Afghanistan: Wikileaks-Dokumente:Enthüller mit PR-Strategie

Lesezeit: 2 Min.

Der Vergleich mit Pentagon Papers und Stasi-Archiven hinkt: Warum die Afghanistan-Dokumente allein weniger zur Aufklärung beitragen, als Wikileaks glauben macht. Mehr Transparenz würde auch den Aufklärern selbst gut stehen.

Paul-Anton Krüger

Mehr als 91.000 Dokumente des US-Militärs, viele davon als geheim eingestuft, hat die Internetplattform Wikileaks für jeden zugänglich ins Netz gestellt. Julian Assange, Gründer der Organisation, hat die Veröffentlichung mit der Enthüllung der Pentagon Papers verglichen und später auch noch mit der Öffnung der Stasi-Archive.

Wikileaks-Gründer Julian Assange hält die Titelseite des britischen Guardian hoch, eine der Zeitungen, die die Afghanistan-Dokumente veröffentlichte. (Foto: dpa)

Doch wer sich mit dem Material im Detail beschäftigt, kommt bald zu dem Eindruck, dass diese überzogenen Analogien Teil einer PR-Strategie sind, die nicht zuletzt darauf gerichtet ist, die Bekanntheit von Wikileaks zu steigern und die Finanzierung durch Spenden zu sichern.

Anhand der von Assange gewählten Vergleiche werden grundlegende Probleme deutlich, die gleichermaßen das publizierte Material betreffen wie auch den Umgang von Wikileaks damit. Die Pentagon Papers lieferten ein dichtes Narrativ über die Entscheidungen der amerikanischen Regierung und ihre Lügen während des Vietnamkrieges. Sie basierten auf Memos des Weißen Hauses, aber etwa auch auf Analysen der CIA, in denen Hunderte Einzelinformationen zusammengefasst sind.

Gefährliche Rohdaten

Anders die Afghanistan-Dokumente: Sie geben großteils ungesicherte, ungeprüfte Einzelinformationen wieder, die von Einheiten im Kampfeinsatz stammen oder von lokalen Informanten, deren Zuverlässigkeit zu prüfen unmöglich ist.

Dass solche Rohdaten gefährlich sind, ist bekannt, seitdem die Bush-Regierung unter Umgehung der Prüfprozesse der Geheimdienste ähnliche Splitter missbrauchte, um ihren Krieg gegen den Irak mit der angeblichen Existenz von Massenvernichtungswaffen zu rechtfertigen.

Was sagt etwa eine Gefahrenwarnung von September 2004 aus, laut der Osama bin Laden angeblich drei Selbstmordattentäter losgeschickt hat, um den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai zu ermorden? Die Antwort: wenig. Eine Quelle behauptet dies, die US-Armee schreibt es auf. Klar ist damit noch lange nicht, ob der Terrorchef al-Qaida tatsächlich noch steuerte. Das Memo mag echt sein, die Information muss deswegen noch lange nicht stimmen.

Lesen Sie weiter, welche Gefahren die Veröffentlichung der Daten durch Wikileaks mit sich bringt.

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Aus diesem Grund haben die Redaktionen von Guardian, New York Times und Spiegel viel Aufwand getrieben, die Bruchstücke mit anderen Quellen zu verifizieren und in einen Zusammenhang zu stellen. Erst diese Rechercheleistung erschließt die Rohdaten in sinnvoller Weise, auch wenn Wikileaks zweifellos das Verdienst zukommt, sie zugänglich gemacht zu haben. Es ergeben sich zusätzliche Details, in manchen Fällen auch neue Erkenntnisse über das Ausmaß ziviler Opfer, die gezielte Tötung von Aufständischen oder die Rolle Pakistans.

Ein weiteres Problem zeigt der Vergleich mit den Stasi-Akten: Die Akten wurden aus guten Gründen nicht frei zugänglich ins Netz gestellt. Die Einsicht wurde begrenzt, um Persönlichkeitsrechte und Datenschutz zu wahren, die im Einzelfall mit dem öffentlichen Interesse an Informationen in Abwägung gebracht werden müssen. Bei den Afghanistan-Memos und mehr noch bei früheren Publikationen drängt sich die Frage auf, nach welchen Kriterien Wikileaks entscheidet, was öffentlich gemacht wird.

15.000 Memos hält Assange noch zurück, um zu vermeiden, dass Menschen in Afghanistan in Gefahr geraten; das ist zu begrüßen. Was aber rechtfertigt, den Namen eines deutschen Verbindungsoffiziers in einem Bericht über ein Treffen mit Dorfbewohnern stehen zu lassen? Der Kritiker Steven Aftergood, selbst ein Kämpfer wider den Geheimhaltungswahn der US-Regierung, hat Wikileaks "Informationsvandalismus" vorgeworfen und die Plattform gar zum "Feind einer offenen Gesellschaft" erklärt, weil sie sich über das Prinzip der Rechtstaatlichkeit hinwegsetze. Dieses Urteil ist zu hart. Aber wer Regierungen zur Transparenz zwingen will, der sollte bereit sein, über die Kriterien seiner eigenen Arbeit ebenfalls Rechenschaft abzulegen.

© SZ vom 28.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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