SZ-Streitbot:So funktionieren Diskussionen auch online

SZ-Streitbot: Im Internet gibt es Hass und Häme. Wenn man einige Dinge beachtet, kann man da trotzdem gut diskutieren.

Im Internet gibt es Hass und Häme. Wenn man einige Dinge beachtet, kann man da trotzdem gut diskutieren.

Wie überzeugt man andere im Internet, wo im Netz gibt es die besten Diskussionen und welche Tipps geben Experten? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Camilla Kohrs

Im Internet ist Diskutieren anders als in der Kneipe. Man sieht keine Emotionen, hört keine Zwischentöne, oft ist sogar der Name des Diskussionspartners unbekannt. Und nicht immer ist die Kommentatorin oder ihre Daten sicher. Wie also diskutiert es sich im Internet richtig - und sicher?

Hass, Beleidigungen, Lügen - wieso sollte man überhaupt im Internet diskutieren?

Hasskommentare haben einen spürbaren Einfluss auf die Meinung von politisch Unentschiedenen: So lässt sich das Ergebnis einer Studie grob zusammenfassen, die drei Medien- und Publizistikwissenschaftler von der Uni Mainz und der Uni Düsseldorf vorgenommen haben. Ihr Experiment: Versuchsteilnehmer wurden in Gruppen geteilt, die die gleichen Nachrichten vorgelegt bekamen. Eine Gruppe las in den Kommentarspalten Hasskommentare gegen Geflüchtete, eine andere ausgeglichenere. Das Ergebnis: Die zweite Gruppe war eher dazu bereit, Geld an Geflüchtete zu spenden, als die erste Gruppe, die eher an deutsche Obdachlose spendete. "Gerade Menschen, die unentschlossen sind, tendieren dazu, sich in Kommentarspalten eine Meinung zu bilden,", sagt Marc Ziegele, einer der beteiligten Forscher. Der Juniorprofessor der Uni Düsseldorf erforscht seit Jahren politische Online-Kommunikation. Ihm zufolge lesen etwa 40 Prozent der Internetuser mindestens einmal die Woche Kommentare unter Nachrichten.

Wie kann man in Online-Diskussionen überzeugen?

Susanne Tannerts Job ist es, bei Facebook zu kommentieren. Sie arbeitet seit zweieinhalb Jahren beim Verein #ichbinhier, dessen Mitglieder gezielt bei den Kommentaren mitdiskutieren. Sie empfiehlt: nachfragen und auf eine Lösung hinarbeiten. Wenn jemand Behauptungen aufstellt, ohne sie zu belegen, fordert sie Quellen. Wenn sich jemand über die Seenotrettung beschwert, fragt sie: "Was würden Sie machen?" Wenn jemand schreibt, dass für deutsche Rentner zu wenig und für Geflüchtete angeblich zu viel Geld da sei, versucht Tannert ihm eine Ebene anzubieten, an die er andocken kann. "Ich schreibe dann: Ich verstehe dein Anliegen, aber ich würde es anders lösen", sagt sie. Zum Beispiel, dass auch sie es nicht gerecht findet, wie der Wohlstand in Deutschland verteilt sei, dass das aber nicht die Schuld der Geflüchteten sei.

Was sind No-Gos?

Die Autorin Ingrid Brodnig warnt davor, zu viel Zeit für sinnlose Diskussionen aufzuwenden. "Die schwierigste Übung ist es, nicht zu antworten", sagt sie. Es helfe einem aber dabei, nicht dem sogenannte SIWOTI-Syndrom zum Opfer zu fallen. Das steht wörtlich für "Someone is wrong on the internet", auf Deutsch: "jemand im Internet hat Unrecht" und beschreibt das Phänomen, immer wieder alles mögliche klarstellen zu wollen. In den meisten Fällen, so Brodnig, führe das nur zu langen Diskussionen ohne Erkenntnisgewinn.

Lohnt es sich, mit Trollen zu diskutieren?

Brodnig unterscheidet zwei Arten von problematischen Kommentierern. Zum einen gebe es die Trolle, die vor allem provozieren wollten. Als eine zweite Gruppe typisiert Brodnig die von ihr so genannten "Glaubenskrieger", also Menschen, die so von ihrer Meinung überzeugt sind, dass sie mit Argumenten nicht mehr erreicht werden können. Bei beiden bringen sachliche Argumente wenig.

Wer kommentiert überhaupt im Internet?

Die Annahme, das vor allem junge, internetaffine Männer im Netz kommentieren, gilt inzwischen als überholt. Nach und nach schließe sich die Lücke zwischen Männern und Frauen, zwischen Jungen und Alten, sagt Forscher Marc Ziegele. Ihm zufolge kommentiert etwa ein Fünftel der Deutschen ab und an Nachrichten, etwa vier Prozent gelten als "heavy user", sie kommentieren besonders viel. Ziegele spricht ihnen folgende Eigenschaften zu: politisch stark interessiert, niedrigerer Bildungsstand, hohe wirtschaftliche Unzufriedenheit. Und: Sie sympathisieren häufiger mit der AfD. Menschen haben ganz unterschiedliche Gründe, warum sie online kommentieren. Nur ein Teil will tatsächlich diskutieren, viele wollen ihren Frust ablassen oder sich selbst darstellen.

Woher kommt der Hass im Netz? Wie reagiert man auf Beleidigungen und Drohungen?

Bereits 2004 beschrieb der US-amerikanische Psychologe John Suler den sogenannten Online-Enthemmungseffekt. Demnach liegt es vor allem an zwei Faktoren, dass Menschen im Netz teilweise anders diskutieren: die eigene Anonymität und die Unsichtbarkeit der anderen. Letztere führt dazu, dass das Gegenüber nicht als Individuum, sondern nur als Gegenmeinung wahrgenommen wird.

Diese Entmenschlichung kann jeden treffen, der im Netz kommentiert, vor allem aber öffentliche Personen, die zu einer Art Projektionsfläche werden. Gerade Frauen, die kommentieren, werden oft hart angegangen und auf sexistische und frauenfeindliche Weise beleidigt. Manche Kommentare können strafrechtlich relevant sein. Die Autorin Brodnig empfiehlt, solche Äußerungen zu dokumentieren, zum Beispiel mit einem Screenshot. Auf dem sollte nicht nur der Hasspost, sondern unbedingt auch die URL und die Uhrzeit stehen. Dafür gibt es auch verschiedene Add-ons für den Internetbrowser.

Warum Klarnamen gefordert werden und gute Diskussionen findet

Wie kann man sich schützen, wenn man in einen Shitstorm gerät?

Am besten schon Vorsorge treffen: Lässt sich im Internet rausfinden, wo man wohnt? Ob man Kinder hat? Wie die Telefonnummer lautet? "Wenn es im Internet steht, kann man sich sicher sein, dass es auch gefunden wird", sagt Daniel Moßbrucker, Journalist und Trainer für digitale Sicherheit. Nicht nur jene, die online posten, sind gefährdet. Auch der Job, ein Ehrenamt oder ähnliches kann einen zur Zielscheibe machen. Sollte man in einen sogenannten Shitstorm reingeraten, empfiehlt Moßbrucker, so weit wie möglich abzuwarten, bis die Meute weitergezogen ist. Das ändert sich, wenn es in den Bereich "Doxing" geht, falls also jemand gezielt persönliche Informationen sammelt und veröffentlicht. Auch hier ist wieder Vorsorge das wichtigste: sichere Passwörter und eine Zwei-Faktor-Authentifizierung.

Sollten dennoch personenbezogene Daten im Netz landen, sollte schnell versucht werden, die Weiterverbreitung auf den sozialen Netzwerken zu stoppen. Das heißt: die Posts bei Twitter und Facebook melden. Im Normalfall reagieren die bei personenbezogenen Daten schnell, sagt Moßbrucker. Da Doxing gegen Datenschutzrechte verstößt, kann man auch diese Fälle zur Anzeige bringen.

Twitter, Facebook, Youtube, in Kommentarspalten oder in special-interest-blogs - wo gibt es die beste Diskussion?

Es macht einen großen Unterschied, ob die Diskussion moderiert wird oder nicht, sagt Juniorprofessor Ziegele. Moderatoren machen die Regeln sichtbar, die bei einer Diskussion gelten, sorgen dafür, dass die Diskussion bei dem Thema bleibt, andere nicht beleidigt, Fehler oder falsche Informationen nicht unwidersprochen bleiben. Es hängt jedoch nicht nur von der Moderation ab. Einige Themen werden besonders emotional diskutiert, gerade wenn es um Werte geht, sagt Ziegele. Wie nah ist einem das Geschehen? Was hat das mit meinem Alltag zu tun? Das erklärt, warum eine Diskussion unter einem Fleischrezept viel aufgeheizter sein kann als unter einer abstrakten außenpolitischen Nachricht. Wer ausgeruhte und durchdachte Diskussionen sucht, findet die wahrscheinlich eher bei Seiten, die nur ein kleines, aber spezialisiertes Publikum ansprechen.

Jede Plattform hat ihre Eigenheiten: Facebook hat eine sehr breite Nutzerschaft, Medienseiten können hier ihre Kommentarspalten moderieren, Postings löschen oder ausblenden. Und man selbst kann in der Timeline sehen, dass ein Facebook-Freund beispielsweise einen Artikel auf der Facebookseite der Süddeutschen Zeitung kommentiert hat. Diese Art von sozialer Kontrolle gibt es in den Diskussionsforen auf SZ.de nicht. Dort müssen sich die Nutzer allerdings jeweils anmelden. Bei Twitter können hingegen Kommentare unter dem eigenen Tweet nicht gelöscht werden. Das kann nur Twitter selbst. Zwar hat die Plattform sich verpflichtet, strenger gegen hetzerische Inhalte vorzugehen. Viele Nutzer aber beschweren sich, dass die Plattform zu selten aktiv wird. "Viele echt üble Tweets dürfen stehen bleiben", sagt die österreichische Autorin Ingrid Brodnig.

Warum wird eine Klarnamenpflicht im Internet gefordert? Was spricht dagegen?

Einige Unionspolitiker haben sich gegen ein Recht auf Anonymität im Internet ausgesprochen: "Ich möchte wissen, wer hinter solchen Kommentaren steckt", sagte Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, "Für eine offene Gesellschaft ist es schwer erträglich, wenn sich die Menschen bei Debatten im Internet nicht offen gegenübertreten", sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron hatte sich dafür ausgesprochen.

Dafür ernteten sie Kritik. Netzaktivisten und Bürgerrechtler haben datenschutzrechtliche Bedenken, sie sehen die Meinungsfreiheit gefährdet und es widerspreche dem Charakter des Internets als grundsätzlich offenen Raum. Zudem ist der Nutzen umstritten: In Südkorea gab es bereits 2007 ein solches Gesetz. Die Beleidigungen gingen nur für eine kurze Zeit zurück, außerdem wurden sie kreativer, fand der südkoreanische Forscher Daegon Cho heraus. Das Gesetz wurde 2012 schließlich wieder abgeschafft.

Anm. der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, die Studie zu Hasskommentaren sei für das Leibniz-Institut vorgenommen worden. Richtig ist: Das GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften hat die Veröffentlichung bei Open Access unterstützt.

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