Wikileaks: Die Quelle:"Du gehörst nach Guantanamo"

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Manning erzählt Lamo, er habe 260.000 Dokumente des Außenministeriums an Wikileaks weitergeleitet - darunter auch solche, die nun von Wikileaks veröffentlicht werden. Was er erreichen will, erklärt der junge Soldat laut Chatprotokoll in folgenden Sätzen: "Gott (alleine) weiß, was nun passiert. Hoffentlich weltweite Diskussionen, Debatten und Reformen." Wenn nicht, dann sei die Menschheit verdammt. "Ich würde offiziell unsere Gesellschaft aufgeben, falls nichts passieren sollte."

An einer Stelle äußert Manning Selbstzweifel, doch er beruft sich auf eine bereits erfolgte Wikileaks-Enthüllung: Er nennt das Video, auf dem eine US-Hubschrauberbesatzung unbewaffnete Iraker aus der Luft erschießt und das Blutbad hämisch kommentiert. Dem Protokoll zufolge hat Manning auch diesen Film an Julian Assange und seine Leute ausgehändigt.

Wikileaks hatte die Sequenzen im April veröffentlicht und damit enorme Resonanz hervorgerufen. CNN habe "überwältigend" berichtet, Twitter sei "explodiert". Manning: "Menschen, die das sahen, wussten, dass da etwas falsch war."

Lamo fragt den Informanten nach und nach aus: Wie hat er die Daten übertragen? Indem er sie auf CD brannte und sie als Musik-Videos von Lady Gaga deklarierte. Warum hat er das Material nicht an Russland oder China verkauft? "Weil sie in die Öffentlichkeit gehören."

Der Hacker hat möglicherweise einige seiner eigenen Sätze aus dem Protokoll getilgt, zumindest wirkt es so.

Am Ende des dokumentierten Chats schreibt Lamo, Wikileaks könnte "die perfekte Tarnung" für einen ausländischen Geheimdienst sein. "Die veröffentlichen, was für sie nicht verwendbar ist und behalten den Rest." Das Hacker-Medium 2600 Magazine, schrieb dagegen einmal, Wikileaks verkörpere "alles, was der Hacker-Mentalität heilig ist". Andere US-Hacker sprechen davon, die Person, die sensible Informationen Wikileaks zugänglich mache, sei ein ein "nationaler Held".

Lamo sieht das nicht so.

Er wittert Gefahr. Gefahr für Amerika. Er habe um die nationale Sicherheit und das Leben amerikanischer Soldaten gefürchtet, sagt er. Deshalb habe er die Behörden eingeschaltet.

Das Magazin Forbes hat noch eine weitere Erklärung: Demnach ist Lamo ein Mitarbeiter des "Project Vigilant", einer durch die Privatwirtschaft finanzierten Truppe von IT-Spezialisten, die Militärstellen, dem FBI und anderen Geheimdiensten zuarbeiten.

Wie dem auch sei: Adrian Lamo steht dazu, den Soldaten Manning gemeldet zu haben. Der sei sich gar nicht bewusst gewesen, was er verrät, sagte Lamo bei Hackers on Planet Earth (Hope), einer Konferenz, die im Juli in Manhattan stattgefunden hat. Manning habe "wie ein Staubsauger" agiert, beteuerte Lamo auf dem Podium, schließlich habe es sich auch um "Codeworte" und vertrauliche "Informationen über manche unserer Handelspartner" gehandelt.

Jeden Tag Beschimpfungen

Überzeugen konnte er damit kaum jemand: "Wir Hacker sind Internationalisten", bellte ein Konferenzteilnehmer aus Skandinavien als Reaktion auf Lamos patriotische Argumentation. "Du gehörst nach Guantanamo", schallte es aus dem Publikum. Ein anderer rief: "Du hast Verrat begangen!"

Damit hatte Adrian Lamo gerechnet, solche Beschimpfungen liest er jeden Tag auf seiner Facebook-Seite. Auf der Hope-Konferenz wollte er cool wirken und gab schlagfertige Antworten. Wohl war ihm dennoch nicht, das sah man ihm an und das räumte er auch ein. "Ich bedaure die ganze Situation", sagte der gehasste Hacker. Er wünschte sich, Private First Class Manning hätte ihn nie angesprochen.

Eines wollte Lamo aber auch klarstellen: Er habe den Whistleblower nicht in Gewahrsam genommen, sondern jemand anderes: "Bradley Manning wurde von Bradley Manning festgenommen."

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