Süddeutsche Zeitung

Gewalt im Westjordanland:Die Botschaft einer Bombe

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In Nablus kommt ein Kämpfer bei einer Explosion zu Tode. Die Palästinenser werfen Israel eine gezielte Tötung vor. Ändert die Armee ihre Strategie im Kampf gegen die neue Löwen-Miliz?

Von Peter Münch, Tel Aviv

Eine Explosion hat den Palästinenser Tamer al-Kilani getötet, mitten in der Nacht, mitten in der Altstadt von Nablus. Kilani gehörte dort zu einer neuen Miliz, die sich "Höhle des Löwen" nennt. Nach der Detonation hieß es in Israel zunächst, der 33-Jährige könnte beim Basteln einer Bombe zu Tode gekommen sein. Doch von palästinensischer Seite kam schnell eine andere Version. Demnach hat die israelische Besatzungsmacht Kilani gezielt getötet, mittels eines ferngezündeten Sprengsatzes an einem Motorrad.

Die Löwen-Miliz präsentierte auf ihren Kanälen in den Sozialen Medien sogleich zwei Videos, die den Hergang aufklären sollen. Eines soll belegen, wie ein vermeintlicher palästinensischer Kollaborateur die Bombe an einem geparkten Motorrad platziert. Das andere soll Kilani zeigen, wie er im Moment der Explosion das Motorrad passiert. Die Überwachungskameras, die diese dunklen und undeutlichen Bilder lieferten, sind Berichten zufolge von der Löwen-Miliz selbst in der Altstadt von Nablus angebracht worden- als Teil eines Frühwarnsystems, um sich gegen mögliche Zugriffe der israelischen Armee zu wappnen.

Gezielte Tötungen gehören zum Repertoire

In Israel herrscht Schweigen nach diesem Knall. Es gibt keine Erklärung dazu von der Regierung, der Armee oder dem Inlandsgeheimdienst Schin Bet. Dahinter könnte das Kalkül stecken, dass die Botschaft der Bombe auch ohne Bekenntnis bei den Adressaten ankommt. Im Hintergrund informierten israelische Sicherheitskräfte zugleich die Medien darüber, wer da zu Tode kam.

Acht Jahre saß Kilani demnach wegen Terrortaten schon in israelischer Haft. In jüngster Zeit soll er für mehrere bewaffnete Angriffe auf Soldaten und Siedler in der Nähe von Nablus verantwortlich gewesen sein. Zudem wird er als Hintermann eines im September vereitelten Anschlags geführt. Dabei war ein junger Palästinenser aus Nablus mit einem Gewehr und einer Rohrbombe im Gepäck in Tel Aviv aufgegriffen worden.

Gezielte Tötungen gehören seit langem zum Repertoire der israelischen Sicherheitskräfte. Im Gazastreifen hat es immer wieder Anführer der Hamas oder des Islamischen Dschihad getroffen. Allerdings hatte sich Israel hinterher stets offen dazu bekannt. Ohne Bekenntnis blieben dagegen Anschläge in Iran auf Atomwissenschaftler oder hohe Revolutionsgardisten, die dem Auslandsgeheimdienst Mossad zugeschrieben wurden.

Im Westjordanland hatte Israel solche Methoden jedoch schon seit vielen Jahren nicht mehr angewendet. Sollte Kilani nun tatsächlich Opfer einer gezielten Tötung sein, könnte dies einen Strategiewechsel bedeuten angesichts einer zunehmenden Bedrohung durch die erst im August in Nablus aufgetauchte Löwen-Miliz. Sie setzt sich zusammen aus jungen Kämpfern verschiedener Fraktionen, von der Fatah über die Hamas bis zur linken Volksfront zur Befreiung Palästinas.

Die Löwen-Miliz hat Rache angekündigt

Anfangs war sie nur auf einige Dutzend Mann geschätzt worden, inzwischen hat sie Berichten zufolge deutlichen Zulauf erhalten. Erst in der vorigen Woche hatte Premierminister Jair Lapid sich mit hohen Vertretern des Sicherheitsapparats getroffen, um das Vorgehen gegen die Löwen-Miliz zu besprechen.

Nach dem Tod Kilanis hat die Gruppe nun Rache geschworen. Eine "harte, qualvolle und schmerzhafte Antwort" werde folgen, heißt es in einer Erklärung. Ohnehin gleicht Nablus derzeit schon einem Pulverfass. Seit Monaten führt die israelische Armee hier als Antwort auf eine Terrorwelle im Frühjahr sehr häufige Razzien durch. Die Stadt mit 170 000 Einwohnern ist eines der Hauptziel der von der Armee ausgerufenen "Operation Wellenbrecher".

Dabei wurden nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums insgesamt bereits 120 Palästinenser getötet, zumeist bei Feuergefechten. Rund 2000 wurden festgenommen. Seit zwei Wochen ist Nablus weitgehend von der israelischen Armee abgeriegelt - als ihre Antwort darauf, dass in der Nähe ein junger Soldat erschossen worden war und sich zu der Tat die Löwen-Miliz bekannt hatte.

Zur wachsenden Unruhe im Westjordanland tragen auch radikale Siedler bei. Der Zeitung Haaretz zufolge sollen sie allein in den zurückliegenden zehn Tagen für mehr als hundert gewaltsame Übergriffe auf Palästinenser verantwortlich sein. Verletzt wurden dabei auch israelische Friedensaktivisten wie eine 70-jährige Frau, die palästinensischen Bauern bei der Olivenernte helfen und Schutz bieten wollte. Sie wurde von Siedlern verprügelt, kam ins Krankenhaus mit einer gebrochenen Hand und mehreren Rippenbrüchen, auch am Kopf musste sie genäht werden. Zudem wurden bei mindestens zwei Vorfällen in der vorigen Woche israelische Soldaten von den Siedlern angegriffen. Armeechef Aviv Kochavi verurteilte das als "infames kriminelles Vorgehen".

Ruhe ist im Westjordanland nicht in Sicht, schon gar nicht vor der Parlamentswahl am 1. November. Die rechte Opposition und die Siedler drängen vielmehr die Armee zu einem noch härteren Durchgreifen gegen die Palästinenser.

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