Süddeutsche Zeitung

Gesetzentwurf:Bundesregierung will Whistleblower schützen

Wer illegale Praktiken des Arbeitgebers oder der Kollegen publik machen will, soll dies künftig anonym tun können, statt um seinen Job fürchten zu müssen.

Von Ronen Steinke, Berlin

Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Unternehmen oder Behörden Gesetzesverstöße mitbekommen, sollen sie sich nicht mehr scheuen müssen, dies anzusprechen und anzuprangern - zur Not auch öffentlich. Das ist das Ziel eines Gesetzes zum Schutz von sogenannten Whistleblowern, auf das sich die Ampelkoalition nach langen Verhandlungen geeinigt hat.

Das hierzu geplante Hinweisgeberschutzgesetz soll festschreiben, dass sie nicht arbeitsrechtlich sanktioniert - also zum Beispiel abgemahnt oder gekündigt - werden dürfen, wenn sie etwa Korruption, sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz oder andere Gesetzesverstöße melden. Bislang war dies in Deutschland anders. So war etwa in einem berühmten Fall die Fleischfabrik-Mitarbeiterin Sabine T. rechtswirksam entlassen worden, weil sie an ihrem Arbeitsplatz im Schlachthof Tönnies in Rheda-Wiedenbrück Verstöße gegen Corona-Hygieneregeln eigenmächtig öffentlich gemacht hatte.

Größere Unternehmen brauchen eigene interne Meldestellen

Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten und Behörden sollen dem Gesetzentwurf zufolge künftig verpflichtet sein, interne Meldestellen einzurichten, also Ansprechpartner zu benennen, an die sich Hinweisgeber vertraulich und auf Wunsch auch anonym wenden können. Alternativ sollen sich Hinweisgeber auch an eine externe Meldestelle wenden dürfen, deren Einrichtung im Bundesamt für Justiz in Bonn geplant ist und die ebenfalls Vertraulichkeit und Anonymität gewährleisten soll.

Den Bundesländern soll es freistehen, ebenfalls solche Meldestellen einzurichten. Diese haben dann die Aufgabe, eingehende Vorwürfe zu prüfen, womöglich auch die Staatsanwaltschaft einzuschalten.

Erst wenn sich eine Meldestelle dann nach drei Monaten nicht bei dem Whistleblower zurückmeldet oder wenn ein Notfall vorliegt, soll es dem Hinweisgeber offenstehen, sich ebenso sanktionsfrei an die Medien zu wenden. Reagiert der Arbeitgeber in den Wochen oder Monaten danach mit einer Sanktion, soll eine Beweislastumkehr gelten: Vor Gericht muss der Arbeitgeber beweisen, dass seine Reaktion nichts mit der Whistleblower-Tat zu tun hatte. Mit dem geplanten Regelwerk setzt Deutschland mit einiger Verspätung eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2019 um - geht inhaltlich aber weit über die Vorgaben aus Brüssel hinaus.

Lange Diskussionen hatte es innerhalb der Koalition vor allem um den Katalog der Gesetzesverstöße gegeben, die ohne Furcht vor Sanktionen gemeldet werden dürfen. Als Erfolg bezeichnet es der Grünen-Rechtspolitiker Till Steffen, dass nun auch Meldungen von rechtsextremen Chats umfasst sein sollen - selbst dann, wenn diese womöglich gar nicht gegen das Strafrecht verstoßen, weil sie zum Beispiel in einer geschlossenen, nicht-öffentlichen Chatgruppe geblieben sind. "Wir wollen, dass verfassungsfeindliche Tendenzen bei Beamten nicht erst herauskommen, wenn ein Umsturz mit Waffen geplant ist. Hinweisgeber können uns nun dabei helfen, dies rechtzeitig zu erkennen."

Medizinerinnen und Mediziner sollen weiterhin der Schweigepflicht unterliegen

Auch soll für Tierärztinnen und Tierärzte nun eine Ausnahme von der ärztlichen Schweigepflicht gelten, wenn sie auf Tierschutzskandale hinweisen möchten. Bei allen übrigen Medizinerinnen und Mediziner bleibt indes die Schweigepflicht unangetastet.

Aus Sicht von Transparency International geht der Gesetzentwurf nicht weit genug. Es sei "schwer nachvollziehbar", dass Missstände innerhalb von Geheimdiensten sowie sogenannte Verschlusssachen des Staates weiterhin nicht gefahrlos nach außen gemeldet werden dürften, moniert Hartmut Bäumer, der langjährige Vorsitzende der Organisation.

"Snowden und Assange wären auch hier nicht geschützt", sagt er im Hinblick auf den amerikanischen Whistleblower Edward Snowden, der die weltweiten Überwachungspraktiken des US-Abhörgiganten NSA verraten hatte, sowie auf den Wikileaks-Gründer Julian Assange, der geholfen hatte, Kriegsverbrechen der US-Armee öffentlich zu machen. "Besonders in diesem für Gesetzesverstöße anfälligen Bereich wäre eine die Interessen aller Seiten berücksichtigende Lösung nötig und möglich gewesen."

Den Mitarbeitern deutscher Nachrichtendienste steht stattdessen weiterhin der Weg offen, sich vertraulich an parlamentarische Kontrollgremien im Bundestag oder in den Landtagen zu wenden. "Wegen der Tatsache der Eingabe dürfen sie nicht dienstlich gemaßregelt oder benachteiligt werden", so steht es im für Nachrichtendienste einschlägigen Sondergesetz.

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