Wikileaks: Afghanistan:Kommando 373 - Obamas geheime Schwadron

Die nun veröffentlichten Geheimdokumente belegen, dass geheime US-Einheiten in Afghanistan Taliban jagen und töten - und ihre Befehle aus dem Pentagon bekommen. Ein solcher Einsatz ist kaum von Isaf-Mandat und Völkerrecht gedeckt. Das Weiße Haus kritisiert die Enthüllung - und gibt Journalisten Tipps, wie sie damit umgehen sollen.

Die USA führen Krieg im Irak und in Afghanistan. Und während sich Präsident und Friedensnobelpreisträger Barack Obama nur ungern mit dem Irakkrieg in Verbindung bringen lässt, war der Einsatz in Afghanistan von Anfang an auch sein Krieg. Mit Hilfe von Truppenverstärkung und neuen Strategien, um den Aufständischen Herr zu werden, wollte er die Probleme am Hindukusch lösen, so dass die internationalen Armeen 2011 mit ihrem Abzug beginnen können.

Wikileaks: Afghanistan: Über die Einsätze von US-Soldaten in Afghanistan gibt es zahlreiche Informationen - doch offensichtlich gibt es auch Sondereinsatzkommandos, über die bisher nichts bekannt war.

Über die Einsätze von US-Soldaten in Afghanistan gibt es zahlreiche Informationen - doch offensichtlich gibt es auch Sondereinsatzkommandos, über die bisher nichts bekannt war.

(Foto: afp)

Ausgerechnet jetzt zeichnen militärische Geheimdokumente, die über die Online-Plattform Wikileaks an die Öffentlichkeit gekommen sind, ein wesentlich dramatischeres Bild des Afghanistankrieges als die Verlautbarungen von offizieller Seite. Die fast 92.000 Dateien veranschaulichen, warum die Taliban derzeit wieder fast so mächtig sind wie vor 2001 - trotz des jahrelangen, internationalen Einsatzes und trotz US-Ausgaben von mehr als 300 Milliarden Dollar.

Besonders brisant sind die Schriftstücke, die sich mit der bislang unbekannten Task Force 373 beschäftigen. Es handelt sich dabei um ein geheimes Kommando, das eine ebenso geheime Liste mit Zielpersonen abarbeitet, die sie töten oder gefangen nehmen sollen.

Ebenfalls verstörend sind Informationen über CIA-Operationen in Afghanistan. Der amerikanische Auslandsgeheimdienst hat offensichtlich seine paramilitärischen Operationen am Hindukusch stark ausgeweitet und scheint für zahlreiche Hinterhalte, Luftangriffe und Razzien verantwortlich zu sein. Außerdem soll die CIA bis 2008 den afghanischen Geheimdienst quasi als Nebenstelle betrieben haben - zumindest wurde er mit CIA-Mitteln finanziert und von US-Agenten geleitet.

Der US-Zeitung New York Times, dem britische Guardian und dem deutsche Magazin Spiegel liegen die Dokumente seit Wochen vor. Alle drei kommen bei ihren Analysen zum Ergebnis, die Informationen seien authentisch. Für ihre zeitgleichen Veröffentlichungen am Sonntagabend wollen die Medien mehrere offizielle Anfragen an die US-Regierung gestellt, jedoch keinen Kommentar bekommen haben.

Erst jetzt äußerte sich das Weiße Haus in Person des Nationalen Sicherheitsberaters James L. Jones - und zwar ziemlich verärgert. "Die Vereinigten Staaten verurteilen die Enthüllung von Geheiminformationen durch Einzelpersonen und Organisationen, die das Leben der Amerikaner und ihrer Partner gefährden könnten und unsere nationale Sicherheit bedrohen", sagte er. Wikileaks habe nie einen Versuch unternommen, mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Erst die Medien hätten das Weiße Haus kontaktiert.

Darüber hinaus wehrte sich Jones gegen die Interpretation, die amtierende US-Regierung hätte den Krieg in Afghanistan in der Öffentlichkeit beschönigend dargestellt. "Am 1. Dezember 2009 hat Präsident Obama eine neue Strategie für Afghanistan vorgestellt, die eine substanzielle Truppenverstärkung und einen verstärkten Fokus auf die Rückzugsgebiete von Taliban und al-Qaida in Pakistan vorsieht. Der Grund dafür waren genau diese besorgniserregenden Zustände, die sich in den vergangenen Jahren in Afghanistan zugespitzt haben", sagte Jones.

Als "alarmierend" verurteilt der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, die Veröffentlichung. Dadurch würden möglicherweise amerikanische Soldaten gefährdet. Es handele sich um einen Gesetzesverstoß.

Die Presseabteilung des Weißen Hauses hat außerdem ein Memo an Redaktionen verschickt, das den Titel trägt: "Gedanken zu Wikileaks". In dieser Mail gibt die Regierung den Journalisten ein paar Ratschläge, wie sie mit den Geheimdokumenten verfahren sollten. Zum Beispiel merken Obamas Spin Doctors an, dass die Geheiminformationen ja gar nicht überraschend seien - sie würden sich mit offiziellen Beschreibungen der Situation decken.

Das Weiße Haus betont auch, dass die Dokumente den Zeitraum von Januar 2004 bis Dezember 2009 umfassen, Obama aber erst Ende 2009 seine Strategieänderung beschloss. Der wichtigste Punkt für die Reporter zur Beachtung: Wikileaks sei keine unabhängige journalistische Instanz, sondern eine Organisation, die den US-Einsatz in Afghanistan erklärtermaßen ablehnt.

"Egal wie illegal"

Senator John Kerry, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Senat, sieht die Sache etwas anders. "Egal wie illegal diese Dokumente ans Licht der Öffentlichkeit gekommen sind, sie werfen ernsthafte Fragen zur Vorgehensweise Amerikas in Afghanistan und Pakistan auf. Unser Einsatz dort befindet sich in einer kritischen Phase und diese Dokumente unterstreichen, wie dringlich es ist, unsere Maßnahmen dort zu überdenken", erklärte er.

Illegal sind höchstwahrscheinlich auch die Einsätze des Kommandos 373, wenn nicht sogar dessen Existenz. Dem Guardian zufolge arbeitete diese Truppe zwar neben anderen Spezialeinsatzkräften, jedoch niemals mit anderen zusammen. So wussten nicht einmal andere in Afghanistan stationierte Soldaten von ihr. Die Task Force 373 arbeitete angeblich eine Liste mit 2000 Personen ab, die sie entweder töten oder gefangen nehmen sollten. Die Liste hat den schönen technokratischen Namen Jpel (joint prioritised effects list) - ein derart kryptischer Begriff, dass Personen, die ihn zufällig mitbekommen, immer noch nicht wissen, worum es hier geht.

Spiegel, Guardian und New York Times beschreiben anhand zahlreicher Einzelbeispiele, wie die Task Force verdächtige Personen jagte, gefangen nahm oder eliminierte. Besonders brisant sind jedoch die Belege, dass das Kommando 373 auch für den Tod zahlreicher Zivilisten verantwortlich ist. Ob Männer, Frauen, Kinder oder in einigen Fällen sogar afghanische Polizisten, die eigentlich auf derselben Seite stehen: Dem Kommando passierten bei seinen Killereinsätzen zahlreiche Fehler.

Unklar ist, unter wessen Kontrolle die TF 373 stand. Angeblich nahm sie weder vom Isaf-Stab noch vom zentralen Einsatzkommando der USA, Centcom, ihre Befehle entgegen, sondern unterstand dem Pentagon. Ob das völkerrechtlich einwandfrei ist, ist fraglich. Dokumente, die die Existenz oder Einsätze der Task Force betreffen, waren daher nicht nur "streng geheim" - sie waren "noforn". "Noforn" ist die Abkürzung für "no foreign", was bedeutet, dass diese Informationen innerhalb der Allianz nicht weitergegeben werden durften. Sie sollten in amerikanischer Hand bleiben.

Nun jedoch können nicht nur die ausländischen Truppen Einzelheiten über das umstrittene Sondereinsatzkommando nachlesen - sondern jeder. Noch sind die Geheimdokumente auf Wikileaks frei verfügbar.

Bestimmt wird nicht nur in Redaktionen, sondern auch im Weißen Haus gerade fleißig gelesen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: