Widerstand:Kämpferisch gegen die Wand

Ein Bündnis aus Politikern und Demonstranten will den Brexit noch abwenden - doch Premier May dürfte hart bleiben.

Von Christian Zaschke

Gleich zu Beginn machte Theresa May klar, dass es tatsächlich vorbei ist: Großbritannien werde die EU verlassen, unwiderruflich. "Dies ist ein historischer Moment, von dem es kein Zurück gibt", sagte die Premierministerin am Mittwoch im Parlament. Insgesamt war ihre Rede zum offiziellen Beginn des EU-Austritts im Ton viel freundlicher als ihre Äußerungen der vergangenen Monate. Das ist der Tatsache geschuldet, dass sie in den kommenden zwei Jahren mit Vertretern der EU über die Details des Austritts verhandeln muss. Doch bei aller Konzilianz machte sie unmissverständlich klar, dass ein Verbleib in der EU ausgeschlossen ist.

Ursprünglich war eine große Mehrheit der 650 Abgeordneten des Unterhauses gegen den Austritt gewesen. Den harten Kern der Brexit-Befürworter bildeten nur etwa 100 Konservative, die nun den Ton angeben. Seit beim Referendum im vergangenen Juni die Mehrheit für den Austritt war, betonen sie, es gebe keine Alternative dazu, den Willen des Volkes zu respektieren. Unmittelbar nach der Abstimmung hatten einige Politiker und Kommentatoren noch bezweifelt, dass es tatsächlich zum Austritt kommen würde, eben weil das Parlament zustimmen muss. Die Mehrheit der Parlamentarier fühlt sich jedoch durch das Referendum gebunden. Mittlerweile zweifelt niemand mehr daran, dass der Brexit vollzogen wird.

Widerstand: Es gibt sie noch, die EU-Anhänger in Großbritannien, am Mittwoch protestiert einer in London.

Es gibt sie noch, die EU-Anhänger in Großbritannien, am Mittwoch protestiert einer in London.

(Foto: Stefan Wermuth/Reuters)

Ein Kämpfer gegen den Austritt ist der ehemalige Premierminister Tony Blair. Im Februar hielt er in London eine bemerkenswerte Rede, in der er vor den Folgen des Brexit warnte. "Es ist Zeit, sich zu erheben und das zu verteidigen, an das wir glauben", sagte er. Die Brexit-Befürworter müssten umgestimmt werden, weil sie nicht oder nur unzureichend über die Folgen der Entscheidung informiert worden seien. Es steige auch das Risiko, dass sich Schottland abspalte, sagte Blair seinerzeit. An diesem Dienstag hat das schottische Parlament beschlossen, ein zweites Unabhängigkeitsreferendum zu fordern, nachdem sich im ersten Anlauf im Jahr 2014 noch 55 Prozent der Wähler für den Verbleib im Vereinigten Königreich entschieden hatten.

Tim Farron, der Chef der Liberaldemokraten, hielt eine leidenschaftliche Rede

Blair fordert eine parteiübergreifende Koalition von Brexit-Gegnern, um der Regierung etwas entgegenzusetzen. Er will eine Kampagne starten, um möglichst viele Menschen umzustimmen. Ein Problem: Der ehemalige Premier ist ziemlich unbeliebt, seit er das Land 2003 in den Irakkrieg geführt hat. Viele Brexit-Befürworter begrüßen Blairs Engagement deshalb sogar, weil sie glauben: Wenn Blair vom Austritt abrät, sind die Leute erst recht dafür.

Dass Blair mit seinen Ansichten nicht allein steht, war am Samstag in London zu sehen. Zehntausende Menschen gingen auf die Straße, um für Europa zu demonstrieren. Massendemonstrationen für die EU sieht man auf der Insel wirklich nicht alle Tage. Die Stimmung war kämpferisch, Tim Farron, der Chef der Liberaldemokraten, hielt eine leidenschaftliche Rede, in der er ähnlich argumentierte wie Tony Blair. Farron ist dafür, dass die Briten in einem weiteren Referendum über das Ergebnis der Austrittsverhandlungen abstimmen - und den Brexit dabei gegebenenfalls zurücknehmen können. Doch weder die Demonstration noch das Engagement von Blair oder Farron werden den Prozess aufhalten oder gar rückgängig machen. Theresa May hat kategorisch ausgeschlossen, dass es ein zweites Referendum gibt. Den Satz "Brexit heißt Brexit" hat sie monatelang so oft wiederholt, dass sie wirkte wie ein Sprechautomat. Ihr neues Mantra lautet übrigens: "Brexit bedeutet ein Land, das für alle funktioniert, nicht nur für die privilegierte Minderheit."

Theresa May klang am Mittwoch teilweise so, als wolle sie der EU beitreten

Was der Brexit genau bedeutet, bleibt hingegen weitgehend unklar. Als sicher gilt, dass Großbritannien nicht länger Mitglied des europäischen Binnenmarktes bleibt, weil die Voraussetzung dafür wäre, der Freizügigkeit innerhalb der Mitgliedsstaaten zuzustimmen. May hat das Votum für den Brexit jedoch in erster Linie als Aufforderung verstanden, die Einwanderung stärker zu kontrollieren. Früh in den Verhandlungen soll geklärt werden, dass sich für bereits in Großbritannien lebende EU-Bürger nichts ändert. Im Gegenzug sollen die Rechte von auf dem Kontinent lebenden Briten garantiert werden.

Widerstand: In Brüssel übergibt der britische EU-Botschafter Tim Borrow (links) den Scheidungsbrief an EU-Kommissionschef Donald Tusk.

In Brüssel übergibt der britische EU-Botschafter Tim Borrow (links) den Scheidungsbrief an EU-Kommissionschef Donald Tusk.

(Foto: Emmanuel Dunand/AFP)

Teile von Mays Rede am Mittwoch klangen, als wolle sie der EU beitreten. Sie sprach davon, dass man "eine neue, tiefe Partnerschaft" beginnen wolle. Gerade in diesen Zeiten brauche die Welt mehr von den "liberalen und demokratischen Werten Europas". Dieser Satz löste auf den Bänken der EU-freundlichen Liberaldemokraten sarkastisches Gelächter aus. Als sie sagte, der Austritt werde die Einheit des Landes stärken, war es an den Abgeordneten der Scottish National Party (SNP), ihren Unmut auszudrücken. May sagte: "Lasst uns zusammenkommen und zusammenarbeiten." Bei diesen Worten schüttelte Angus Robertson, Fraktionschef der SNP, energisch den Kopf und sagte: "Nein!"

Als May ihre Rede beendet hatte, beugte sich Außenminister Boris Johnson zu ihr, um zu gratulieren. Die Rolle von Johnson auf dem Weg zu diesem historischen Mittwoch ist nicht zu unterschätzen. Anfang der Neunzigerjahre hat er als Korrespondent des Daily Telegraph in Brüssel einen Stil entwickelt, der die EU konsequent lächerlich machte. In die für seine Artikel nötige Rage brachte sich Johnson, indem er zunächst die Yucca-Palme in seinem Büro anschrie. Johnsons Stil wurde bald von vielen britischen Blättern kopiert. So kam es, dass die EU auf der Insel seit mehr als zwei Jahrzehnten eine miserable Presse hat, was in der Referendumskampagne eine wichtige Rolle spielte.

Das Werk, das er begonnen hatte, vollendete Johnson im vergangenen Jahr, indem er sich gegen Premierminister David Cameron stellte und für den Austritt warb, weil er sich davon bessere Aussichten versprach, Premier anstelle des Premiers zu werden. Immerhin ist er nun Außenminister. Johnson war damals der populärste konservative Politiker, und es gilt als sicher, dass seine Entscheidung, für den Brexit zu werben, die Abstimmung entscheidend beeinflusst hat. Als Theresa May am Mittwoch sagte, dass es jetzt kein Zurück mehr gebe, nickte er.

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