Süddeutsche Zeitung

Westsahara:Heißer Krieg in der Wüste

29 Jahre nach einem Waffenstillstand droht in der von Marokko besetzten Westsahara der Konflikt wieder aufzuflammen: Nach Zwischenfällen am Wochenende kündigt die Unabhängigkeitsbewegung Polisario an, kämpfen zu wollen - und Marokkos König will mit "größtmöglicher Härte" reagieren.

Von Moritz Baumstieger, München

Väter helfen ihren in Tarnfleck gekleideten Söhnen, Rucksäcke zu schultern, weinende Mütter kommen zu einer vielleicht letzten Umarmung: In der Westsahara stehen die Zeichen auf Krieg - und die Propagandisten der Unabhängigkeitsbewegung Polisario versuchen, Unterstützern wie Gegnern mit Videos in den sozialen Medien die Entschlossenheit ihres Volkes zu demonstrieren. Junge Männer, die bisher nichts kannten als ein Leben in Flüchtlingslagern, machen sich auf, die von Marokko besetzte Heimat zu befreien. Panzer noch aus sowjetischer Produktion vollführen Manöver in der Wüste - und ihre Besatzungen jubeln, als hätten sie dem Gegner schon schwere Verluste beschert.

Lange galt der Streit um das 266 000 Quadratkilometer große Gebiet am Atlantik als eingefrorener Krieg. Seit 1973 setzt sich die Polisario für eine Unabhängigkeit ein, konnte sie aber nicht erreichen, als die spanischen Kolonialtruppen zwei Jahre später abzogen. Der nördliche Nachbar Marokko marschierte in weite Teile des an Phosphor-Vorkommen reichen Gebiets ein und annektierte es. Und auch wenn die internationale Gemeinschaft die Annexion nicht anerkennt, durchzieht heute eine 2700 Kilometer lange Sperranlage den Wüstensand.

Doch nach einem fast 30 Jahre anhaltenden Waffenstillstand droht der Konflikt wieder aufzuflammen: Der Generalsekretär der Polisario wies seine Leute am Freitag an, das Abkommen nicht weiter zu beachten, das den Guerillakrieg 1991 vorerst beendete: "Wir nehmen den bewaffneten Kampf wieder auf", erklärte Brahim Ghalil, der zugleich Präsident der international nicht anerkannten Demokratischen Arabischen Republik Sahara ist.

Marokkos König nutzte ein Telefonat mit dem UN-Generalsekretär für eine Drohung

Am Wochenende griff die Gruppe nach eigenen Angaben mehrere marokkanische Stützpunkte an, ihre Berichte über Verletzte und Tote auf Seiten des Gegners wollte Marokko jedoch nicht bestätigen. Doch König Mohammed VI. nutzte am Montag ein Telefonat mit UN-Generalsekretär António Guterres, um eine Drohung zu platzieren: Marokko bleibe "fest entschlossen, mit äußerster Härte und in Selbstverteidigung auf jede Bedrohung seiner Sicherheit zu reagieren".

Dass nun aus dem eingefrorenen Konflikt ein heißer wird, hat vordergründig mit einem Vorfall im Süden des Gebiets zu tun: Zwischen der Stadt Guerguerat im von Marokko beherrschten Teil der Westsahara und dem Staatsgebiet Mauretaniens kontrolliert die Polisario einen schmalen Streifen Land. In diesen rückten nun marokkanische Truppen ein, nachdem Polisario-nahe Aktivisten die entlang der Küste verlaufende Straße besetzt hatten; Hunderte marokkanische Lastwagen hingen in der Wüste fest. Den Vorstoß interpretierte die Polisario als Kriegserklärung.

Ein vereinbartes Referendum über die Zukunft des Gebiets ist in knapp 30 Jahren nie durchgeführt worden

Der Führung der Unabhängigkeitsbewegung dürfte die Entwicklung jedoch entgegenkommen, um ihrem Anliegen wieder Beachtung zu verschaffen: Das beim Waffenstillstand von 1991 vereinbarte Referendum über die Zukunft des Gebiets wurde nie durchgeführt, da sich Marokko und die Vertreter der Westsahara nicht auf die Rahmenbedingungen und die konkrete Fragestellung einigen konnten. Marokko will dem Gebiet höchstens Autonomie, aber keine Unabhängigkeit anbieten - und versucht, seine Besatzung schleichend zu normalisieren. Etwa in Fischereiabkommen mit der EU, die auch für die fischreichen Gewässer vor der Küste der Westsahara gelten sollen, oder durch kleine diplomatische Erfolge. Anfang November eröffneten etwa die Vereinigten Arabischen Emirate eine Vertretung in dem umstrittenen Gebiet.

Als bisher letzter UN-Sondervermittler versuchte Altbundespräsident Horst Köhler, neue Verhandlungen zwischen Marokko, der Polisario und Algerien herbeizuführen, das die Unabhängigkeitsbewegung unterstützt und ihr in der Grenzregion nahe der Stadt Tindouf Rückzugsmöglichkeiten einräumt. Mit den Bemühungen Köhlers Vertraute warnten 2018 im Gespräch mit der SZ, dass die Führung der Polisario dringend Erfolge brauche, um ihre Strategie und den Waffenstillstand der seit Jahrzehnten in Flüchtlingslagern lebenden Bevölkerung weiter vermitteln zu können. Seit Köhler sein Mandat im Mai 2019 abgegeben hat, herrscht auf diplomatischer Ebene Stillstand - dafür droht nun der militärische Konflikt Fahrt aufzunehmen.

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