Wikileaks-Gründer in Haft: Reaktionen:"Wäre Assange Chinese, hätte man ihm den Nobelpreis verliehen"

Ist Julian Assange das Opfer einer Verschwörung? Viele Wikileaks-Unterstützer sind davon überzeugt. Sie zeigen sich im Web solidarisch - und beschuldigen die CIA.

Julia Jendrsczok und Michael König

"Wäre Julian Assange ein Chinese, hätte ihm der Westen den Nobelpreis verliehen." So schreibt es ein Nutzer namens "@Madversity" beim Internet-Kurznachrichtendienst Twitter. Und so sehen das im Web offenbar viele.

Seit der Festnahme des Gründers der Enthüllungsplattform Wikileaks füllt sich das Netz mit wütenden Kommentaren, Mitleids- und Solidaritätsbekundungen. Laut der Statistik-Seite Twazzup taucht der Name Assange derzeit in bis zu 4000 Tweets pro Stunde auf. Ein Blogger ruft den "First World Infowar" aus, den Ersten Weltkrieg der Informationen.

Die sozialen Netze tragen ihren Teil zu der Auseinandersetzung bei. Teils mit begründeten Fragen, teils mit wilden Verschwörungstheorien. Steckt der amerikanische Geheimdienst CIA hinter der Festnahme? Welche Intention haben die Frauen, die Assange beschuldigen, sie vergewaltigt zu haben? Und warum schaltet sich die australische Regierung nicht ein?

Fakt ist: Assange sitzt in London in Gewahrsam. Er wurde am Dienstag von der britischen Polizei verhaftet, weil ein internationaler Haftbefehl aus Schweden gegen ihn vorliegt. Es geht um Vergewaltigung, Nötigung und sexuelle Belästigung. Assange hatte sich nach einem knapp zweiwöchigen Versteckspiel freiwillig der britischen Polizei gestellt.

Assange vermutet ein Komplott

Er vermutet ein Komplott hinter den Vorwürfen: Die amerikanische Regierung wolle ihn mundtot machen, nachdem Wikileaks geheime Depeschen von US-Botschaften veröffentlicht hatte.

Dass Assange nach seinem Erscheinen auf einer Londoner Polizeiwache in Gewahrsam genommen wurde und ein Richter es ablehnte, ihn gegen Kaution freizulassen, bringt seine Unterstützer auf die Palme.

Bei Facebook versammeln sich die Anhänger auf der Seite "Freiheit für Julian Assange" und hinterlassen Nachrichten wie: "Ich hoffe, es wird in Zukunft mehr solcher Typen geben." Ein Sprecher von Facebook teilte der Los Angeles Times mit, anders als der Internet-Bezahldienst Paypal oder die Kreditkartenunternehmen Mastercard und Visa sehe das soziale Netzwerk keinen Anlass, Wikileaks zu sperren oder zu verbannen. Allerdings beobachte man die Situation.

Um Unterstützung wirbt auch die Wikileaks-Zentrale, die zuvor angekündigt hatte, auch ohne Assange weiter geheimes US-Material veröffentlichen zu wollen. "Haltet uns aufrecht, spendet!", heißt es in einer Twitterbotschaft.

Sarkasmus für die mutmaßlichen Opfer

Beim Kurznachrichtendienst kursieren sarkastische Kommentare zur Causa Assange: "Nach schwedischem Gesetz ist es okay, bei den Kabeln etwas durchsickern zu lassen, aber nicht bei Kondomen", ätzt "@Jairajp". Im amerikanischen Rechtsystem sei es genau andersherum.

Überhaupt, die Kondome. Der Vergewaltigungsvorwurf wird im Netz ausführlich diskutiert. Dabei richtet sich der Fokus auf das, was über die beiden mutmaßlichen Vergewaltigungsopfer bekannt ist. Beziehungsweise darauf, was das Netz über sie zu wissen glaubt.

Die britischen Zeitungen Daily Mail und Guardian haben versucht, den Ablauf des folgenreichen Schweden-Besuchs von Julian Assange nachzuzeichnen, der ihm den Haftbefehl eingebracht hat. Demnach soll Assange mit beiden Frauen sexuellen Kontakt gehabt haben. Beim Geschlechtsverkehr mit einer der Frauen sei ein Kondom benutzt worden, das währenddessen jedoch gerissen sei, schreibt der Guardian. Beim Sex mit der zweiten Frau habe Assange einmal ein Kondom benutzt, ein weiteres mal nicht.

Bei der Polizei hätte die erste Sexualpartnerin schließlich angegeben, Assange habe das Kondom absichtlich zerissen. Die zweite habe ausgesagt, es sei ohne ihr Einverständnis zu ungeschütztem Sex gekommen. Nach dem strengen schwedischen Recht kann das als Vergewaltigung gewertet werden - in vielen anderen Ländern nicht.

Für verdächtig halten viele Kommentatoren, dass sich die beiden Frauen angeblich erst kennenlernten, nachdem sie mit Assange geschlafen hatten. Sie hätten sich zusammengetan und seien gemeinschaftlich zur Polizei gegangen, heißt es.

Das Opfer ein "Honeypot" der CIA?

Obwohl konkrete Beweise fehlen, hält sich hartnäckig das Gerücht, wonach eine der Frauen mit der CIA in Verbindung stehen soll. Im Online-Magazin Death And Taxes wird die Frau als "Honeypot" bezeichnet - als eine Art Sex-Fallenstellerin aus der Welt der Spionage. Ähnlich, wie sie in James-Bond-Filmen zu sehen sind. Auch soll die Frau Kontakt zu kubanischen Gruppen haben, die angeblich gegen Fidel Castro vorgehen wollen - und mit der CIA paktierten.

Wesentlich konkreter ist da der offene Brief, den Jeff Sparrow and Elizabeth O'Shea von der Webseite des australischen öffentlich-rechtlichen Senders ABC an ihre Regierung gerichtet haben: Sie fordern Premierministerin Julia Gillard dazu auf, Assange zu unterstützen.

Die beiden Autoren sorgen sich um das Wohlergehen des Aktivisten und verlangen von der Regierung, sie solle sich dafür einsetzen, dass er einen fairen Prozess bekommt und ihm kein physisches Leid geschieht. Das Kommentar-Aufkommen unter dem Artikel ist so groß, dass die Seite mit technischen Problemen zu kämpfen hat.

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