Der Umsturzversuch der militärischen Verschwörer brach am 20. Juli 1944 in Berlin ziemlich rasch in sich zusammen, als sich herumgesprochen hatte, dass Adolf Hitler das Attentat in Ostpreußen überlebt hatte. Besser sah es da zeitweise in Paris aus. Nach dem Anschlag sahen die 400 Ermittler des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) jedenfalls den Reserveoffizier der Luftwaffe Cäsar von Hofacker als „Kopf des Putsches“ in Frankreich an. Sein Vetter war der Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Und dennoch ist sein Leben und Wirken bis heute trotz der enormen Menge an Widerstandsliteratur erstaunlich wenig präsent.
Die Enkelin Cäsar von Hofackers, Valerie von Riedesel, gleicht das Defizit mit einer persönlichen Betrachtung dieses zentralen Akteurs aus. Geschickt verbindet sie dabei den Forschungsstand mit der Auswertung nachgelassener privater Briefe Hofackers. Auf dieser Spur versucht sie sich seiner Person und seiner Wandlung vom Anhänger der Hitler-Bewegung bis zum entschiedenen NS-Gegner zu nähern. Ihre Erzählung fügt fast tastend die vielen Mosaiksteine seines Lebens zusammen.
Verbindungsglied zwischen Berlin und Paris
Cäsar von Hofacker, Jahrgang 1896, war Jurist, in den 1930er-Jahren Prokurist der monopolartigen Vereinigten Stahlwerke in Berlin, während des Zweiten Weltkrieges in leitender Funktion für den Montanbereich der Besatzungsverwaltung in Paris tätig. In Kenntnis der Pläne des militärischen Widerstands gegen Hitler ließ er sich 1943 eigens in den persönlichen Stab von Militärbefehlshaber Carl-Heinrich von Stülpnagel versetzen. Über die Verschwörung informiert hatte ihn sein Freund Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg. In dieser Position als Stabschef war Hofacker das entscheidende Verbindungsglied der Widerstandszentren Berlin und Paris.
Aufgewachsen in einem aristokratisch-monarchistischen Offiziersmilieu (seine Mutter war eine geborene Üxküll-Gyllenband) entsprach er den deutsch-nationalen Erwartungen seines Standes. Voller Pathos begrüßt er den Kriegseintritt des Kaiserreichs 1914. Nach der Niederlage 1918 einte die Ablehnung des Versailler Friedensvertrages die breite Masse, im März 1920 trat er dem Nationalen Studentenbund der Universität Tübingen bei. Hier fühlte er sich aufgehoben, „ein wunderliches Gemisch aus Bierdunst, Sonnenmythos, Militärmusik erschlug die blasse Lebensangst“ zitiert die Autorin Ernst von Salomon. Sehr gründlich listet sie die zentralen Elemente auch Hofackers völkisch-nationaler Grundeinstellung auf (Deutschland könne sich nur befreien durch „krassen nationalen Egoismus“). Darin blieb er sich zunächst treu, im August 1934 schrieb er an seine Mutter: „Hitler ist nun einmal das deutsche Wunder. Ich hänge ihm mit jeder Faser meines Herzens an.“ Familiärer Einfluss brachte ihn zum Nachdenken. Es war der Kreis um Nikolaus Graf von Üxküll-Gyllenband und Schulenburg, die 1939 in Verbindung zu einer Gruppe aktiver Offiziere der Wehrmacht standen, die Hitler wegen seiner Kriegspolitik beseitigen wollten. Wie eine Spaltung mutet an, als Hofacker noch im Frühjahr des gleichen Jahres Hitlers „einmaliges Genie“ rühmte.
Nach der Kapitulation Frankreichs übernahm Hofacker im Juni 1940 als Wirtschaftsjurist die Leitung des Referats „Eisen und Stahl“. Seine Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, maximale Produktion von französischem Stahl für die deutsche Kriegsindustrie sicherzustellen. Gleichwohl fand er als Frankophiler in Maßen sogar eine Verständigung mit der dortigen Industrie. Begünstigend kam hinzu, dass die deutsche Besatzungsadministration nicht wie im besetzten Osten der Partei und Gestapo unterstand, sondern der Zivilverwaltung, was die Repression zumindest ein wenig linderte. Das Jahr 1942 war insoweit eine Zäsur, als der Hitler-Gegner Carl-Heinrich von Stülpnagel Befehlshaber wurde und zugleich die SS die Kompetenz über Polizei und systematische Judenverfolgung beanspruchte. In der tragischen Folge kamen 23 Prozent der in Frankreich lebenden Juden ums Leben.
Natürlich sah sich Hofacker mit dieser Entwicklung konfrontiert, und folgerichtig stellt die Autorin die Frage, zu welchem Zeitpunkt er zur Einsicht kam, das NS-System müsse als verbrecherisch zumindest an der Spitze beseitigt werden. Vielleicht versuchte er dieser Entscheidung noch aus dem Weg zu gehen: „Mein heimliches Sehnen geht stärker denn je weg von Paris und zur Front“. Er hielt dies im August 1942 fest. Doch er blieb, wurde Leiter der Pariser Außenstelle „Zentrale Planung“. Seine Anklagen gegen die brutale Ausplünderung Frankreichs, die Kriegsverbrechen wuchsen, erhaltene geheime Denkschriften dokumentieren dies. Unmittelbare Zeugen attestierten ihm die Entschlossenheit, „dass dieses Regime um jeden Preis gestürzt werden müsse“.
Als sein Freund Schulenburg im Sommer 1943 in Paris nach Verbündeten des sich formierenden militärischen Widerstands suchte, entzogen sich Hofacker und Stülpnagel nicht. Dieses neue Zentrum in Paris bezog der militärische als auch zivile Widerstand sehr genau ein: Helmuth James Graf Moltke reiste dreimal mit neuesten Ergebnissen der Kreisauer Treffen über Brüssel nach Paris. Die Resonanz ermutigte ihn, die Möglichkeiten eines Separatfriedens mit den Westalliierten auszuloten. Leider ist über diese Netzwerke nur wenig erhalten. Sukzessiv formierte sich der Widerstand, gelähmt jedoch vom Zaudern der Generalität, vergeblichen Versuchen, entscheidende Akteure einzubinden, gescheiterten Attentatsversuchen wie im März 1943. Die Autorin streift diese gut aufgearbeiteten Abläufe nur am Rande und bleibt dem Kern einer Biografie Hofackers treu.
Koordinator des Umsturzes
Erst mit Stauffenbergs Funktion als Generalstabschef des Allgemeinen Heeresamts zum 1. Oktober 1943 entwickelte sich eine neue Dynamik in der Widerstandsplanung. Paris war jetzt der Knotenpunkt der Verbindung zu den Westalliierten mit Hofacker als zentraler Figur. Nach einem Putsch sollte er die Leitung der politischen Beratung der Militärspitzen im Westen übernehmen. Einstweilen organisierte und koordinierte er alle Vorbereitungen für einen Umsturz in der französischen Hauptstadt. Die Inhaftierung von SS und SD, die Aburteilung der SS-Spitzen waren bis ins Detail geplant.
Sehr plastisch referiert Riedesel den Ablauf des Putsches in Paris. Wie geplant wurden nach einem Telefonanruf Stauffenbergs etwa 1200 SS- und Gestapo-Mitglieder wie auch die höheren SD-Führer problemlos inhaftiert. Als NS-treue Einheiten in Berlin und auch Paris nach Hitlers Radioansprache am 21. Juli um ein Uhr nachts wieder die Macht übernahmen, zeigte sich Hofacker tief betroffen über den Opportunismus der Generäle und begann, alle persönlichen Dokumente zu vernichten. Er wurde am Morgen verhaftet.
Schon beim ersten Verhör gab Hofacker alles zu, bezeichnete sich als Alleinverantwortlichen und versuchte, seine Motive darzulegen. Im Kern prangerte er die Besatzungspolitik generell an, das Chaos der Verwaltung, die Ausbeutung der Wirtschaft, die unmenschliche Repression der Bevölkerung und das Übermaß jedes Eingriffs. Stülpnagel wurde ins Oberkommando der Wehrmacht Berlin zitiert, versuchte auf dem Weg nach Berlin vergeblich, sich das Leben zu nehmen, in der Folge erblindete er und wurde in diesem Zustand vom Volksgerichtshof verurteilt und am 30. August hingerichtet. Cäsar von Hofacker wurde nach Berlin überstellt, ebenfalls aus der Wehrmacht ausgestoßen, fiel damit in die Zuständigkeit von Freislers Volksgerichtshof und wurde in nicht öffentlicher Verhandlung auch am 30. August zum Tode verurteilt. Bis zu seiner Ermordung am 20. Dezember blieb er der Tortur der Gestapo-Zentrale ausgesetzt, weil man hoffte, doch noch mehr über die Hintergründe des Putsches zu erfahren. Die Familie wurde in sogenannte Sippenhaft genommen, über ihre Odyssee schrieb die Autorin 2017 bereits ein Buch.
Valerie Riedesels Biografie ihres Großvaters ist ein sehr berührendes, behutsames, präzises Werk über einen heute aus dem Blick gefallenen, gleichwohl sehr wichtigen Aspekt des Widerstands vom 20. Juli 1944.