Süddeutsche Zeitung

Winnetou:Pfirsich Melba, Neuauflage

Karl May bei RTL interessiert jene, die Pierre Brice noch kennen.

Von Detlef Esslinger

Wer liest noch Karl May? Als Schriftsteller ist der Mann in etwa noch so gefragt, wie es Schlaghosen und Pfirsich Melba sind. Unter den fünf Millionen Menschen, die sich am ersten Weihnachtstag bei RTL den neuen Winnetou-Film besahen, waren wohl viele, die mit Schlaghosen, Pfirsich Melba und Pierre Brice aufgewachsen sind; die noch Älteren waren im ZDF bei Helene Fischer versammelt.

Was ist in diesem Dreiteiler noch so wie in den alten Filmen? Kroatien liefert nach wie vor einen sehr brauchbaren Wilden Westen ab. Den Fluss, der den Rio Pecos spielte, gibt es immer noch. Der Schurke stirbt am Ende einen äußerst dekorativen Tod. Anders ist, dass Winnetou nun obenrum unbekleidet durch Kroatien reitet, dass Nscho-tschi den ersten Teil überleben darf und auch Klekih-petra von keiner Kugel gefällt wird (was allerdings damit zu tun hat, dass er gar nicht erst geboren wurde, in diesem Film).

Die alten Filme waren halb Western, halb Klamotte, und ein Amerikaner spielte einen Deutschen namens Old Shatterhand; ohne aber zu offenbaren, dass Karl May in seinen Büchern stets so tat, als wäre er dieser Shatterhand und am Rio Pecos unterwegs gewesen. Nun spielt ein Deutscher ihn, als May und Shatterhand. Es hätte May gefallen, aber er hat ja auch nicht gewusst, dass 2016 nach dem Film jeder sofort bei Wikipedia nachlesen kann, was für ein Hochstapler er war.

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Quelle:
SZ vom 27.12.2016
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