn diese in der Öffentlichkeit ein zerstrittenes Bild abgebe, schreiben Mayer und Schuster. Und weiter: "Wer in schwierigen Zeiten Orientierung sucht, wendet sich ab, wenn das Führungsduo in vermeintlich verschiedene Richtungen strebt." Ein Ringen um den besten Kurs sei zwar demokratisch sinnvoll. "Es muss aber zu einem gewissen Zeitpunkt beendet werden, soll nicht das Gesamtprojekt Schaden nehmen."

Dieser "gewisse Zeitpunkt" war für Mayer und Schuster bereits am 30. September 2016 gekommen. Von diesem Tag datiert der Brief, der der SZ vorliegt. Dass er nun öffentlich geworden ist, dürfte kein Zufall sein. Viele Bundestagsabgeordnete der CSU lassen bei ihrer Winterklausur ein Interesse erkennen, dass die Union möglichst geschlossen in den Wahlkampf zieht. Im Herbst dieses Jahres wollen sie ihre Mandate in Berlin verteidigen. Streit ist aus ihrer Sicht dabei nur hinderlich, erst recht in der Heftigkeit wie zwischen Merkel und Seehofer bei der Obergrenze.

Diplomatisch versuchen die Vermittler Mayer und Schuster Verständnis für die Position des jeweils anderen Parteichefs zu wecken: "Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben mehrfach betont, dass eine spürbare Reduzierung der Zugangszahlen notwendig ist und dass sich eine Situation wie im Spätsommer vergangenen Jahres nicht wiederholen darf." Seehofer wiederum habe "keinen Zweifel daran gelassen, dass Deutschland zu seinen humanitären Verpflichtungen gegenüber politisch oder religiös Verfolgten steht".

Wie der Kompromiss aussehen soll

Dem Schreiben beigefügt ist ein Vorschlag, wie ein Kompromiss zur Obergrenze aussehen könnte, der sowohl Merkel als auch Seehofer das Gesicht wahren ließe. Mayer und Schuster plädieren für einen "atmenden Richtwert", der jährlich festzulegen sei und jeweils an die Zahlen des vorangegangenen Jahres gekoppelt werden soll.

Der Zahlenkorridor solle anhand klarer Kriterien regelmäßig neu festgelegt werden. Dazu zählen etwa "aktuelle Migrationsbewegungen", "tatsächliche und finanzielle Unterbringungskapazitäten in den Bundesländern", "die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage", "die Zahl der in den letzten acht Jahren nach Deutschland zugewanderten und in Deutschland verbliebenen Schutzsuchenden" und auch die Zahl der Flüchtlinge, die in diesem Zeitraum von anderen EU-Mitgliedsstaaten aufgenommen worden sei. Mayer sagte in Seeon aber auch, die von der CSU geforderte Zahl von 200 000 Menschen liege "schon an der oberen Grenze dessen, was in Deutschland verkraftbar" sei.

Die CSU-Landesgruppe beschäftigte sich am Donnerstag vor allem mit Sicherheitsfragen. EU-Sicherheitskommissar Julian King sagte, die europäischen Institutionen hätten in den vergangenen Monaten bereits Entscheidungen getroffen, um den Schutz der europäischen Grenzen sowie die Kontrollen zu verbessern. "Aber wir müssen noch mehr tun", sagte King: "Wir müssen wissen, wer nach Europa einreist und wer Europa verlässt." Er warb für ein neues "Ein- und Ausreisesystem" und dafür, die Datenbanken besser zu nutzen.

CSU-Vize Manfred Weber, Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, forderte zum besseren Schutz vor Terroristen einen europaweiten Austausch von sicherheitsrelevanten Daten. Mit Blick auf den Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin sagte Weber, es brauche einen Überblick über die Gefährder in der gesamten Europäischen Union. Zwar gebe es in einzelnen Mitgliedsstaaten entsprechende Listen, die Vernetzung jedoch müsse noch verbessert werden.

Im unionsinternen Streit über die Obergrenze rechnen führende CSU-Politiker indes nicht mehr mit einer Einigung vor den Bundestagswahlen. Das Thema werde wohl erst abschließend bei Koalitionsverhandlungen geklärt. Bis dahin würden CDU und CSU in dieser Frage eigene Akzente setzen. So gehe es nun vor allem darum, die vielen Gemeinsamkeiten beider Parteien bei allen anderen Themen herauszustellen. In der CSU zeigt man sich dennoch überzeugt, dass die für Anfang Februar in München angesetzte Friedensklausur mit der CDU stattfinden wird - im schlimmsten Fall zu einem späteren Zeitpunkt. Auf eine Antwort von Merkel und Seehofer warten Mayer und Schuster übrigens bis heute.

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