Süddeutsche Zeitung

Wikileaks-Dokumente:NSA spionierte japanische Regierung aus

  • Die US-amerikanische National Security Agency (NSA) hat offenbar die japanische Regierung sowie womöglich zwei japanische Großunternehmen ausspioniert.
  • Wikileaks veröffentlicht fünf geheime Abhörprotokolle des Geheimdiensts, die angeblich abgefangene Telefongespräche zwischen verschiedenen Ämtern der Regierung in Tokio zusammenfassen. Die SZ konnte die Dokumente vorab einsehen.
  • Aus der Veröffentlichung wird klar, dass sich Tokio oft bemüht, den USA in Verhandlungen entgegenzukommen.

Von John Goetz, Berlin, und Christoph Neidhart, Tokio

Wikileaks veröffentlicht fünf geheime Dokumente

Der US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) hat offenbar die japanische Regierung sowie womöglich zwei japanische Großunternehmen ausspioniert. Dies geht aus Geheimdokumenten hervor, die die Enthüllungsplattform Wikileaks an diesem Freitag veröffentlicht hat und die die Süddeutsche Zeitung vorab einsehen konnte.

Es handelt sich um fünf "geheim" und "streng geheim" gestempelte Abhörprotokolle, die angeblich abgefangene Telefongespräche zwischen verschiedenen Ämtern der Regierung in Tokio zusammenfassen. Hinzu kommt eine Liste von 35 mutmaßlich abgehörten Telefonnummern, darunter die Durchwahl zum Büroleiter des ersten Kabinettssekretärs - und eine Nummer, die die NSA dem japanischen Wirtschaftsminister zuordnete. Von wann die Liste stammt, ist unklar. Fest steht nur, dass sie die japanische Regierung nicht gut aussehen lässt.

Tokio hatte sich nämlich früh festgelegt: Als die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden 2013 weltweit diskutiert wurden und fast täglich neue Details über die Spionage des US-Geheimdienstes NSA ans Licht kamen, versicherte die Regierung, Japan sei davon nicht betroffen.

Bespitzelung vor G-8-Gipfel im Jahre 2008

Ein Jahr später berichtete die New York Times, Tokio sei doch ausgehorcht worden, und zwar aus der US-Botschaft in der japanischen Hauptstadt. Der damalige Verteidigungsminister Itsunori Onodera reagierte entrüstet. Und nun also die neuen Enthüllungen mit Details und Namen, die an den Absichten der NSA wenig Zweifel lassen.

Wikileaks hat in den vergangenen Monaten bereits Abhörprotokolle und Telefonlisten veröffentlicht, die zeigen, dass die NSA es auf die französische, die brasilianische und die deutsche Regierung abgesehen hatte und dabei auch vor Ministern und Staatschefs nicht Halt machte. Nun legt die Enthüllungsplattform von Julian Assange mit Japan-Dokumenten nach.

In den fünf veröffentlichten Protokollen geht es um die Festlegung der japanischen Position für bilaterale oder internationale Treffen, unter anderem den G-8-Gipfel 2008 auf Hokkaido. Ihre Inhalte dürften schon damals wenig Geheimniswert gehabt haben, heute haben sie sicher keinen mehr. Der Skandal liegt vielmehr in der Tatsache, dass Washington einen seiner engsten Verbündeten aushorchte.

Die US-Regierung wusste detailliert über die Entscheidungswege der japanischen Regierung Bescheid, sie kannte ihre geplanten Strategien vorab. Als Quellen aller Protokolle werden (Telefon-)Gespräche genannt. Dreimal geht es um die Klimapolitik, zweimal um die Landwirtschaft, einmal um die WTO-Konferenz in Doha. Drei Kabinettsmitglieder, die noch heute wichtige Positionen halten, und ein Beamter werden namentlich genannt.

Telefonnummern japanischer Konzerne auf der Liste

Die Abhörprotokolle zur japanischen Position bei der Klima-Debatte beim G-8-Gipfel 2008 wurden offenbar nicht nur in den USA gelesen, sondern auch an die Geheimdienste Australiens, Großbritanniens, Kanadas und Neuseelands weitergegeben.

Aus der Veröffentlichung wird klar, dass sich Tokio oft bemüht, den USA in Verhandlungen entgegenzukommen, oder sich in multilateralen Treffen zumindest nicht gegen sie zu stellen. Das Landwirtschaftsministerium suchte beispielsweise einen Weg, einen drohenden Streit mit Washington um den Import amerikanischer Kirschen nach Japan nicht eskalieren zu lassen.

Es ist nicht das erste Mal, dass US-Geheimdienste ihre Regierung vor wichtigen Verhandlungen mit abgehörten Informationen aus Japan versorgten. Als die USA und Japan 1995 über Auto-Importe stritten, wurde der US-Unterhändler regelmäßig von den Geheimdiensten informiert, die zuvor japanische Regierungsbeamte sowie japanische Industrievertreter abgehört hatten.

Auffällig ist, dass sich auch in den jüngsten von Wikileaks veröffentlichten Telefonlisten Nummern finden, die Vertretern japanischer Großkonzerne zugeordnet werden - darunter Mitsubishi und dem Mischkonzern Mitsui & Co. Die NSA hatte also nicht nur Japans Regierende im Visier, sondern auch die Wirtschaft des Landes.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2590041
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/odg/leja
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.