Wikileaks-Gründer Assange flüchtet in Botschaft:Warum Ecuador?

Lesezeit: 3 min

Die Flucht des Wikileaks-Gründers in eine südamerikanische Botschaft in London entrüstet sogar Assanges Anhänger - sie fühlen sich um ihre Kautionsspende geprellt. Ecuadorianische Medien halten die Erteilung des Asyls indes für "fast eine Tatsache": Assange verbindet einiges mit dem Präsidenten des Landes.

Alexander Menden, Peter Burghardt und Gunnar Herrmann

Seinen Sinn für Dramatik hat Julian Assange schon oft unter Beweis gestellt. Doch die Art, wie der Wikileaks-Gründer nun die nächste Runde in dem seit fast zwei Jahren laufenden Auslieferungsdisput um seine Person eröffnete, überraschte sogar seine engen Vertrauten: In einer offiziösen Stellungnahme gab der Australier am Mittwoch bekannt, er sei in der ecuadorianischen Botschaft im Londoner Stadtteil Knightsbridge "eingetroffen" und habe dort "diplomatische Zuflucht und politisches Asyl" beantragt. Sein Gesuch sei zur Prüfung an das Außenministerium in Quito weitergeleitet worden.

Ein Londoner Polizeibeamter patroulliert vor der ecuadorianischen Botschaft in London, Julian Assanges Zufluchtsort. (Foto: dpa)

Assange reagierte mit seinem Asylantrag auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes von Großbritannien, ihn nach Schweden auszuliefern. Am Donnerstag vergangener Woche hatte das Gericht einen letzten Versuch von Assanges Anwaltsteam abgelehnt, das Londoner Auslieferungsverfahren wieder aufzunehmen. Bis Ende kommender Woche hätte er noch Zeit gehabt, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Aber es sah so aus, als werde der 40-Jährige sich nun in Stockholm den beiden separaten Anzeigen wegen Vergewaltigung und Nötigung stellen müssen, die zwei Frauen gegen ihn erhoben haben.

Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks glaubt, die Auslieferung nach Schweden könnte der erste Schritt auf einer Reise werden, die in den USA endet. Schweden, befürchtet Assange, würde seinerseits voraussichtlich einem amerikanischen Antrag auf Auslieferung wegen Spionage und Volksverhetzung stattgeben. In den USA, meint er, könnte ihm aufgrund der diplomatischen und militärischen Interna, die Wikileaks veröffentlicht hat, die Todesstrafe drohen. Mit seinem Asylantrag beruft er sich auf die UN-Menschenrechts-Charta.

Klarer Verstoß gegen Kautionsauflage

Das britische Außenministerium hat mitgeteilt, es sei von den ecuadorianischen Behörden über die Situation informiert worden und bemühe sich "um eine Zusammenarbeit". Würde Ecuador dem Asylantrag stattgeben, wäre allerdings völlig unklar, wie Assange die Botschaft verlassen sollte, um nach Südamerika auszureisen. Er hat mit seinem spektakulären Schachzug klar gegen britische Kautionsauflage verstoßen, sich täglich von 22 bis 8 Uhr an einer bestimmten Adresse in der Grafschaft Norfolk aufzuhalten. Die Londoner Metropolitan Police würde ihn beim Verlassen der Botschaft wohl umgehend verhaften.

Nachdem die Polizei Mittwochfrüh vor dem Botschaftsgebäude am Hans Crescent eine Weile Präsenz gezeigt hatte, wurden die Beamten vorerst alle wieder abgezogen. Betreten dürfen sie die Botschaft, die exterritoriales Gebiet ist, ohnehin nicht.

Als Verlierer dürften sich indes all jene Unterstützer Assanges fühlen, die im Dezember 2010 den Kautionsbetrag von 200.000 Pfund für ihn aufbrachten. Eine von ihnen, die Society-Dame Jemima Khan, teilte via Twitter mit, sie sei von seinem Vorgehen "genauso überrascht wie alle anderen". Sie habe gedacht, er würde sich den Vorwürfen stellen.

Selbsternanntes Mitglied im "Klub der Verfolgten": Ecuadors Präsident Rafael Correa. (Foto: AFP)

Auch Assanges schwedischer Anwalt Thomas Olsson sagte dem Radiosender SR, der Asylantrag seines Klienten habe ihn überrascht. Mehr wollte er zunächst nicht sagen.

Eine Sprecherin des Stockholmer Justizministeriums erklärte knapp: "Wir haben zur Kenntnis genommen, dass es passiert ist. Wir gehen davon aus, dass Großbritannien dem Beschluss seines Obersten Gerichtshofes folgt und Assange hierher nach Schweden kommt." Die Staatsanwaltschaft Göteborg, die den Haftbefehl gegen den Australier wegen der angeblichen sexuellen Übergriffe ausgestellt hat, schwieg zunächst.

Noch keine Anklage in Schweden

Die Ankläger wollen wissen, ob er im Sommer 2010 zwei Frauen in Stockholm gegen ihren ausdrücklichen Willen zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr zwang. Anklage wurde bisher nicht erhoben, derzeit suchen die schwedischen Behörden Assange nur, um ihn zu verhören.

Claes Borgström, der Anwalt der beiden Frauen, sagte schwedischen Medien, Assange versuche mit seiner Flucht nur, die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Beschuldigungen abzulenken. Das sei stets seine Strategie gewesen. Statt über die Übergriffe werde nur über Dinge gesprochen, die mit dem Fall nichts zu tun hätten, etwa über eine mögliche Auslieferung an die USA oder eine angebliche Einmischung des CIA: "Für meine Klientinnen ist das tragisch."

Botschaft nicht zufällig ausgewählt

Bleibt die Frage: Warum Ecuador? War die Flucht in die Botschaft des kleinen Landes im Nordwesten Südamerikas Zufall? Wohl kaum.

Bereits Ende 2010 bot der ecuadorianische Vizeaußenminister Kintto Lucas dem Wikileaks-Gründer an, er solle nach Ecuador kommen. Präsident Rafael Correa pfiff Lucas zwar zurück, wies jedoch 2011 wegen Wikileaks die damalige US-Botschafterin Heather Hodges aus - sie hatte in Geheimdokumenten über Ecuadors Regierung geklagt. Später lobte Correa Assange im kolumbianischen Fernsehen. Der Australier habe zwar Gesetze gebrochen, aber ein "höheres Gut" geboten: "uns die imperiale Politik der USA zu enthüllen". Der Linksnationalist Correa gehört zum länderübergreifenden Bündnis des Venezolaners Hugo Chávez und liegt mit Washington im Clinch.

"Willkommen im Klub der Verfolgten"

Der Präsident und der Wikileaks-Mann kamen sich auch medial schon näher. Die ecuadorianische Staatszeitung El Telégrafo interviewte Assange, und Assange sprach in seiner aus Videokonferenzen bestehenden und im Netz abrufbaren Talkshow "The World Tomorrow" mit Correa. Die zwei Männer verstanden sich gut. "Willkommen im Klub der Verfolgten", witzelte Correa - wobei sich in seiner Republik eher Oppositionsmedien verfolgt fühlen. Journalistenverbände und Human Rights Watch werfen Ecuador in Sachen Presse- und Justizfreiheit - Dinge für die Wikileaks stets zu kämpfen vorgab - große Mängel vor.

Ecuadorianischen Medien zufolge will das Land Assanges Asylantrag ernsthaft prüfen. Die Zeitung El Comercio geht sogar noch weiter: "Das Asyl für Assange ist fast eine Tatsache."

© SZ vom 21.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: