Süddeutsche Zeitung

Wikileaks vor ungewisser Zukunft:Gericht entscheidet über Auslieferung von Assange

Tausende Fans wollen für seine Freilassung demonstrieren: An diesem Mittwoch entscheidet ein Londoner Gericht über die Auslieferung Julian Assanges nach Schweden. Doch selbst wenn sich der Wikileaks-Gründer dort nicht wegen des angeblichen sexuellen Missbrauchs zweier Frauen verantworten muss, könnte es mit seiner Enthüllungsplattform bald vorbei sein.

Christian Zaschke, London

Es wird wohl voll werden an diesem Mittwoch vor dem Londoner High Court. Unterstützer des Australiers Julian Assange haben angekündigt, für die Freilassung des Wikileaks-Gründers zu demonstrieren. Und Assange hat viele Unterstützer. Der High Court befindet darüber, ob Assange nach Schweden ausgeliefert wird. Dort wollen ihn die Behörden wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung vernehmen, den zwei Frauen im vergangenen Jahr erhoben haben. Assange weist die Anschuldigungen zurück. Dahinter stecke der Versuch, ihn wegen seiner Arbeit zu diskreditieren.

Diese Arbeit ist einerseits der Grund dafür, dass sich wohl viele Unterstützer zum High Court aufmachen, sie ist aber andererseits auch der Grund dafür, dass Assange sehr viele Feinde hat. Die von ihm gegründete Website Wikileaks hat Hunderttausende geheime amerikanische Dokumente veröffentlicht, die sich mit den Kriegen in Irak und in Afghanistan beschäftigen. Zudem hat Wikileaks 250.000 Botschaftsdepeschen veröffentlicht, was für die US-Regierung zumindest peinlich war.

Allerdings könnten diese Veröffentlichungen bald ein Ende haben, ganz gleich ob sich Assange in Schweden verantworten muss oder nicht. Vor gut einer Woche sagte Assange in London, dass Wikileaks am Ende dieses Jahres das Geld ausgehen werde. Deshalb werde es vorerst keine Enthüllungen mehr geben, da man sich aufs Spendensammeln konzentrieren wolle. Das wiederum wird dadurch erschwert, dass verschiedene amerikanische Firmen Wikileaks blockieren. Visa, Mastercard, Paypal, Western Union und die Bank of America leiten kein Geld an die Organisation weiter. Laut Assange sind Wikileaks dadurch 95 Prozent der möglichen Zuflüsse abhandengekommen, Wikileaks-Mitarbeiter schätzen, dass ihnen 40 bis 50 Millionen Euro entgangen sein könnten.

Enorme Gerichtskosten

Mehrmals hat Assange zuletzt betont, dass kein für Wikileaks bestimmtes Geld in seinen Londoner Prozess fließe (dafür gibt es ein eigenes Spendenkonto, das zum Beispiel von Paypal nicht blockiert wird). Die Gerichtskosten sind enorm, da Assange seit elf Monaten gegen seine Auslieferung kämpft. Die knapp 500.000 Euro, die er vom Verlag Canongate als Vorschuss für seine Autobiographie erhielt, hat die Anwaltskanzlei Finers Stephens Innocent einbehalten, um ihre Kosten zu decken.

Assange warf den Anwälten daraufhin vor, dass sie ihm viel zu viel berechneten. Man trennte sich im Streit. Auch mit dem Verlag liegt Assange im Clinch. Er hatte die Autorisierung der Autobiographie zurückgezogen (zuvor hatte er einem Ghostwriter 50 Stunden lang aus seinem Leben erzählt). Canongate veröffentlichte sie dennoch im September mit dem Untertitel: "Die unautorisierte Autobiographie". Assange, der bekannt wurde als Mann, der Dokumente ohne Autorisierung veröffentlicht, sah sich einigem Spott ausgesetzt.

Die vergangenen elf Monate verbrachte Assange in Großbritannien unter Hausarrest, was ihn nicht davon abhielt, gelegentlich öffentlich aufzutreten. Sollte der High Court sich gegen die Auslieferung entscheiden, wäre Assange umgehend ein freier Mann. Im anderen Fall könnte er innerhalb von zwei Wochen nach Schweden gebracht werden. Jedoch werden seine Anwälte dann versuchen, den Fall vor den britischen Supreme Court zu bringen; das wäre allerdings nur möglich, wenn der High Court in der Angelegenheit ein übergeordnetes Thema von "öffentlicher Bedeutung" erkennt.

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SZ vom 02.11.2011/olkl
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