Wikileaks-Dokumente:Von Kohl bis Merkel - die NSA hörte mit

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Auch Bundeskanzler Helmut Kohl wurde vom US-Geheimdienst NSA ausgespäht. (Foto: Collage: SZ)
  • Der US-Geheimdienst NSA hat Wikileaks-Dokumenten zufolge über Jahrzehnte das Bundeskanzleramt abgehört.
  • Betroffen von den Spähangriffen waren die Regierungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie die ihrer Vorgänger Gerhard Schröder und Helmut Kohl.
  • Das Ausmaß des NSA-Lauschangriffs ist damit deutlich größer als bislang angenommen.

Von John Goetz, Hans Leyendecker, Georg Mascolo, Frederik Obermaier

Der amerikanische Geheimdienst NSA hat nach Informationen von Wikileaks über Jahrzehnte das Bundeskanzleramt abgehört. Betroffen waren neben der Regierung von Angela Merkel offenbar auch die Regierungen ihrer Vorgänger Gerhard Schröder und Helmut Kohl. Die Enthüllungsplattform veröffentlichte am Mittwochabend dazu Dokumente, die sie zuvor der Süddeutschen Zeitung sowie dem NDR und dem WDR zugänglich gemacht hatte.

Ungewöhnlich an den neuen Unterlagen ist das Ausmaß des Lauschangriffs. Auf der Liste stehen insgesamt 56 Nummern, von denen etwa zwei Dutzend bis heute die aktuellen Nummern aus Merkels engster Umgebung sind. Darunter sind auch die Durchwahlen ihrer Büroleiterin und Vertrauten Beate Baumann, des Kanzleramtsministers Peter Altmaier und des für die Koordination der Geheimdienste zuständigen Staatssekretärs Klaus-Dieter Fritsche. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, ist unter "Parl Merkel Advisor Kauder" aufgeführt. Ebenfalls auf der Liste steht die bis heute aktive Handynummer des früheren Kanzleramtsministers Ronald Pofalla. Ebenso findet sich dort Merkels bis mindestens Ende 2013 genutzte Handynummer.

Vor einigen Wochen stellte der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren ein, weil sich nicht nachweisen lasse, dass die NSA Merkel abgehört habe. Von wann genau die jetzt von Wikileaks vorgelegte Liste stammt, ist nicht bekannt.

Der früheste Eintrag betrifft einen Kohl-Vertrauten

Betroffen sind aber offenkundig die früheren Bundesregierungen von Helmut Kohl und Gerhard Schröder. Der früheste Eintrag bezieht sich auf den Kohl-Vertraute Johannes Ludewig, der einst die Wirtschaftsabteilung im Kanzleramt leitete. Ludewig schied dort 1994 aus.

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Die NSA hat die Bundesregierung systematisch ausgeforscht. Das machen die Telefonnummern in der von Wikileaks enthüllten Selektorenliste deutlich.

Namentlich aufgeführt sind zudem Spitzenbeamte aus der rot-grünen Bundesregierung, die 1998 ins Amt kam. Darunter der frühere Leiter der außenpolitischen Abteilung, Michael Steiner, der ehemalige Kanzleramtsminister Bodo Hombach sowie Ernst Uhrlau, der damals im Kanzleramt für die Aufsicht über die Nachrichtendienste zuständig war.

Auf der Liste sind auch mehrere Anschlüsse der Kanzleramts-Abteilungen 2, 4 und 6 zu finden. Diese sind für die Bereiche Außen- und Sicherheitspolitik, für Wirtschafts-und Finanzpolitik sowie die Aufsicht über den BND zuständig.

In der vorigen Woche hatte Wikileaks erste Deutschland betreffende Unterlagen der NSA veröffentlicht. Sie bezogen sich auf drei Bundesministerien. Die bisherigen Wikileaks-Veröffentlichungen betreffen damit bislang insgesamt 125 sogenannte Selektoren, in diesem Falle alles Telefon-und Faxnummern der Bundesregierung.

"Abschließende Bewertung derzeit nicht möglich"

Wikileaks veröffentlichte am Mittwochabend neben Dutzenden Selektoren auch Protokolle von Gesprächen Merkels aus den Jahren 2009 und 2011.

Als Reaktion auf die erste Enthüllung von voriger Woche bat die Bundesregierung den US-Botschafter in Deutschland, John B. Emerson, zu einem Gespräch ins Kanzleramt.

Die Regierung erklärte an diesem Mittwoch auf Anfrage, man prüfe die Wikileaks-Unterlagen. Da ein "Nachweis der Authentizität fehlt", sei "eine abschließende Bewertung derzeit nicht möglich". In Regierungskreisen hieß es informell, man wundere sich in dieser Sache über nichts mehr. Spätestens mit der Entdeckung der NSA-Selektoren in Bad Aibling sei dem Kanzleramt das Ausmaß amerikanischer Spionage in Europa klar geworden. Beschwerden in Washington seien offenbar sinnlos. Auf SZ-Anfrage äußerte sich die NSA nicht zu den neuen Vorwürfen.

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© SZ vom 09.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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