Eigentlich sollte ein gemeinsames europäisches Asylrecht bis spätestens Ende 2012 unter Dach und Fach sein. Aber diesem geplanten Asylrecht ergeht es wie dem Berliner Großflughafen; der Fertigstellungstermin wird ein- ums andere Mal hinausgeschoben. Soeben wurde im Europaparlament die Abstimmung über die mit dem Rat der EU gefundenen Kompromisse zu einer überarbeiteten "Dublin-Verordnung" und zu einer "Aufnahme-Richtlinie" wieder abgesetzt. Nach SZ-Informationen versuchen die nationalen Regierungen, zuvorderst das Bundesinnenministerium, ein neues, großes Flüchtlings-Gesamtpaket zu schnüren.
Die Dublin-Verordnung legt den Grundsatz fest, dass nur ein einziger Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist - und zwar der Staat, den der Flüchtling als erstes betritt; also nicht der, in dem er seinen Asylantrag stellt. Diese Regel nutzt vor allem Deutschland, weil es von einem Kranz von EU-Ländern umgeben ist, den sogenannten Drittstaaten.
Abschiebung in Drittstaaten
Ein Flüchtling, der auf seiner Flucht seinen Fuß auf einen anderen als den deutschen gesetzt hat, wird in diesen Drittstaat abgeschoben, mag er noch so eindringlich und glaubhaft von Verfolgung berichten; es zählt nur der Weg, auf dem er gekommen ist; auf diesen Weg wird er nach den geltenden Dublin-Regeln (benannt nach dem Beschluss-Ort) sofort und ohne weitere Prüfung zurückgeschickt.
Die neugefasste Dublin-Verordnung (Dublin III) versucht (nicht zuletzt auf Druck der Gerichte) diesem Verfahren einige Schärfen zu nehmen: Erstens wird anerkannt, dass in Drittstaaten Situationen eintreten können, die Rücküberstellungen in diese Staaten als menschenrechtswidrig erscheinen lassen.
Zweitens wird die Rechtsstellung von Minderjährigen verbessert; für sie muss ein Rechtsbeistand bestellt werden. Und wenn sie keine Angehörigen in einem anderen EU-Land haben, ist für sie der Staat zuständig, in dem sie den Asylantrag gestellt haben.
Klagemöglichkeit gegen Abschiebung
Drittens: Besonders schutzbedürftige Flüchtlinge (zum Beispiel Schwangere) die auf den Beistand eines Familienmitglieds angewiesen sind, sollen nicht in andere EU-Länder abgeschoben werden, sondern da bleiben dürfen, wo dieses Familienmitglied legal lebt.
Viertens: Gegen die Abschiebung in einen Drittstaat soll der Flüchtling künftig klagen können; das erzwingt in Deutschland eine Änderung des Asylverfahrensgesetzes. Das Grundproblem des Dublin-Verfahrens aber bleibt: Asylsuchende werden weiterhin nach zufälligen Kriterien europaweit verteilt und verschickt.
Die geplante Aufnahmerichtlinie will außerdem Normen definieren, die in allen 27 EU-Staaten bei der Aufnahme von Flüchtlingen gelten sollen: Dazu gehören eine angemessene Unterbringung und medizinische Versorgung. Als angemessenen Unterbringung wird freilich auch das Gefängnis betrachtet: Asylbewerber können nach der geplanten Richtlinie zur Feststellung ihrer Identität, bei Gefahr des Untertauchens oder zum Schutz der nationalen Sicherheit und Ordnung inhaftiert werden.
Stefan Keßler vom Flüchtlingsdienst der Jesuiten in Brüssel stellt dazu fest, dass damit die Richtlinie nur widerspiegle, "was in vielen Mitgliedsstaaten bereits Praxis ist". Allerdings müssen die Staaten künftig "Alternativen zur Haft" vorrangig prüfen. Auch besonders verletzliche Flüchtlinge - Kinder, Jugendliche, schwangere Frauen "Opfer von Menschenhandel" - nimmt die geplante Richtlinie von der Haft nicht aus.
Arbeitsverbot wird auf neun Monate verkürzt
Einige der Neuregelungen bringen Verbesserungen für Flüchtlinge in Deutschland: Hier gilt bisher ein zwölfmonatiges Arbeitsverbot; es wird auf neun Monate verkürzt. Insgesamt bringen nach den Einschätzungen der Flüchtlingshilfsorganisationen weder Dublin III noch die neue Aufnahmerichtlinie entscheidende Verbesserungen, die ein faires Asylverfahren oder angemessene Lebensbedingungen für Flüchtlinge garantieren.
Die neue Dublin-Verordnung und die Aufnahmerichtlinie hätten ursprünglich schon am 19. Dezember im EU-Parlament verabschiedet werden sollen. Die Behandlung wurde nun auch für die Januar-Sitzung abgesetzt. Grund dafür ist offenbar, dass es noch weitere Verordnungen und Richtlinien gibt, die mit Flüchtlingen zu tun haben - die noch nicht fertig verhandelt sind.
Auf Wunsch Deutschlands soll das alles "im Paket" beschlossen werden. Dem EU-Parlament sollen "Zugeständnisse" bei der Dublin-Verordnung und der Aufnahmerichtlinie nur dann gemacht werden, wenn das Parlament erstens den Zugriff der Sicherheitsbehörden auf die Fingerabdrücke der Flüchtlinge in der Eurodac-Datei umfassend genehmigt und sich zweitens bei der Asylverfahrensrichtlinie konziliant zeigt; darin will sich Deutschland unter anderem sein gegenwärtig praktiziertes Asylprüfungsverfahren auf Flughäfen abgesegnen lassen.