Wikileaks: Assange vor Gericht:Schmutzige Schlacht um die Wahrheit

Ein muffelnder Nerd in Frauenkleidern? Während Julian Assange vor Gericht gegen seine Auslieferung kämpft, veröffentlichen einstige Vertraute des Wikileaks-Gründers peinliche Details - für seine Anhänger ein neuer Beweis für eine Verschwörung.

Michael König

Bei Scientology kennen sie die Recherchekünste von John Sweeney schon. Als der britische Reporter seine Erkenntnisse über die Sekte im Mai 2007 im BBC-Fernsehmagazin Panorama veröffentlichte, erreichten die Einschaltquoten einen Rekordwert. An diesem Montagabend dürften erneut viele Briten vor dem Fernseher sitzen, denn Sweeney war wieder auf Recherche. Im Visier: eine weitere Organisation, deren Wirken größtenteils im Verborgenen liegt. Der Titel der Sendung ist vielsagend: "Wikileaks: The Secret Story."

Julian Assange extradition trial

Julian Assange will vor Gericht in London seine Auslieferung an Schweden verhindern - er fürchtet, von Stockholm in die USA weiterreisen zu müssen.

(Foto: dpa)

Der Zeitpunkt der Ausstrahlung ist nicht zufällig gewählt: Der Gründer der umstrittenen Internet-Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange, wird an diesem Montag in London vor Gericht angehört. Es geht um die Frage, ob der 39-Jährige von Großbritannien nach Schweden ausgeliefert wird, wo wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung gegen ihn ermittelt wird. Bei seiner Ankunft am Gericht in Belmarsh im Osten der Stadt grüßte er die wartenden Unterstützer und Journalisten. Im Gerichtssaal gab er keine Erklärung ab.

Assange will eine Auslieferung verhindern, weil er fürchtet, von Stockholm in die USA weitergeschickt zu werden. Dort droht ihm angesichts der Veröffentlichung geheimer US-Botschaftsdepeschen auf Wikileaks ein schwerwiegenderer Prozess, etwa wegen Spionage. Seine Anwälte wollen offenbar erreichen, dass ihn schwedische Beamte in London verhören, wo sich Assange in der Villa eines Unterstützers aufhält, kontrolliert durch eine elektronische Fußfessel.

Für seine Anhänger ist der Fall klar: Schweden handle als Marionette der USA. Warum sonst bemühe sich das skandinavische Land so vehement um die Auslieferung, wo es Assange doch zunächst hatte ziehen lassen? Bis vier Wochen nach dem Erlass eines ersten, später wieder aufgehobenen Haftbefehls war der Internetaktivist in Schweden geblieben. Dann reiste er aus - die Justiz hatte nichts dagegen. Erst als Cablegate, die Veröffentlichung der geheimen Depeschen, seine Wucht entfaltete, wurde der Fall wieder dringlich.

Mit diesem Argument, so berichten Insider, werden Assanges Verteidiger vor Gericht erreichen wollen, dass die schwedischen Ermittler ihren Mandanten in London verhören. Auch dort fühlt sich Assange allerdings nicht mehr sicher: Kürzlich appellierte er an die Ministerpräsidentin seines Heimatlandes Australien, Julian Gillard, ihn zurückzuholen - in Großbritannien sei er Todesdrohungen ausgesetzt.

Peinliche Details

Der Mann, der die Weltmacht USA mit der Veröffentlichung peinlicher Depeschen vor sich hertrieb, ist selbst ein Getriebener geworden. Und ein Opfer von Informationslecks: 97 Aktenseiten der schwedischen Staatsanwaltschaft sind im Internet aufgetaucht - wie sie dorthin gelangten, ist unklar.

Der Inhalt ist für Assange wenig schmeichelhaft. Unter anderem heißt es, Assange soll selten geduscht und die Toilettenspülung wenig benutzt haben. Ähnlich peinliche Details finden sich in Publikationen, die auf offiziellem Weg den Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben. Ausgerechnet mit dem Uralt-Medium Buch bringen ehemalige Vertraute den Internet-Aktivisten Assange in Verlegenheit.

"Seit Tagen nicht gebadet"

So bewarben die Guardian-Journalisten David Leigh und Luke Harding ihr 352 Seiten starkes Werk Wikileaks - Julian Assanges Kampf gegen die Verschwiegenheit mit dem Detail, dass Assange Frauenkleider getragen habe, um sich vor seinen Verfolgern zu tarnen. Der Guardian gehörte zu den internationalen Medienpartnern von Wikileaks, die freien Zugang zu den US-Depeschen erhielten - sie jedoch nur in Abstimmung mit Assange veröffentlichen durften.

Dabei legte der Wikileaks-Chef angeblich eine selbstherrliche Art an den Tag, die den Journalisten übel aufstieß und ihnen das Niederschreiben ihrer Erinnerungen an die schwierige Zusammenarbeit offenbar umso leichter machte. Assange habe "seine Macht nutzen" wollen, um die "Mainstream-Medien zu disziplinieren", schreiben die Guardian-Journalisten. Viel deutlicher kann man sich nicht von einem Partner, der gleichzeitig "Quelle, Vermittler und Publizist" (Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger) sein wollte, nicht distanzieren.

Ähnlich klingt es bei den Spiegel-Redakteuren Holger Stark und Marcel Rosenbach, die in ihrem Buch Staatsfeind Wikileaks schildern, wie Assange die New York Times aus Ärger über deren kritisches Porträt über ihn aus dem Zirkel der Medienpartner ausschließen wollte - und in mühevollen Gesprächen mit gutem Essen und teurem Rotwein vom Gegenteil überzeugt wurde.

NYT-Chefredakteur Bill Keller revanchierte sich auf seine Weise und schildert die Treffen mit Assange in allen Details: "Er sah wie ein Obdachloser aus, der von der Straße hereingeschneit war, mit einem abgewetzten Jackett und Cargo-Hosen, einem schmutzigen weißen Hemd und schmutzigen weißen Socken, die zu den Knöcheln heruntergerutscht waren. Er roch so, als hätte er seit Tagen nicht gebadet."

Die Wirkung von Cablegate beschrieb Keller ernüchtert: "Ehrlich gesagt, glaube ich, dass der Einfluss von Wikileaks auf unsere Kultur wahrscheinlich übertrieben war." Der Guardian spöttelte derweil: "Bemerkenswerterweise ist der Himmel nicht heruntergefallen, obwohl so viele Informationen veröffentlicht worden sind."

Assange: Schmierenkampagne

Assange sprach angesichts der Veröffentlichung von einer "Schmierenkampagne", den Guardian bezeichnete er als "ekelhaft". Für die Zukunft hat er offenbar eine Vereinbarung mit der Konkurrenz des Daily Telegraph unterzeichnet. Auch die NYT dürfte als Kooperationspartner ausscheiden.

In den Augen vieler Anhänger Assanges haben sich die Medien disqualifiziert - sie würden sich distanzieren, um sich bei der US-Regierung anzubiedern, heißt es. Dass die schwedische Zeitung Aftonbladet aus geheimer Quelle und ohne die Zustimmung Assanges den kompletten Wikileaks-Datensatz bekam, intensivierte die Verschwörungstheorien noch: Wikileaks hatte plötzlich selbst ein Leck - dahinter konnten nur mächtige Geheimdienste stecken.

Um zumindest bei der Anhörung Assanges vor Gericht Transparenz zu schaffen, will dessen Anwalt Mark Stephens die Argumente der Verteidigung gegen die Auslieferung im Internet veröffentlichen. Für die Verhandlung in London sind zwei Verhandlungstage angesetzt. Auf der Wikileaks-Website hieß es jedoch, man werde alle Rechtsmittel voll ausschöpfen und notfalls bis vor das höchste Gericht ziehen.

Der mediale Schlagabtausch geht derweil weiter: Im Februar wird der deutsche Wikileaks-Aussteiger Daniel Domscheit-Berg seine Sicht der Dinge in Buchform veröffentlichen. Und im April folgt dann das Buch mit dem vermeintlich größten Verkaufspotential. Der Autor: Julian Assange, höchstpersönlich.

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