Widerstand gegen EU-Haushalt:Die Klugen haben nachgegeben

EU-Parlament in Straßburg

Die Abgeordneten des EU-Parlamemts leisten Widerstand gegen den beschlossenen EU-Haushalt.

(Foto: dpa)

Das Europäische Parlament hat früher allzu oft der Versuchung des verbalradikalen Resolutionismus nachgegeben. Doch mit seiner Forderung, den EU-Haushalt nachzuverhandeln, zeigt es sich nun als verantwortungsbewusster Akteur. Damit stärkt es seine Rolle, was Europa nur guttun kann.

Ein Kommentar von Martin Winter, Brüssel

Es zeugt von politischer Reife, dass das Europäische Parlament jetzt seinem ersten Impuls widerstanden hat, einen großen Streit mit den EU-Staaten über den künftigen Haushalt der Gemeinschaft vom Zaune zu brechen. Die Abgeordneten sind mit gutem Grund unzufrieden mit dem Sparetat, den ihnen die 27 Regierungen präsentiert haben. Und sie hätten es in der Hand gehabt, ihn in Bausch und Bogen zu verwerfen.

Aber mitten in der Euro-Krise einen Konfrontationskurs gegen die Mitgliedsländer einzuschlagen, hieße das ohnehin nicht große Ansehen der europäischen Institutionen bei den Bürgern weiter zu schädigen. Dabei braucht die EU in diesen schweren Zeiten nichts so sehr wie das Vertrauen der Menschen in ihre Funktionsfähigkeit - und darein, dass Streitereien in Brüssel nicht zu Lasten der Bürger gehen.

So zeigt sich jenes Parlament, das früher allzu oft der Versuchung des verbalradikalen Resolutionismus nachgab, nun als verantwortungsbewusster Akteur. Und es stärkt damit seine Rolle, was Europa nur guttun kann.

Denn so richtig es ist, dass in den Hochzeiten der Krise schnell gehandelt werden musste, was nur die Mitgliedsländer oder die Euro-Gruppe können, so richtig ist auch, dass der langfristige Umbau der Wirtschafts- und Währungsunion und die Stabilisierung der Europäischen Union gut überlegt und öffentlich debattiert sein will. Der Ort für diese Debatte ist das Europaparlament - aber eben nur dann, wenn es sich als eine Volksvertretung erweist, die sich ihrer großen Verantwortung bewusst ist und sich nicht in den in Brüssel so beliebten innerinstitutionellen Machtspielchen verhakelt.

Es ist eine ganz natürliche Reaktion, dass sich die Menschen in der Krise vor allem an ihren nationalen Regierungen und Interessen orientieren. Umso wichtiger ist es, die europäische Demokratie zu stärken und sichtbarer zu machen. Das Europaparlament ist da auf einem guten Weg.

Ingredienzien für ein demokratischeres Europa

Dort, wo es im Interesse der Bürger war, den harten Konflikt mit den Mitgliedsstaaten und mit der Kommission zu suchen, hat es ihn nicht gescheut, etwa beim umstrittenen Bankdatentransfer in die USA. Bei den verschiedenen Programmen zur Stabilisierung der Währung hat es hart, aber erfolgsorientiert verhandelt und Verbesserungen durchsetzen können.

Doch das Europaparlament ist im Bewusstsein der Menschen noch nicht das, was es sein will und was es sein muss: ihre europäische Volksvertretung, die nicht weniger wichtig ist, als die jeweilige nationale Abgeordnetenkammer. Im kommenden Jahr finden die Europawahlen statt, und es wäre ein Desaster für die europäische Demokratie und für das politische Gewicht des Europaparlamentes, wenn sich wieder nur eine Minderheit der Europäer an den Wahlurnen einfinden würde.

Die Absicht der großen Parteifamilien, also der Christlich-Konservativen und der Sozialdemokraten, mit europaweiten Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten in den Wahlkampf zu ziehen, kann die Wahl attraktiver machen. Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sie Einfluss auf diese zentrale Personalentscheidung haben, dann werden sie die Wahl ernster nehmen und ihre Stimmen weniger an Protestparteien verschenken.

Ein politisch selbstbewussteres Parlament, ein Chef der Kommission, der aus freien Wahlen hervorgeht und nicht zwischen den Regierungen ausgemauschelt wird, das sind einige Ingredienzien für ein demokratischeres Europa. Dafür bedarf es freilich auch eines Umdenkens bei den Mitgliedsstaaten. So lange die EU kein Bundesstaat wird, bleiben sie zwar die Herren der Union. Funktionieren wird diese auf Dauer aber nur, wenn die Hauptstädte die europäische Volksvertretung als einen Partner auf Augenhöhe annehmen.

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