Whistleblower:Böse Geheimnisse

Der Bundestag brütet derzeit über einem Gesetz, das Geschäftsgeheimnisse schützen soll. Er sollte noch länger brüten, denn in der jetzt geplanten Form gefährdet es die Pressefreiheit.

Von Heribert Prantl

Whistleblower sind keine Pfeifen, sondern verantwortungsbewusste Leute. Sie machen nicht Lärm und Spektakel, sondern melden Missstände; meist solche, die sie sehr genau kennen - nämlich solche an ihrem Arbeitsplatz. Sie bräuchten zwei Dinge: erstens einen vernünftigen Namen. Zweitens einen vernünftigen gesetzlichen Schutz. Die Suche nach einem guten Namen ist nicht so schwer; man könnte die Leute Hinweisgeber nennen. Die Suche nach einem guten Schutz vor Mobbing und Kündigung ist schwieriger: Im geltenden Recht findet man ihn nicht; im geplanten Geschäftsgeheimnis-Schutzgesetz leider auch nicht.

Der Bundestag brütet derzeit über diesem Geschäftsgeheimnisgesetz. Er sollte noch länger brüten - denn das Gesetz ist hinten und vorne unzureichend. Es definiert nur sehr abstrakt und wenig greifbar, was denn nun ein strafrechtlich schwer geschütztes Geheimnis (es drohen bis zu drei Jahren Haft!) sein soll. Und es bringt die Hinweisgeber, die Skandale und Straftaten aufdecken, in eine problematische Lage: Sie müssen sich für das Aufdecken rechtfertigen, müssen nachweisen, dass sie guten Willens waren und in der Absicht gehandelt haben, "das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen".

Das ist, mit Verlaub, eine gesetzgeberische Perversion. Das Gesetz hängt einen Mühlstein an den Hals des Hinweisgebers und einen Mühlstein an den Hals des Journalisten, der die Hinweise recherchiert und publiziert. Wie sich das anfühlt, wie das würgt - davon kann derzeit Oliver Schröm, Chefredakteur des Recherche-Netzwerks Correctiv, aus eigener Erfahrung berichten. Die Staatsanwaltschaft Hamburg führt gegen ihn Ermittlungen, weil er mit seiner Recherchegruppe den "Cum-Ex"-Betrug aufgedeckt hat. Es ist dies das größte Steuerverbrechen, das es je in Europa gab; EU-Staaten wurden um 55 Milliarden Euro betrogen. Das aufzudecken - dafür gebührt den Hinweisgebern und den Journalisten ein Orden, nicht strafrechtliche Verfolgung.

Aber es ist dies offenbar juristische Dialektik: Die einen Staatsanwälte klagen die Cum-Ex-Manager an, die auf Kosten des Gemeinwesens ihren Milliarden-Reibach gemacht haben - und stützen sich dabei auf die journalistischen Recherchen und Publikationen. Die anderen Staatsanwälte malträtieren exakt die Leute, denen man diese Erkenntnisse verdankt, mit Ermittlungen wegen Geheimnisverrats oder Anstiftung und Beihilfe dazu. Das kann deswegen so passieren, weil das Gesetz falsch definiert, was ein Geheimnis ist: Es bezieht auch illegale Geheimnisse mit ein. Ein verbrecherisches Geheimnis, also eines, das sich auf unlautere und rechtswidrige Machenschaften bezieht, ist aber von vornherein kein schützenswertes Geheimnis. Solche Geheimnisse müssen von jeglichem Schutz ausgenommen werden.

Es lohnt sich, das Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2007 noch einmal zu lesen. Damals ging es um ein staatliches Dienstgeheimnis. Bundesinnenminister Otto Schily wollte von einem Journalisten der Zeitschrift Cicero wissen, woher er seine Informationen über den Terrorismus hatte. Weil der sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berief, sollten er und die Redaktion durchsucht werden. Die Verfassungsrichter sagten Nein. Sie gaben der Pressefreiheit einen besonderen Wert. Diesen Wert sollten ihr auch die Staatsanwälte in Hamburg geben - und der Bundestag, der über das Geheimnis-Schutzgesetz berät.

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