Winnenden: Konsequenzen:"Die Schule ist kein Hochsicherheitstrakt"

Nach dem Amoklauf in Winnenden diskutieren Politiker und Experten darüber, wie sich solche Bluttaten verhindern lassen - und stoßen dabei schnell auf Grenzen.

Nach dem Amoklauf von Winnenden hat das Nachdenken über politische Konsequenzen begonnen: Viele Aspekte werden diskutiert - ein schärferes Waffenrecht oder mehr Sicherheitskontrollen an Schulen halten die meisten jedoch nicht für erforderlich.

Winnenden: Konsequenzen: Die Tatwaffe: Mit dieser Beretta 9mm tötete der Amokläufer von Winnenden Mitschüler, Lehrerinnen, Passanten und sich selbst.

Die Tatwaffe: Mit dieser Beretta 9mm tötete der Amokläufer von Winnenden Mitschüler, Lehrerinnen, Passanten und sich selbst.

(Foto: Foto: dpa)

Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, kaum Möglichkeiten, durch Gesetzesverschärfung ähnliche Taten künftig zu verhindern oder ihnen vorzubeugen. Man sei wieder einmal in der Situation, "dass wir erkennen müssen, dass es letzte Sicherheit nicht gibt; dass man nicht alles einfach abwenden kann", sagte Kauder im Bayerischen Rundfunk.

"Wir sind auf der Höhe der Zeit", sagte der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), der Welt im Hinblick auf das Waffenrecht. Ähnlich äußerte sich der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach: "Wir haben das Waffenrecht nach Erfurt weiter verschärft und haben im internationalen Vergleich ein strenges Gesetz", sagte er dem Hamburger Abendblatt.

Bosbach warnte vor einer einseitigen Diskussion um das Waffenrecht: "Die Themen schulpsychologische Arbeit und Gewaltprävention sind nach so einem Fall mindestens genauso wichtig." Edathy kann sich nach eigenen Angaben vorstellen, Metalldetektoren einzusetzen "in den Schulen, in denen bereits festgestellt wurde, dass Waffen im Umlauf sind".

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, erklärte in der hannoverschen Neuen Presse: "Das Waffenrecht in Deutschland ist so streng wie nie zuvor." Die Waffen wie vorgeschrieben wegzuschließen, liege "in der Verantwortung eines jeden privaten Waffenbesitzers".

Amokläufe wie in Winnenden sind nach Überzeugung des Kriminologen Christian Pfeiffers nicht zu verhindern. "Wir können uns um Außenseiter kümmern, um Jugendliche, die in Krisensituationen sind. Aber verhindern könne wir Amokläufe nicht", sagte der Leiter des Kriminologischen Instituts Wetzlarer Neuen Zeitung. Ein Innenminister, der behaupte, mit mehr Polizei an Schulen ließen sich solche Taten verhindern, liege falsch. "Mehr Polizeipräsenz erhöht eher noch das Risiko von Amokläufen", so Pfeiffer.

Schulpsychologen - hilfreich oder unnütz?

Man könne Schulen nicht zu Festungen ausbauen, sagte der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau im ZDF. Er sehe keine generelle Möglichkeit, den Zugang zu den Schulen für Fremde massiv zu beschränken. "Wir leben in einer offenen Gesellschaft", sagte der CDU-Politiker. Er fügte aber hinzu, es müsse über einen besseren Schutz der Schulen diskutiert werden.

Der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) sagte, solche Verbrechen von unberechenbaren Einzeltätern seien nie ganz auszuschließen. "Die Schule ist ein geschützter Raum, aber kein Hochsicherheitstrakt", betonte er.

Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach sich gegen Polizeischutz für Schulen aus. "Ich glaube nicht, dass sich ein solcher Täter durch eine Polizeikontrolle abschrecken ließe", sagte Herrmann in München.

Schüler, Eltern und Lehrer rief er dazu auf, auch kleinste Drohungen von Mitschülern der Polizei zu melden: "Wichtig ist, dass man hier jeden Hinweis ernst nimmt." In Bayern habe es im vergangenen Jahr 25 Fälle gegeben, in denen aus Angst vor einem Amoklauf die Polizei eingeschaltet wurde. Zum Teil hätte bei diesen Drohungen "die Realisierung tatsächlich stattfinden können", sagte Herrmann.

Der Deutsche Lehrerverband forderte mehr psychologisches Personal an Schulen. Auch die Ausbildung von Streitschlichtern unter den Schülern sowie Deeskalationstrainings seien geeignete Maßnahmen, sagte der Verbandsvorsitzende Josef Kraus der Neuen Presse.

Warnung vor Dominoeffekten

Der Kriminologe Pfeiffer bezweifelte in der ARD allerdings den Nutzen von mehr Schulpsychologen, weil sie für gefährdete Schüler Fremde seien, denen diese sich kaum öffnen würden.

Der Kriminologie-Professor Hans-Dieter Schwind verlangte ein generelles Verbot von Computer-Gewaltspielen. "Dass der 17-Jährige auf der Flucht noch weiter um sich geschossen hat, ist ein Verhalten, das Jugendliche auch in Spielen wie Counter Strike oder Crysis lernen können." Medieneinflüsse seien zwar keine vorrangigen Einflussfaktoren, sie begünstigten aber solche Gewalttaten.

Schwind verwies darauf, dass kaum jemand wisse, dass in Deutschland zehn Millionen legale Waffen und geschätzte rund 20 Millionen illegale Waffen im Umlauf seien. Jugendliche hätten darauf noch immer einen viel zu leichten Zugriff, weil sie einfach nur den Schlüssel für den Waffenschrank finden müssten.

Nach solchen Ereignissen wie in Erfurt, Emsdetten oder nun Winnenden "lassen sich Dominoeffekte beziehungsweise Nachahmungstaten an anderen Schulen nicht ausschließen", warnte Schwind. Das gelte vor allem für die ersten 14 Tagen nach der Tat. Deshalb forderte der Kriminologe alle Eltern, Lehrkräfte und Mitschüler auf, besonders sorgfältig zu beobachten, ob sich Frühsignale einstellen oder ob sich ein Schüler in die Isolation zurückzieht.

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte in der Passauer Neuen Presse: "Es muss vor allem auch darüber nachgedacht werden, wie Gewalt dargestellt wird."

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