Süddeutsche Zeitung

Widerstand gegen Regierungspläne:"Kniefall vor der Atomindustrie"

Die SPD will gegen mögliche Vereinbarungen der Koalition mit der Atomindustrie klagen. Auch Grüne und Linke protestieren heftig gegen die schwarz-gelben Atompläne.

Von "Wortbruch" und Sinneswandel" spricht der Grünen-Politiker Hans-Joachim Fell, wenn es um die Atompläne der Regierung geht. "Die Bundesregierung hat Laufzeitverlängerungen immer damit begründet, dass die Einnahmen aus der Brückentechnologie Atomstrom verwendet werden sollen, um erneuerbare Energien weiter zu fördern", sagte der energiepolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. "Dass die Regierung das nun kippt, sollte jedermann die Augen öffnen."

Zuvor hatte die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass die schwarz-gelbe Koalition von der eigentlich geplanten zweiten Kernenergie-Abgabe abrückt. Auch die Brennelementesteuer scheint alles andere als sicher zu sein. Kanzlerin Angela Merkel sagte im ZDF: "Solange kein anderer Vorschlag auf dem Tisch ist, bleibt es bei der Steuer."

"Vage wie immer" findet Energiepolitiker Fell diese Aussage. Die Kanzlerin zeige keine Führungskraft, sondern mache "den Kniefall vor der Atomindustrie." Noch im Juli hatte es in der schwarz-gelben Koalition geheißen, dass zusätzlich zur Brennelementesteuer mit einem Volumen von 2,3 Milliarden Euro pro Jahr zur Haushaltssanierung eine zweite Abgabe in ähnlicher Größenordnung geplant sei.

Dorothée Menzner, energiepolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, sagte: "All diese Debatten um zweite Atomabgabe und Brennelementesteuer vernebeln, dass es eigentlich um die Laufzeiten und um den Bruch eines gültigen Vertrages geht." Ihrer Meinung nach wäre die Brennelementesteuer lediglich ein Instrument, um die bestehende Bevorzugung der Atomkraft ein klein wenig einzudämmen.

Schon den Atomausstieg von Rot-Grün hält die Politikerin der Linken für einen Minimalkonsens und sagt: "Unsere Position als Linke ist der schnellstmögliche Atomausstieg. Wir sind dagegen, jetzt, wo es um konkrete Abschalttermine geht, den bestehenden Vertrag aufzukündigen."

Sollte es tatsächlich zu Vereinbarungen zwischen Regierung und Energiekonzernen kommen, will die SPD dagegen klagen. Das sagte der SPD-Energieexperte Ulrich Kelber der Welt. "Sollten die längeren Laufzeiten tatsächlich durch einen Vertrag mit der Atomindustrie und nicht durch ein vom Bundestag verabschiedetes Gesetz beschlossen werden, würde das Parlament auf diese Weise auf Jahrzehnte entmündigt", sagte Kelber. Man werde das höchste Gericht anrufen, falls der Bundesrat bei der Entscheidung über die Atomlaufzeitverlängerung umgangen werde, außerdem wenn Laufzeiten verlängert würden, ohne vorher Sicherheitsstandards festzulegen.

Merkel begrüßt die Kampagne

FDP-Chef Guido Westerwelle geht unterdessen von einer Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke um zehn bis 15 Jahre aus. Auf eine entsprechende Frage im ARD-Sommerinterview sagte der Vizekanzler: "Ich glaube, die Größenordnung, die Sie jetzt genannt haben, auf die kommt es jetzt auch an, und darauf läuft es auch hinaus."

Hinsichtlich der Instrumente, mit denen Zusatzgewinne der Energiewirtschaft bei Atom-Laufzeitverlängerungen abgeschöpft werden sollen, bevorzugt Westerwelle eine Fonds-Lösung statt der Brennelementesteuer - genauso wie die Industrie. Mit großformatigen Anzeigen werben 40 Befürworter der Kernkraft derzeit für Laufzeitverlängerungen und das Fonds-Modell. Kanzlerin Angela Merkel begrüßte diese Kampagne. Sie finde es gut, dass sich auch diese Seite zu Wort melde, sagte sie.

Energiepolitiker Fell hingegen kritisiert die Kanzlerin: "Eine Politik, die erst eine Steuer ankündigt, und dann mit denen, die sie zahlen sollen, darüber verhandelt, wie viel diese zahlen wollen - eine solche Politik ist käuflich."

Marie-Luise Dött, umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, teilt zum Thema Brennelementesteuer und Fondsmodell mit: "Eine wie auch immer aussehende Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke führt zu einer Abschöpfung eines Teils der Gewinne. So haben wir es im Koalitionsvertrag festgelegt und so wird es kommen. Mit welchen Instrumenten die Abschöpfung realisiert wird, wie hoch sie ist und wofür die Mittel dann verwendet werden, ist Teil der Verhandlungen."

Auch der FDP-Politiker Klaus Breil verweist auf den schwarz-gelben Koalitionsvertrag. Er sei "nach wie vor Vertragsgrundlage". Der energiepolitische Sprecher der Liberalen hält eine vertragliche Lösung zwischen der Industrie und der Bundesregierung für denkbar.

Anti-Atom-Demonstration in Berlin

Wenig hält stattdessen der energiepolitische Sprecher der SPD von einem Fondsmodell. Der Bundestagsabgeordnete Rolf Hempelmann findet schon die Koppelung zwischen der Abgabe der Atomkonzerne und einer Laufzeitenverlängerung - wie im schwarz-gelben Koalitionsvertrag festgeschrieben - problematisch. "Die SPD will eine von Laufzeiten unabhängige Brennelementesteuer", sagte er. Eine solche Steuer lasse sich seriös durch die Nachteile begründen, die die kleineren Wettbewerber der "Großen Vier" (Eon, RWE, EnBW und Vattenfall) hätten, so Hempelmann.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen forderte unterdessen, an der Belastung der Stromkonzerne in Höhe von 2,3 Milliarden Euro jährlich dürfe nicht mehr gerüttelt werden. "Der Konsolidierungsbeitrag wird auf jeden Fall erbracht und als Summe auch schon Anfang September beschlossen werden", sagte Röttgen dem Spiegel. Offen seien nur noch die Form sowie die Frage der Gewinnabschöpfung zugunsten erneuerbarer Energien.

Die Berechnungen mit unterschiedlichen Laufzeit-Szenarien sollen Ende der Woche vorliegen. Das Energie-Gesamtkonzept will die Bundesregierung Ende September präsentieren.

Unklar ist bislang auch, wofür die geplanten Abgaben der Atomindustrie verwendet werden. Nach dem Willen Röttgens soll ein Großteil der zusätzlichen Gewinne, die aus Laufzeitverlängerungen erzielt werden, in die erneuerbaren Energien fließen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble besteht hingegen darauf, die geplanten Atomsteuer-Einnahmen zur Haushaltssanierung zu verwenden.

In der Bevölkerung regt sich gegen die Atompläne der schwarz-gelben Koalition Widerstand. In Dutzenden Städten demonstrierten am Wochenende Tausende Atomkraftgegner für ein schnelles Abschalten der Meiler. Für den 18. September ist eine bundesweite Anti-Atom-Demonstration in Berlin geplant.

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