Wiederaufbau im Irak:Nur vier Verletzte - ein guter Tag

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Der UN-Sonderbeauftragte Martin Kobler hat gerade überprüft, ob bei den Wahlen zum Provinzrat alles korrekt abläuft. Mit der blauen Tinte wird sichergestellt, dass niemand zweimal abstimmt. (Foto: dpa)

Der Deutsche Martin Kobler, UN-Sonderbeauftragter im Irak, soll helfen, einen zerstörten Staat aufzubauen. Er verhandelt, hört zu, reist unermüdlich durchs Land - und bleibt trotz aller Probleme ein Optimist.

Von Tomas Avenarius, Bagdad

Es ist Wahltag im Irak, die Provinzräte werden bestimmt. Das ist, grob gesagt, so etwas wie eine deutsche Landtagswahl, aber in zwölf Gouvernements gleichzeitig. Die Abstimmung am vergangenen Samstag ist damit eine Premiere: Der erste Wahlgang, den die Regierung in Bagdad alleine organisiert hat, Sicherheit inklusive, ohne die inzwischen abgezogene US-Armee im Hintergrund.

Martin Kobler macht an diesem Tag das, was von einem UN-Missionschef erwartet wird: Er besucht Wahllokale. Kobler ist der Deutsche im Irak, Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs und Chef der Mission Unami. Seine Botschaft an die Iraker Wähler ist einfach, er spricht sein Demokratie-Mantra unermüdlich in Kameras und Mikrofone. "Wahlen lösen nicht alle Probleme, aber ohne Wahlen lässt sich kein einziges Problem lösen."

Das Sicherheitsaufgebot ist überschaubar, drei gepanzerte Wagen bei der Fahrt durch Bagdad, dazu irakische Polizei. Als der Innenminister vor dem Wahllokal in der Al-Massara-Schule vorfährt, um seine Stimme abzugeben, gehen die UN-Fahrzeuge zwischen der Endloskolonne aus schwarzen Jeeps und Humvees voller waffenstarrender Soldaten fast verloren. Kobler reicht dem Minister die Hand, ein Finger ist lila-blau verfärbt. Im Wahllokal hat der Diplomat den Zeigefinger der Rechten in das Tintenglas getaucht, so besiegeln die irakischen Wähler die Stimmabgabe: "Ich muss doch prüfen, ob sich diese Farbe nicht abwaschen lässt." Den blauen Finger hat er noch am nächsten Abend. Offenbar taugt die Tinte.

Kobler lobt die Oberste Irakische Wahlkommission, bescheinigt Polizei- und Armeegeneralen hervorragende Arbeit beim Schutz der Abstimmung, animiert die Bürger, ihr Recht selbstbewusst auszuüben an der Urne. Aber die Beteiligung ist enttäuschend, unter 40 Prozent in Bagdad. Viele Iraker sind die praktizierte Demokratie leid. Aus ihrer Sicht machen die Politiker ohnehin, was sie wollen.

Einen zerstörten Staat aufbauen

Vier bis fünf Verletzte, kein Toter - dieser Wahltag wird für das Land ein besonderer bleiben: ein Tag ohne besondere Vorkommnisse für irakische Verhältnisse. Dafür sind in den Tagen davor und danach jede Menge Menschen gestorben, bei einem Selbstmordanschlag auf ein Bagdader Kaffeehaus, bei Attentaten auf Kandidaten, bei Zusammenstößen von Soldaten und sunnitischen Demonstranten. So ist es immer. Die Sicherheit bei der Wahl ist einigermaßen gut, zu exzessiver Gewalt kommt es vor und nach der Abstimmung. Kobler sagt: "Der Haupterfolg dieser Wahl ist, dass es kaum Zwischenfälle gab."

Der Berliner Diplomat und Ex-Botschafter Kobler soll im Auftrag des UN-Generalsekretärs helfen, einen nach Jahrzehnten der Diktatur, des Kriegs und der Sanktionen zerstörten Staat wieder aufzubauen. Also sitzt er mit dem irakischen Premier Nuri al-Maliki zusammen, der als knochenharter Verhandlungspartner gilt. Er fährt in den Norden zu den störrischen Kurden, die vom Föderalismus reden, aber im Hinterkopf stets ihren unabhängigen Staat haben. Er spricht mit sunnitischen Demonstranten in der Unruheprovinz Anbar - bei Zusammenstößen mit der Regierungsarmee gab es gerade Dutzende Tote - oder er trifft den steinalten Großayatollah Ali Sistani in der heiligen Stadt Nadschaf: Ohne den öffentlichkeitsscheuen Schiiten-Geistlichen geht nichts im Irak.

Der Ayatollah trifft keine irakischen Politiker mehr, ausländische auch nicht. Die UN aber haben Zugang. Kobler sagt, die Weltorganisation spiele eben eine "spezielle Rolle" im Irak. Kobler schätzt den moderaten Sistani und er weiß, dass ohne das religiöse Establishment keine Lösungen gefunden werden können. Identität wird im Zweistromland inzwischen religiös begriffen, das Wahlkreuz instinktiv bei der Partei der eigenen Konfession gemacht.

Es sind schwierige, immer wiederkehrende Probleme, die Kobler Kopfzerbrechen bereiten - etwa jenes der Volksmudschaheddin,der obskuren iranischen Oppositionsgruppe im Irak. Die 3100 Militanten hatten zuerst dem Schah von Persien und nach dessen Sturz den Revolutions-Ayatollahs den Krieg erklärt. Sie warfen in Teheran Bomben, fanden bei Saddam Hussein in Bagdad Unterschlupf, kämpften an seiner Seite gegen Iran. Ihr Schicksal ist elend: Bisher lebten die pensionsreifen Kämpfer in Lagern im Irak. Nun sollen die Volksmudschaheddin (MEK) das Land verlassen, mit Hilfe der UN. Doch die neue Regierung in Bagdad hegt wenig Sympathie für sie und bei den Oppositionellen in Iran sind die Volkskrieger auch unten durch.

Als Chef der UN-Mission für den Irak mit ihren etwa 1500 Mitarbeitern und ihren Regionalbüros im jordanischen Amman, in Kuwait und in Teheran hat Kobler das Problem von seinen Vorgängern geerbt. "Die MEK-Frage ist ein humanitäres Problem, kein politisches. Die UN stehen auf Seite der Verfolgten", sagt er dazu nur. Kobler will die Menschen außer Landes bringen, aber die Führer der Volksmudschaheddin sperren sich bei jeder Gelegenheit, Drittländer mauern und in Washington sehen manche in den MEK eine Alternative zu den Teheraner Ayatollahs am Tag X, wenn die Mullah-Herrschaft zerbricht. Der Deutsche ist durch die Hauptstädte getourt, hat Bewegung in die MEK-Frage gebracht: Albanien jedenfalls wird 200 Volksmudschaheddin aufnehmen.

Hoffnung für die Zukunft

Der 59 Jahre alte Kobler gehört in die Kategorie jener unerschütterlichen Optimisten, die immer Realisten bleiben. Für ihn ist politisch alles irgendwie machbar, mit Geduld, Druck und Energie. Der Opposition, die sich im Parlamentsgeschacher gegen den Taktierer Maliki hoffnungslos verzockt und zerstritten hat, sagt Kobler: "Ihr wollt den Premier loswerden? Dafür gibt es verfassungsgemäße Wege, ein Misstrauensvotum oder Wahlen." Auch auf die strukturellen Probleme bei der Umwandlung eines diktatorisch regierten Zentralstaats in eine föderale Form blickt der Diplomat mit Optimismus.

Zugleich warnt er aber immer wieder vor der Gefahr sektiererischer Gewalt: "Ich sehe nicht, dass der Irak zerfallen wird. Aber er ist ein föderales Land ohne föderale Erfahrung." Die leidige Frage der umstrittenen Grenzen zwischen Kurden und Arabern innerhalb des Landes, die fehlende Volkszählung, der Streit um die Ölstadt Kirkuk, es gibt für alles durchdachte Blaupausen, alles machbar. Kobler sagt: "Wenn das Kirkuk-Problem gelöst wird, löst sich alles andere fast von selbst."

Zehn Jahre lang machte der Irak Schlagzeilen: Krieg, Tote, Milliarden verschwendeter Dollars, Al-Qaida-Terror, religiöser Hass. Seit die Amerikaner abgezogen sind, hat sich das Land auf seine Art beruhigt. Das Leben in Bagdad normalisiert sich, wenn man "normal" irakisch buchstabiert: neue Geschäfte, neue Malls, dabei immer Bomben. In Wahrheit fing der Wiederaufbau erst 2008 an, nach dem Ende der bürgerkriegsartigen konfessionellen Kämpfe zwischen Schiiten und Sunniten. "2008 - damit sind wir hier jetzt im Jahr fünf", sagt Kobler. "Fünf Jahre sind nicht viel für den Aufbau eines Staates."

© SZ vom 27.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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