Energieversorgung in der EU:Projekt mit gigantischem Ausmaß

Energieversorgung in der EU: Die dänische Premierministerin Mette Frederiksen vor einem Windpark im Öresund an der Grenze zu Schweden.

Die dänische Premierministerin Mette Frederiksen vor einem Windpark im Öresund an der Grenze zu Schweden.

(Foto: Emil Helms/AFP)

In Dänemark beraten EU-Regierungschefs über ein "grünes Kraftwerk für Europa". Der Wind des Meeres soll Nordsee-Anrainerstaaten unabhängiger von Russland machen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Kai Strittmatter, Kopenhagen

Was den Ausbau der Windkraft zur See angeht, ist Dänemark keine Vision zu klein. Das Land, das einst den ersten Windpark der Welt ins Meer stellte, plant mittlerweile ganze Energieinseln. Buchstäblich aus dem Meeresboden sollen sie wachsen, rundherum Windparks, aus deren Strom sich etwa Wasserstoff erzeugen lässt. Mehr als 600 Turbinen hat das kleine Land schon in der See installiert, und es sollen noch viel mehr werden. Und deshalb lädt die dänische Regierung ihre Nordsee-Nachbarn an diesem Mittwoch nach Esbjerg.

Denn die Windpläne im Norden haben eine ganz neue Dringlichkeit bekommen, seit Europa unabhängiger von russischen Energieimporten werden möchte. Auf Einladung der dänischen Regierung treffen an diesem Mittwoch die Regierungschefs Deutschlands, Belgiens und der Niederlande in Esbjerg zusammen, um weitere Schritte für den Ausbau der Windenergie zu beraten. Die EU müsse "so schnell wie möglich unabhängig werden von russischem Gas", erklärte Premierministerin Mette Frederiksen im Vorfeld der Zeitung Politiken. Man wolle gemeinsam die Nordsee zu einem "grünen Kraftwerk für ganz Europa" machen und nach Wegen suchen, die Entwicklung ambitionierter Offshore-Windparks noch zu "beschleunigen".

Derzeit forcieren alle Nordsee-Anrainer den Bau von Windparks im Meer. Großbritannien, Belgien, die Niederlande - sie alle haben in den vergangenen Monaten ihre bisherigen Ausbauziele aufgestockt, teils drastisch. In Deutschland, für das sich Kanzler Olaf Scholz in Esbjerg angesagt hat, billigte das Kabinett vorigen Monat eine Neufassung des Windenergie-auf-See-Gesetzes. Es sieht für 2030 Windparks mit einer Gesamtleistung von 30 Gigawatt vor - zehn Gigawatt mehr als bisher. Schon jetzt stammen gut fünf Prozent des deutschen Stroms von Nord- oder Ostsee. 1500 Windräder mit insgesamt knapp acht Gigawatt Leistung sind mittlerweile in der deutschen See installiert.

Damit ist Deutschland die Nummer zwei in Europa, denn keiner hat so viele Offshore-Windparks wie das Vereinigte Königreich. Mit mehr als 2500 Windrädern steht es für 45 Prozent aller Kapazitäten. Die Niederlande stellen drei Gigawatt, erst danach kommen Dänemark und Belgien.

Dänemark beansprucht Führungsrolle

Der Gipfel soll nun helfen, zumindest zwischen den EU-Partnern den Ausbau enger zu koordinieren. Zudem rücken die diversen Windparks verschiedener Länder in der Nordsee nah aneinander heran: Es böte sich an, sie untereinander zu verbinden. Dadurch entstünde auch ein Leitungsnetz, das die Länder miteinander verbinden würde. Insgesamt müssten sich die Europäer vom "Silodenken" verabschieden, verlangt Stefan Thimm, Chef des deutschen Offshore-Verbands BWO. "Wir müssen endlich anfangen, die Nordsee als den gemeinsamen Raum zu sehen, der sie ist."

Dass Mette Frederiksen bei all dem für Dänemark "die Führungsrolle" beansprucht, liegt an den gigantischen Offshore-Windanlagen, deren Bau das Land schon vorantreibt. Allein die 2021 beschlossene "Energieinsel" in der Nordsee soll mit den an sie angeschlossenen Windparks einmal Strom liefern für zehn Millionen Haushalte, viermal so viel wie Dänemark zählt. Mit Kosten von umgerechnet 28 Milliarden Euro wird es das größte Bauprojekt in der Geschichte des Landes sein. Bislang wird mit einer Fertigstellung spätestens 2033 gerechnet. Im vorigen Monat dann legte die dänische Regierung mit einem neuen Plan nach: Weitere Energieinseln sollen die installierte Leistung zur See von heute 2,3 Gigawatt auf 16 Gigawatt im Jahr 2030 steigern. Dänemark will die Energie vor allem exportieren.

Just diesen Mittwoch will die EU-Kommission zudem einen Plan verabschieden, wie sie bis 2027 unabhängig von russischen Energieimporten werden will - auch durch mehr grüne Energie. Entwürfen zufolge sollen bis 2030 nicht 40, sondern 45 Prozent aller Energie aus erneuerbaren Quellen stammen. Ausgerechnet Russland treibt die Europäer nun in einen schnelleren Abschied von den fossilen Energien.

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