Süddeutsche Zeitung

Wikileaks: Guantánamo-Geschacher:Der Häftlings-Basar

Weltweit standen die USA wegen des Gefangenenlagers Guantánamo in der Kritik. Obamas Ankündigung, die Anlage auf Kuba zu schließen, wurde bejubelt. Doch um die Insassen loszuwerden, mussten die Amerikaner um viel Geld und sogar Besuche ihres Präsidenten feilschen.

Das Internierungslager Guantánamo auf Kuba galt vielen in der Welt als Schandfleck der US-Politik unter George W. Bush. Dementsprechend wurde die Ankündigung Barack Obamas, das Lager innerhalb eines Jahres aufzulösen, begrüßt. Die Insassen, sogenannte illegale Kämpfer und Terrorverdächtige, wieder loszuwerden, war und ist für die Amerikaner indes extrem schwierig.

Vor welchen Schwierigkeiten die USA standen und stehen, belegt nicht nur der Widerwille mancher deutscher Politiker gegen die Entscheidung, auch nur drei Ex-Häftlinge aufzunehmen. Frisch ist die Erinnerung noch daran, wie um die Aufnahme einiger Uiguren diskutiert wurde - mit dem Ergebnis, dass die Betroffenen schließlich von der Schweiz aufgenommen wurden.

Die von Wikileaks jetzt veröffentlichten Dokumente belegen, mit welchen Mitteln die Amerikaner schon fast verzweifelt versuchten, die überwiegend nicht mehr als gefährlich eingeschätzten Gefangenen im Ausland unterzubringen. Und zwar dort, wo sie ein neues Leben beginnen könnten - und zugleich von den Behörden weiter im Auge behalten würden.

Um die Aufnahmebereitschaft zu erhöhen, boten die USA verschiedene Leistungen an: Entwicklungshilfe, Einladungen ins Weiße Haus, oder gar ein Besuch des US-Präsidenten persönlich, wie Spiegel online und die New York Times berichten.

Und die Verhandlungspartner versuchten oft, zu schachern: Bulgarien etwa erklärte sich bereit, zwei Häftlinge aufzunehmen - wenn dafür die Visapflicht für bulgarische Touristen und Geschäftsleute aufgehoben würde. Anderen Ländern wurde die Aufnahme von Lager-Insassen mit 25.000 bis 85.000 Dollar pro Person für "Lebensunterhalt und andere Kosten" schmackhaft gemacht, wie ein Hinweis des Guantánamo-Sonderbeauftragten der US-Regierung, Daniel Fried, an die Malediven zeigt.

Häftlinge im Tausch gegen einen Obama-Händedruck

Sloweniens Außenminister Samuel Zbogar versuchte, seinem Ministerpräsidenten mit einem oder zwei Guantánamo-Insassen zugleich ein Treffen mit dem US-Präsidenten - inklusive Händedruck - einzuhandeln. Das, so geht aus den Dokumenten hervor, war nach Meinung der US-Außenamtsmitarbeiter "kaum realisierbar". Den Slowenen gegenüber war man allerdings nicht so ehrlich. Schließlich kam es weder zu einem Obama-Besuch noch zur Überstellung ehemaliger Häftlinge nach Slowenien.

Der Jemen, aus dem mehr als 100 Guantanamo-Häftlinge stammen, hatte angeboten, alle eigenen Bürger aus Guantánamo daheim ins Gefängnis zu sperren. Den jetzt veröffentlichten Papieren zufolge befürchteten die US-Diplomaten allerdings, dass Präsident Ali Abdullah Saleh "aufgrund öffentlichen Drucks - oder wegen der Gerichte - nicht in der Lage sein würde, sie länger im Gefängnis zu behalten als einige Wochen".

Saleh forderte von Washington für die Finanzierung eines Reha-Zentrums elf Millionen Dollar - und zeigte sich einem Bericht des US-Terrorexperten John Brennan zufolge mit den angebotenen anfänglichen 500.000 Dollar nicht zufrieden. Dem Inselstaat Kiribati boten die USA gleich drei Millionen Dollar für die Übernahme von 17 Häftlingen an, wie die New York Times schreibt.

Schwierigkeiten gab es auch mit Afghanistan, wohin die USA 41 afghanische Guantánamo-Häftlinge überstellt hatte, damit ihnen dort der Prozess gemacht würde. US-Diplomaten in Kabul beklagten sich anschließend darüber, dass 29 "gefährlichen Individuen erlaubt wurde, sich frei zu bewegen oder den Kampf wieder aufzunehmen, ohne jemals vor Gericht gestellt worden zu sein".

Wie real diese Gefahr ist, zeigen die Fälle eines ehemaligen Guantánamo-Insassen aus Saudi-Arabien, der im Jemen die Rolle eines Al-Qaida-Führers übernahm, und eines Kuwaitis, der sich nach der Freilassung 2008 im Irak in die Luft gesprengt hat. In Kuwait reagierte der Innenminister den US-Dokumenten zufolge mit dem Vorschlag, in Afghanistan gefangengenommene Männer dort einfach wieder abzusetzen - mitten in der Kriegszone. In der Hoffnung, dass sie möglichst bald im Kampf fallen würden.

Ähnlich irritierend erscheint der Vorschlag des saudischen Königs Abdullah, wie man freigelassene Jemeniten in ihrem Heimatland unter Kontrolle halten könnte: Mit Hilfe eines elektronischen Chips. Er selbst habe dies bei Pferden und Falken bereits getestet. John Brennan lehnte dies mit dem Hinweis ab: "Pferde haben keine guten Anwälte."

Besonders große Probleme bereiteten den Amerikaner die Uiguren, chinesische Muslime, deren Rückkehr nach China von Peking gefordert wurde. Doch dort würden die Männer vermutlich als Terroristen behandelt - was sie in Augen der USA ja nicht sind. Im Oktober hätte ein Vertreter Pekings versucht, die USA unter Druck zu setzen, heißt es in den Depeschen: Die Amerikaner wollten auf chinesischem Gebiet Nachschubrouten nach Afghanistan sichern. Ein angemesseneres Vorgehen Washingtons mit den Uiguren würde helfen, einige Hindernisse auf der chinesischen Seite aus dem Weg zu schaffen, mussten die Diplomaten der US-Zeitung zufolge feststellen.

Auch aus dem Umfeld des finnischen Premiers erfuhren die Amerikaner, dass China das skandinavische Land vor Schäden an den bilateralen Beziehungen gewarnt hatte, sollte man Uiguren aufnehmen.

Angst vor dem "Schlag ins Gesicht" der Chinesen

Nach Einschätzung der US-Diplomaten dürfte es auch die Sorge der Deutschen gewesen sein, China zu verärgern, die die Aufnahme von Guantánamo-Uiguren verhindert hatte - obwohl es in München eine Gemeinde von 500 chinesischen Muslimen gibt, die sich um ihre Landsleute hätten kümmern wollen. Zu gefährlich, hatte Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) 2009 entschieden. Die eigentliche Gefahr bestand den Amerikanern zufolge darin, dass China die Aufnahme als "Schlag ins Gesicht" betrachtet hätte.

Da war es Berlin offenbar lieber, Washington zurückzuweisen, als die bilateralen Beziehungen zu Peking zu beschädigen. Nicht einmal einen psychisch erkrankten Uiguren will Deutschland aufnehmen, der von seinem Bruder gepflegt wird - obwohl Obamas Sonderbeauftragter Dan Fried die Sache als humanitäre Hilfe anpreist.

Der Sicherheitsberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Christoph Heussgen, war den US-Papieren zufolge "nicht zuversichtlich, dass China Verständnis" zeigen würden, berichtet Spiegel online. Und für manche Uiguren, für die ein Platz gefunden wurde, gingen die Probleme weiter. In Albanien etwa fanden die chinesischen Muslime keine Arbeit und keine Wohnungen. "Wir haben keine Kapazitäten, als Sozialarbeiter aufzutreten", beklagen sich die amerikanischen Diplomaten.

Doch es gibt auch gute Nachrichten für die Amerikaner. Ein ehemaliger Guantánamo-Insasse aus Katar habe sich zwar über ein Reiseverbot hinweggesetzt und sich nach Großbritannien aufgemacht. Dort aber "macht Mr. Begg unsere Arbeit, und seine gut artikulierten, durchdachten Auftritte sind überzeugende Argumente", heißt es der New York Times zufolge in einem der Depeschen.

Ein Botschaftsmitarbeiter notierte: "Es ist ironisch, dass Moazzam Begg nach vier Jahren Gefangenschaft und möglicherweise auch Folter die gleiche 'Botschaft' verkündet wie wir: Bitte denkt über die Aufnahme von Guantánamo-Häftlinge nach."

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