Süddeutsche Zeitung

Westerwelles Medienoffensive:Und täglich grüßt das Alphatier

Vom Diplomaten zum Phrasendrescher: Guido Westerwelle überschwemmt die Medien mit Hartz-IV-Populismus - und hat vor allem bei Bild Erfolg.

Wolfgang Jaschensky

Die Pressekonferenz nach dem FDP-Krisengipfel war so langweilig, dass wohl die wenigsten Journalisten geahnt haben, welch mediales Dauerfeuer folgen würde. Am Montag vor einer Woche trat Christian Lindner, FDP-Generalsekretär und Sprachrohr von Guido Westerwelle, vor die Hauptstadtpresse und verkündete, dass die FDP die Richtung beibehalten, aber das Tempo bei den Reformen erhöhen wolle.

Konkrete Reformvorschläge waren von den Liberalen seither nicht zu hören. Doch mehr und mehr wird klar, was die Taktiker beim Krisengipfel vor acht Tagen tatsächlich verabredet haben. Anstelle von Reformvorschlägen setzen die Liberalen dem Volk etwas weniger Substantielles vor: ihren Chef.

Seit Tagen grüßt täglich und auf allen Kanälen: Guido Westerwelle, das liberale Alphatier.

Die ersten 100 Tage im Amt war der Außenminister noch voll in seiner Rolle als Deutschlands oberster Diplomat aufgegangen. Westerwelle reiste nach Polen und in die Türkei, durch Asien und in den Nahen Osten. Er schüttelte viele Hände und reflektierte über die Anforderungen seines neuen Amtes. Zur Innenpolitik: kein Wort. Westerwelle schwieg so laut, dass manche in der FDP schon das Fehlen eines Parteichefs beklagten.

Und jetzt? Seit Tagen dominiert der FDP-Chef die Schlagzeilen. Westerwelle poltert gegen Hartz IV, gegen zu hohe Steuern und die Umverteilung in Deutschland. Mantraartig wiederholt er sein Credo: "Wer arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet." Weil dieser Aussage aber wohl nicht einmal Politiker der Linken widersprechen würden, garniert der Jurist seine Botschaft mit populistischen Zuspitzungen und versorgte damit zunächst bevorzugt die Axel-Springer-Presse.

Zum Beispiel am Sonntag in Bild am Sonntag: "Die FDP hat in den ersten 100 Tagen mehr soziale Verantwortung gezeigt, als meine Kritiker in den letzten elf Jahren." Oder an diesem Montag in Bild: "Wenn das so weitergeht, wird durch diese Umverteilungspolitik der ganz normale Steuerzahler zum Sozialfall."

In der Frankfurter Rundschau erklärt er an diesem Dienstag, dass die Empörung immer groß sei, "wenn jemand den Finger in die Wunden des linken Zeitgeits lege". Im Deutschlandfunk sagte er, es sei eine zynische Debatte, dass sich diejenigen, die arbeiten würden, entschuldigen müssten, dass sie von ihrer Arbeit etwas behalten möchten. Und in der Passauer Neuen Presse sah der Themensetzer in der Diskussion über das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts "sozialistische Züge".

Die hatte Westerwelle schon vergangenen Donnerstag in der Welt erkannt. Dort begann die Springer-Penetration - und erreichte sogleich ihren Höhepunkt. "Vergesst die Mitte nicht" lautete die harmlose Überschrift seines Autoren-Pamphlets, mit dem sich der FDP-Chef vom diplomatischen Dienst ab- und zum Dienst an der Heimatfront anmeldete.

Westerwelle nahm das Karlsruher Hartz-IV-Urteil zum Anlass für eine Abrechnung mit dem deutschen Sozialstaat und verstieg sich zu antiker Größe: "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, der lädt zu spätrömischer Dekadenz ein."

Seither hagelt es Kritik am FDP-Chef. Die Opposition freut sich über die Steilvorlagen, doch die erwartbare Kritik von Sigmar Gabriel, Cem Özdemir, Klaus Ernst und selbst CSU-Ministerin Christine Haderthauer ("Wer keine konstruktiven Ideen hat, macht eben Getöse") geht fast unter. Für mehr Aufsehen sorgte da schon ein kleiner Satz, den Angela Merkel über ihre Sprecherin ausrichten ließ: Westerwelles Worte seien "sicherlich weniger der Duktus der Kanzlerin".

Oder aber die Bemerkung von Heiner Geißler, des Enfant terrible der CDU: In Anspielung auf Westerwelles Ausflug ins alte Rom erläuterte Geißler in einem Interview mit der Welt, die spätrömische Dekadenz habe unter anderem darin bestanden, dass Kaiser Caligula einen Esel zum Konsul ernannt hatte. "Insofern stimmt Westerwelles Vergleich: Vor 100 Tagen ist ein Esel Bundesaußenminister geworden."

Bei aller Kritik an Westerwelles Äußerungen: Der FDP-Chef schafft es - wie von Gesundheitsminister Philipp Rösler nach der Krisensitzung gefordert - "klare Kante" zu zeigen.

Der Hamburger Politik-Psychologe Thomas Kliche attestiert dem FDP-Chef "Meisterwerke der Klientel-Rhetorik" zu liefern. "Lange gab es in der deutschen Politik keine so erfolgreiche Positionierung und Polarisierung in der Öffentlichkeit. In dieser Hinsicht ist Westerwelle der Beste seit Franz Josef Strauß", sagte Kliche in einem Interview mit sueddeutsche.de.

Gerade in den Springer-Medien verfängt Westerwelles Strategie: In der Dienstagsausgabe von Bild kommt der FDP-Chef zwar - ausnahmsweise - nicht zu Wort, dafür widmet das Blatt der Debatte den Titel und vier Stücke auf Seite zwei. "Sind Hartz-IV-Empfänger wirklich so arm?", fragt die Boulevardzeitung. Motto: "Deutschland diskutiert". Und Westerwelle grinst.

"Guten Tag, warum stehen Sie bei der Suppenküche an?"

Auf Seite zwei schreibt das Blatt, dass der Steuerzahler 137 Milliarden Euro für Soziales ausgibt. Die Zahl steht in der Überschrift, alle Nullen sind ausgeschrieben. Der Text beginnt mit den Worten: "Es ist eine unvorstellbare, gigantische Summe." Fazit: "Und trotzdem leisten wir uns eine Debatte, ob das alles noch zu wenig ist ...".

Darüber eine Umfrage: "Guten Tag, warum stehen Sie bei der Suppenküche an?" Garniert ist die Seite mit einer ausführlichen Liste dessen, worauf Hartz-IV-Empfänger Anspruch haben. Hier erfährt der Leser, dass der Steuerzahler sogar für den Schnaps der "Hartzer" aufkommen muss. Hieße der Chefredakteur Guido Westerwelle - er würde kaum etwas verbessern wollen.

Ob der FDP-Chef aus seiner Klientel-Rhetorik auf Dauer auch politisch Kapital schlagen kann, ist ungewiss. Zwei Dinge hat Westerwelle aber jetzt schon erreicht: Die miese Stimmung in der Koalition verschlechtert sich weiter - und die Spannung vor dem politischen Aschermittwoch steigt.

Dann werden sich Westerwelle und CSU-Chef Seehofer rhetorisch weiter streiten - ein Fernduell der Alphatiere.

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