Wikileaks-Enthüllung:Einst Guantanamo-Häftling, heute US-Verbündeter

Er war Extremist, unterstützte die Taliban und galt den USA als "feindlicher Kämpfer". Deshalb saß Abu bin Qumu fünf Jahre im Foltergefängnis Guantanamo. Heute kämpft der Libyer gegen das Gaddafi-Regime - mit amerikanischer Schützenhilfe.

Michael König

John McCain lächelte, er posierte vor der libyschen Rebellen-Flagge und hatte für die Aufständischen warme Worte parat: "Großartige Kämpfer und echte Patrioten" seien sie, sagte der republikanische US-Senator und frühere Präsidentschaftskandidat bei seinem Besuch in der Aufständischenhochburg Bengasi am Freitag. Die USA tue gut daran, die Männer im Kampf gegen Gaddafi zu unterstützen.

A rebel fighter stands guard behind a Kingdom of Libya flag at Dehiba

Aufständischer in Libyen (Symbolbild): "Großartige Kämpfer und echte Patrioten"

(Foto: REUTERS)

Auf die Nachfrage von amerikanischen Journalisten, ob nicht auch Al-Qaida-Terroristen unter den Kämpfern seien, zeigte sich McCain unbesorgt: "Wieso? Sie (die Rebellen) sind meine Helden."

Ob McCain seine Aussage in dieser Form wiederholen würde, darf bezweifelt werden. Dank der jüngsten Enthüllung geheimer Dokumente aus dem Fundus der Internetplattform Wikileaks weiß die Welt inzwischen etwas genauer, wer gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi kämpft.

"Wahrscheinliches Al-Qaida-Mitglied"

Einer der Anführer des zusammengewürfelten Haufens ist offenbar der 51 Jahre alte Abu Sufian Ibrahim Ahmed Hamuda bin Qumu. Ein Libyer, der den Amerikanern bestens bekannt ist: Bin Qumu saß fünf Jahre im US-Foltergefängnis Guantanamo Bay auf Kuba. Er blickt auf eine steile Karriere zurück: Vom Taliban zum amerikanischen Staatsfeind bis zum Kämpfer der Rebellen mit Unterstützung durch die USA. Wobei seine Wandlung weniger mit ihm selbst zu tun hat, als mit der "Kehrwende der amerikanischen Politik", wie die New York Times verwundert feststellt.

Noch 2005 stufte das US-Verteidigungsministerium Abu bin Qumu als "wahrscheinliches Mitglied" des Terrornetzwerks al-Qaida ein. Eine eventuelle Freilassung des Libyers stelle "für die Interessen der USA ein mittleres bis hohes Risiko dar". So steht es in der Akte des Guantanamo-Häftlings, veröffentlicht am Wochenende von der amerikanischen Zeitung.

Über Ägypten nach Afghanistan

Das 18-seitige Dokument stammt aus dem Fundus, die der Internet-Enthüllungsplattform Wikileaks zugespielt wurde. Dort ist die Akte allerdings noch nicht freigegeben - wohl mit Rücksicht auf die Medienpartner von Wikileaks. Die New York Times, die sich mit dem Wikilieaks-Gründer Julian Assange überworfen hatte und über Umwege an einen kompletten Datensatz kam, war in diesem Fall schneller.

Wenn die Angaben des US-Verteidigungsministeriums stimmen, die mit den Hinweisen "secret" (geheim) und "NOFORN" (nicht für Ausländer bestimmt) gekennzeichnet sind, wurde bin Qumu am 26. Juni 1959 in der Hafenstadt Darnah in Libyen geboren. 1980 diente er als Panzerfahrer in der Armee Gaddafis, ehe ihn das Regime wegen diverser Straftaten (Mord, Körperverletzung, bewaffneter Überfall und Verkauf von Drogen) zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe verurteilte.

1993 floh bin Qumu aus dem Gefängnis und reiste über Ägypten nach Afghanistan, wo er sich angeblich den Mudschaheddin anschloss. Die von den USA hochgerüsteten religiösen Krieger hatten zuvor nach jahrelangem Krieg die Sowjetunion aus dem Land vertrieben - und richteten sich nun gegen ihre ehemaligen Unterstützer. Einer ihrer Anführer: Osama bin Laden, der spätere Auftraggeber der Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington.

Hand in Hand mit dem Regime

Bin Qumu soll in einem Camp unter bin Ladens Führung ausgebildet worden sein und anschließend im Sudan für eine Firma des saudischen Terroristen gearbeitet haben. Der libysche Geheimdienst registrierte bin Qumu als Mitglied der Libyan Islamic Fighting Group (LIFG), die in den neunziger Jahren gegen Gaddafi kämpfte.

Den Angaben zufolge schloss bin Qumu sich 1998 den Taliban im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet nahe der Stadt Peschawar an, wo bin Laden seinerzeit ein Gästehaus unterhielt. In der Akte heißt es, bin Qumu habe zu der Zeit Funkkontakt zu "extremistischen Elementen" gehabt, was auf eine Führungsposition bei den Taliban hindeute. 2001 wurde er von der pakistanischen Polizei in Peschawar verhaftet - nach einem Tipp aus Libyen - und den Amerikanern übergeben, die ihn nach Guantanamo Bay brachten.

In der 2005 erstellten Gefangenenakte, unterzeichnet von Brigadegeneral Jay W. Hood - damals Kommandeur der Joint Task Force Guantanamo und heute im Rang eines Generalmajors Stabschef des US-Regionalkommandos für den Nahen Osten (USCENTCOM) -, berufen sich die Amerikaner in ihrer Begründung für die langjährige Inhaftierung bin Qumus auf die libysche Regierung. Die halte den Häftling für einen "gefährlichen Mann, der ohne Skrupel Terroranschläge verüben würde", heißt es in der Akte.

Weitgehende Annäherung

Zum Zeitpunkt dieses Urteils arbeiteten die USA bei der Verfolgung möglicher Staatsfeinde noch Hand in Hand mit dem Gaddafi-Regime. Nach dem Lockerbie-Anschlag 1988 hatte Washington seine Beziehungen zu Libyen für zwei Jahrzehnte eingefroren, ehe Gaddafi einer Entschädigung für die Angehörigen des Bombenanschlags zustimmte. Nachdem der libysche Machthaber das Atomprogramm seines Landes stoppte, kam es zu einer weitgehenden Annäherung beider Länder. 2008 besuchte die damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice Tripolis.

Drei Jahre später schießt das US-Militär mit Drohnen auf den Palast des selbsternannten Revolutionsführers - und unterstützt mit ihren Luftschlägen die Rebellen, bin Qumu inklusive.

Ein Treffen in Darnah

Nach Angaben der New York Times wurde der heutige Rebellenkämpfer 2007 aus Guantanamo Bay entlassen und in ein libysches Gefängnis überführt - gegen den Wunsch des Häftlings, der einem Verhörprotokoll zufolge darum bat, wegen drohender Strafverfolgung in ein anderes Land ausgewiesen zu werden - "dorthin, wo ihr (die USA) mich beobachten könnt". 2008 kam er in Libyen auf freien Fuß, als Gaddafi eine Amnestie erließ.

Drei Jahre später soll bin Qumu maßgeblich an den Kämpfen gegen das Regime beteiligt sein. Der US-Zeitung zufolge ist er einer der Anführer der "Darnah-Brigade" in seiner Heimat, der 100.000-Einwohner-Stadt Darnah an der ostlibyschen Küste.

Darnah hat eine lange Tradition, was Islamismus betrifft: Nach einer Studie der US-Militärakademie West Point kamen 52 von 600 Selbstmordattentätern im Irak aus der libyschen Stadt - so viele wie aus keiner anderen.

"Das ist die Wahrheit"

Während Gaddafi den Westen stets davor warnte, al-Qaida habe die Rebellen unterwandert, betont die Darnah-Brigade jedoch ihre Unabhängigkeit von dem Terrornetzwerk. Einer der Anführer der Gruppe, Abdul-Hakim al-Hasadi, der ebenfalls verdächtig wird, die Taliban unterstützt zu haben, sagte in einem Interview mit der New York Times: "Ich weiß nicht, wie ich euch davon überzeugen kann, dass wir nicht zu al-Qaida gehören. Unser Ziel ist es, Gaddafi zu stürzen. Das ist die Wahrheit."

Al-Hasadi gab an, Abu bin Qumu gehöre nicht zu seiner Brigade, wohl aber dessen Söhne. Ein Reporter des amerikanischen Literaturmagazins The New York Review of Books berichtet jedoch, bin Qumu in Darnah getroffen zu haben.

In dem Bericht heißt es, der ehemalige Guantanamo-Häftling habe die Luftschläge der internationalen Militärallianz als "Geschenk Gottes" gepriesen. Die USA lobte er als "Beschützer der Schwachen".

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