Wie man unter Terrorverdacht gerät:Die Gedanken sind Freiwild

Zugang zur Bibliothek, Bekanntschaft zu einem mutmaßlichen Brandstifter und überhaupt: intellektuelle Kapazität: Aufgrund dieser drei "Beweise" ist ein Berliner Soziologe unter Terrorverdacht geraten - und verhaftet worden.

Barbara Vorsamer

Der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm ist wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung festgenommen worden - mit Beweisen, die auf jeden Soziologen zutreffen könnten.

bibliothek (archivbild)

Bibliothek (Archivbild)

(Foto: Foto: dpa)

Die Bundesanwaltschaft nennt in ihrer Pressemitteilung "konspirative Kontakte und Treffen mit dem Beschuldigten Florian L." Florian L. gehöre zu den drei Personen, die in Berlin wegen des Verdachts auf Brandstiftung und des Verdachts auf Mitgliedschaft in der Terrorgruppe "militante gruppe" festgenommen wurden.

Konstruierte Beweise

Die Konspirativität der Treffen wurde Medienberichten zufolge daraus abgeleitet, dass die beiden Beschuldigten sich geheimnisvoll verhielten und ihre Mobiltelefone nicht mitgenommen hatten. Über den Inhalt der Gespräche sei der Bundesanwaltschaft aber nichts bekannt, so Verteidiger Sven Lindemann zu sueddeutsche.de.

Neben den Gesprächen stützt sich die Bundesanwaltschaft auf folgende Hinweise, so Lindemann:

Holm habe "als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der Erklärungen der 'militanten gruppe' erforderlichen Recherchen durchzuführen." Außerdem sei er intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Schreiben der Gruppe zu verfassen.

"Das trifft auf jeden Wissenschaftler zu", sagt Dieter Rucht, Professor für Soziologie an der Humboldt-Universität Berlin. "Das trifft auch auf mich zu."

Es könnte jeden treffen

Wie er erregten sich zahlreiche Wissenschaftler im In- und Ausland über die Begründung für die Inhaftierung Holms und taten dies in einem Protestbrief an die Bundesanwaltschaft kund. Zu den Unterzeichnern gehören renommierte Namen, unter anderen Richard Sennet von der London School of Economics, Saskia Sasssen von der Columbia Universität in New York und Margit Mayer von der Humboldt Universität Berlin.

Soziologe Rucht betont, dass dieses Schreiben keine Beurteilung über Schuld oder Unschuld von Holm sei. Aber: "Eine Verhaftung aus den veröffentlichten Gründen ist höchst problematisch, denn so könnte ein Verdacht gegen jeden Wissenschaftler konstruiert werden."

Die Texte der "militanten gruppe" würden jedoch Rückschlüsse auf den Autor zulassen, hieß es von der Bundesanwaltschaft. Weiter war aus Karlsruhe nichts zu erfahren.

Möglichkeit der Zitierung nicht erwogen

Den unterzeichnenden Wissenschaftlern kommt dieses Argument sehr konstruiert vor. Zwar sei es richtig, dass in den betreffenden Schriftstücken Begriffe wie "gentrification" (etwa: Veradelisierung) und "inequality" (Ungleichheit) vorkommen, die auch Holm in seinen akademischen Schriften verwendet.

Doch darauf eine Anklage zu stützen sei problematisch, so Rucht. Anwalt Lindemann fügt hinzu: "Die Möglichkeit, dass die 'militante gruppe' lediglich von Holm zitiert hat, wird von der Bundesanwaltschaft nicht in Erwägung gezogen."

Lindemann sagt, der Vorwurf gegen Holm und die drei Mitgefangenen, Mitglied der terroristischen Vereinigung "militante gruppe" zu sein, sei nicht hinreichend bewiesen.

Gegen die anderen drei liege darüber hinaus eine Anzeige wegen Brandstiftung vor. Bei diesem Vorwurf sind laut Lindemann die Beweise stichhaltiger. "Doch ohne den konstruierten Terrorismushintergrund wäre das keine große Sache und die Beschuldigten wären längst gegen Kaution wieder auf freien Fuß."

Das ist nun, drei Wochen nach ihrer Verhaftung, nicht der Fall.

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