Süddeutsche Zeitung

Transatlantische Beziehungen:Das Vertrauen in die Amerikaner ist zerrüttet

Die Präsidentschaft Donald Trumps hat bei Europäern das Ansehen der USA deutlich beschädigt, das belegt eine Umfrage in elf Ländern. Mit Grafiken.

Von Peter Lindner

Donald Trump geht, doch der politische Schaden bleibt - auch für das Ansehen der USA in Europa. Statt großem Zutrauen herrscht Skepsis, dass der neue Präsident Joe Biden den Niedergang der Vereinigten Staaten auf der weltpolitischen Bühne stoppen kann. Das ist das zentrale Ergebnis einer Befragung des European Council on Foreign Relations (ECFR) in elf europäischen Ländern, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Ende 2020 wurden etwa 15 000 Menschen unter anderem in Deutschland, Frankreich, Polen und Schweden befragt. Von ihnen glauben weniger als die Hälfte, dass die USA unter Biden ihre internen Zerwürfnisse in den Griff bekommen und zur Lösung internationaler Probleme wie dem Klimawandel, dem Frieden im Nahen Osten oder der europäischen Sicherheit beitragen werden.

Gleichzeitig ist fast ein Drittel aller Befragten dieser Untersuchung der Meinung, man könne den Amerikanern nicht trauen, nachdem sie 2016 Trump gewählt haben. In Deutschland sagen dies sogar 53 Prozent - in keinem der an der Umfrage beteiligten Länder ist das Misstrauen größer.

Fest stehe, dass die "wirre Präsidentschaft" Trumps Europas Haltung zu den Vereinigten Staaten einschneidend geprägt hat, betont der Studienautor und Politologe Ivan Krastev. Zusammen mit ECFR-Direktor Mark Leonard hat er die neuen Daten zum Blick der Europäer auf Bidens Amerika in der Studie ausgewertet. Die Eskalation der politischen Entwicklungen, zuletzt mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington im Januar, war zur Zeit der Erhebung noch nicht absehbar. Sechs von zehn Europäern gaben dennoch bereits an, dass sie das politische System der USA für zerrüttet halten.

Den dramatischen Vertrauensverlust spiegeln weitere Untersuchungsergebnisse. So sind etwa zwei Drittel der Befragten der Meinung, ihr Land könne sich im Falle einer größeren Krise nicht auf die Unterstützung der USA verlassen. In der Bundesrepublik vertritt mit 60 Prozent ein etwas geringerer Anteil diese Ansicht.

Eine Mehrheit wünscht sich mehr Neutralität und europäische Souveränität

Das wiederum hat offenbar Auswirkungen darauf, was Europäer von ihren Politikern erwarten. Zwei Drittel der Teilnehmer sprechen sich dafür aus, dass sich Europa um eigene militärische Ressourcen kümmern solle anstatt sich vor allem auf die Amerikaner zu verlassen. Eine Mehrheit glaubt, dass China die Vereinigten Staaten innerhalb des nächsten Jahrzehnts als führende Supermacht ablösen wird.

Gleichzeitig herrscht bei den Europäern offenbar nur eine sehr begrenzte Bereitschaft, die USA bei möglichen internationalen Streitigkeiten zu unterstützen. In allen elf Ländern findet mindestens die Hälfte der Befragten, dass ihre Regierung bei einem Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China eine neutrale Haltung einnehmen sollte. In keinem Land würde sich eine Mehrheit an die Seite Washingtons stellen wollen.

Gute Beziehungen zu Deutschland halten viele für das Wichtigste

Im Gegensatz zur Haltung vieler Staats- und Regierungschefs gehe es den Bürgern demnach nicht darum, eine wichtigere Rolle in der Weltpolitik zu spielen, erklärt Studienautor Krastev. Vielmehr bedeute "europäische Souveränität" für viele Befragte, eine gewisse Neutralität und eine weniger risikobeladene Außenpolitik anzustreben.

Angesichts des getrübten Verhältnisses zu den USA baut die Bevölkerung offenbar verstärkt auf gegenseitige Unterstützung innerhalb Europas. Laut der Studie wird meist Deutschland für das wichtigste Land gehalten, mit dem "eine gute Beziehung" gepflegt werden sollte. Die USA sehen hier nur noch die Befragten in Großbritannien, Polen, Italien und Schweden vor der Bundesrepublik.

Die Untersuchung zeige, dass die neue US-Regierung allen Grund habe, "sich nicht nur vor den giftigen Spaltungen zu Hause zu fürchten, sondern auch vor der Stimmung der Europäer, wenn Amerika in die Welt zurücktritt", so die Bilanz der Verfasser der Studie.

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