Wikileaks-Chef Julian Assange:Aufklärer im Tarnanzug

Julian Assange, Herz und Seele von Wikileaks, macht sich immer mehr Feinde. Doch während ihn US-Behörden und Geheimdienste verfolgen, bereitet der Australier schon die nächsten Enthüllungen vor.

Janek Schmidt

Die schlohweißen Haare sind braun gefärbt, die einstige Langhaarfrisur ist auf wenige Zentimeter gestutzt, und auch sonst wirkt Wikileaks-Chef Julian Assange in seinem dunkelblauen Anzug fast unscheinbar, als er am Samstagmorgen zu seinem großen Auftritt vor die Kameras geht. Aus der ganzen Welt hat er Journalisten in das Londoner Park Plaza Hotel geladen, um von geheimen US-Militärpapieren zu berichten, die seine Internetplattform an diesem Tag veröffentlicht. Doch auch wenn der Australier das Scheinwerferlicht sichtbar genießt, zeigt sein unauffälliges Äußeres, wie weit er inzwischen geht, um sich im Alltag vor Widersachern zu verstecken.

Wikileaks-Chef Julian Assange: Mit jeder Enthüllung wächst die Zahl der Gegner von Wikileaks-Chef Julian Assange.

Mit jeder Enthüllung wächst die Zahl der Gegner von Wikileaks-Chef Julian Assange.

(Foto: AFP)

Seine Sorge ist berechtigt, denn die Zahl seiner Gegner wächst. So versucht die US-Regierung mit allen Mitteln, gegen Wikileaks und deren Informanten vorzugehen. Bereits im Mai verhafteten US-Ermittler den US-Soldaten Bradley Manning. Er soll auf dem US-Stützpunkt Hammer im Irak Informationen aus Militär-Datenbanken über die Einsätze in Afghanistan und im Irak auf eine CD kopiert und an Wikileaks weitergegeben haben.

Wikileaks bestreitet, dass Manning die Quelle ist, doch Assange sagt, er unterstütze Mannings Verteidigung aus einer "Verpflichtung zu helfen". Juristen erwarten, dass die Irak-Veröffentlichung von Samstag Manning oder andere mögliche Verdächtige weiter belasten könnte. Denn ebenso wie die im Juli publizierten Afghanistan-Papiere stammen die Irak-Dokumente aus dem Zeitraum von 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2009. Das legt den Schluss nahe, dass die beiden Daten-Pakete von derselben Quelle stammen.

Doch auch um seine eigene Sicherheit ist Assange besorgt. Nicht nur teilten Vertreter des Pentagons und des US-Justizministeriums mit, dass sie versuchen wollen, mit dem sogenannten Espionage Act, einem Gesetz von 1917 zum Geheimnisschutz, gegen Assange vorzugehen. Auch fühlt sich der Wikileaks-Chef von Geheimdiensten verfolgt.

Die New York Times berichtet vom einem Vorfall Ende September, als er von Schweden nach Deutschland flog. Seine Tasche mit drei Laptops samt verschlüsselten Daten checkte er in Stockholm ein. Doch nach seiner Ankunft in Berlin sei das Gepäck nicht mehr aufgetaucht. Um derartige Rückschläge zu verhindern, schützt sich Assange immer intensiver. Regelmäßig wechselt er sein Handy und trägt seinen Vertrauten auf, Mobiltelefone mit Verschlüsselungstechnik zu benutzen.

Problematischer als etwaige Spione sind für Assange derzeit Vorermittlungen der schwedischen Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Vergewaltigung und sexuellen Belästigung. Zwei Frauen hatten sich bei der Polizei gemeldet, nachdem Assange mit ihnen Sex gehabt hatte und sich dabei geweigert haben soll, ein Kondom zu benutzen. Die Polizei erließ einen Haftbefehl, hob ihn aber wenig später wieder auf.

"Schmutzige Methoden des Pentagons"

Assange versuchte die Vorwürfe als Schmierenkampagne abzutun und sprach über "schmutzige Methoden des Pentagons". Doch am Freitag sagte die zuständige Staatsanwältin Marianne Ny, dass sich die Ermittlungen "in einem relativ fortgeschrittenen Stadium befinden". Noch vor der anstehenden Entscheidung über eine Anklage hat Schwedens Zuwanderungsbehörde Assanges Antrag auf eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung ohne Angabe von Gründen abgelehnt.

Ohne festen Wohnsitz

Nun wird Assange, der keinen festen Wohnsitz hat, vermutlich versuchen, zunächst in England zu bleiben. Als australischer Staatsbürger kann er sich dort sechs Monate ohne Visum aufhalten. Doch ob er auch dort ausreichend Aktivisten und Freunde hat, bei denen er, wie zuletzt in Schweden, übernachten kann, ist unklar. Denn auch innerhalb von Wikileaks wächst die Zahl seiner Kritiker.

Auslöser für den internen Streit waren die nun veröffentlichten Irak-Papiere. So hatte Assange offenbar eigenmächtig beschlossen, den Zeitungen Guardian, New York Times und Le Monde sowie dem Spiegel die 392.000 Dokumente im Juni zu übergeben. Auf Kritik des zweiten öffentlich bekannten Wikileaks-Vertreters, Daniel Domscheit-Berg, der damals den Decknamen Daniel Schmitt benutzte, reagierte Assange empört.

"Du bist suspendiert"

Eine Unterhaltung über einen Computerchat der Organisation, den das Magazin Wired bekanntmachte, beendete Assange mit den Worten: "Du bist suspendiert." Daraufhin kritisierte auch der isländische Wikileaks-Aktivist Herbert Snorrason diesen Rausschmiss. Ihm antwortete Assange: "Ich bin Herz und Seele dieser Organisation. Wenn du ein Problem mit mir hast, dann verpiss dich."

Neben Snorrason und Domscheit-Berg verließen etwa zehn weitere Mitarbeiter die Organisation. Zwar sagt Assange nun, er baue noch immer auf 40 feste freiwillige Mitarbeiter und 800 weitere Helfer. Doch zweifelt Snorrason, ob deren technische Unterstützung reicht. "Die Webseite kann so nicht mehr funktionieren", sagt er und bekam am Samstag teilweise recht: Die Wikileaks-Seite war überlastet. Doch auch Snorrason erwartet, dass die Enthüllungen weitergehen: "Die Auswertung der restlichen Afghanistan-Papiere ist seit Anfang September fertig", sagt er und ergänzt: "Vor allem ist die Idee von Veröffentlichungen übers Internet stärker als je zuvor."

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