Westerwelles Auslandsreisen:Ein deutsches Desaster

Anmerkungen eines manchmal Mitfahrenden: Die Debatte um die Reisen von Außenminister Westerwelles zeugt von Streitsucht und Skandalhunger - und hilft nicht recht weiter.

Meinhard von Gerkan

Guido Westerwelle ist längst aus Lateinamerika zurück, da gehen die Angriffe auf ihn weiter. Die SPD wirft ihm vor, sein Augenmerk gelte nur ihm selbst und nicht der Außenpolitik, die Linke vergleicht seine Reisen gar mit einer "Tupperparty, wo deutsche Produkte angepriesen werden". Die FAZ sprach am vergangenen Samstag von einem Desaster, indem sie die angebliche Vetternwirtschaft des Außenministers zu einer Staatsaffäre aufbauschte. Wer so redet, gibt sich selbst der Lächerlichkeit preis, weil dieser "Skandal" nicht einmal die Qualität eines Kavaliersdelikts hat.

Ich würde der Posse keine Aufmerksamkeit widmen, wenn ich nicht aus jahrelanger Auslandserfahrung wüsste, dass dies immense Folgen für die deutsche Wirtschaft und die deutsche Außenpolitik hat. Zwar war die Lateinamerikareise ein Desaster - aber nicht, weil sich der Minister in seiner Reisebegleitung vergriffen hat, sondern weil streitsüchtige Politiker und skandalhungrige Medien selbstzerfleischend einen Floh zum Elefanten aufblasen. Wählen wir eigentlich unsere Politiker, damit sie sich gegenseitig faule Eier auf die Weste werfen und dabei das Fundament ihrer Pfründe, die Erfolge der deutschen Wirtschaft, im Ansehen der Weltöffentlichkeit zerstören?

Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit

Die deutsche Wirtschaft, deutsche Ingenieure und Unternehmen genießen wegen ihrer Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit hohe Wertschätzung, trotz der Siemens-Affäre. Es ist schlicht unverantwortlich, dieses Guthaben durch Gezänk zu verspielen. Für mich geht es in dieser Frage weniger um Westerwelle, sondern, mit allem Pathos: um die deutsche Ehre. Meine Partner, unsere Mitarbeiter und ich haben in der weiten Welt mehr als 300 Architekturprojekte realisiert (oder sind dabei, dies zu tun) - überwiegend solche öffentlicher und kultureller Bedeutung. Daher fühle ich mich aufgerufen, zu erzählen, was es mit solchen Reisen auf sich hat.

Als Architekt bin ich eher ein Exot in der Riege der Vorstandsvorsitzenden und anderen Wirtschaftsführer, die gelegentlich an Staatsbesuchen im Gefolge von Bundespräsident, Bundeskanzler und Außenminister teilnehmen. Zuletzt war ich an der inkriminierten Reise von Guido Westerwelle im Januar nach Tokio und Peking dabei, mit zugewiesenem Sitzplatz neben Ralf Marohn, jenem Manager, der als Beispiel für Vetternwirtschaft diskreditiert wird, weil er eine Firma leitet, an der auch Westerwelles Bruder beteiligt ist.

Zu keiner Zeit war ich Mitglied einer Partei; aus Überzeugung habe ich nie Parteispenden geleistet und bin bis heute ein notorischer Wechselwähler geblieben. Trotzdem haben mich sowohl Bundespräsident Rau, Bundeskanzler Schröder sowie die Außenminister Steinmeier und Westerwelle, ohne jedwede Bewerbung meinerseits, zur Teilnahme an elf Staatsbesuchen eingeladen; auf meine Kosten, versteht sich. Sieben Einladungen habe ich angenommen. Die erste Einladung vom Bundespräsidenten habe ich als große Ehre empfunden.

Operette mit Statisten

Sie unterschied sich jedoch von den späteren nur unwesentlich: protokollarisch überfrachtet, ständige Zeitnot und Hetze! Teilweise protokollarische Operette mit den höchst bezahlten Wirtschaftsbossen als schweigenden Statisten, die dem Ministerpräsidenten Chinas einmal das Händchen schütteln dürfen! Wohl dem, der sich - wie Westerwelle - mit zehn Begleitern begnügt, und nicht gleich 90 aufbietet.

Wenn der Begriff "Günstlingswirtschaft" die Runde macht, liegt der Schluss nahe, es handele sich bei den so genannten "Wirtschaftsdelegationen" um eine Horde von Günstlingen, die in den Metropolen der Schwellenländer mit Bussen hinter den schwarzen Limousinen der Diplomaten herjagen, um Aufträge einzusacken.

Ich jedenfalls habe anlässlich der sieben Auslandsreisen nach Vietnam, Singapur, Indonesien, Indien, China, Japan und dem Baltikum keine Begünstigung erfahren. Als ich in Anwesenheit von Gerhard Schröder dem chinesischen Premier unseren Entwurf für das Nationalmuseum in Peking vorstellen durfte, hatten wir den 1. Preis bei einem anonymen internationalen Wettbewerb bereits Monate zuvor gewonnen. Da es sich um ein Prestigeprojekt der ersten Kategorie handelt, war dieser Akt eher ein Programmpunkt, mit dem sich der deutsche Bundeskanzler schmücken konnte.

Unterstützung hält sich in Grenzen

In der Regel ist das Engagement des mehrere tausend Mitarbeiter zählenden Auswärtigen Amts für Menschen wie mich relativ überschaubar, verglichen mit der Unterstützung, die französischen, britischen und japanischen Architekten seitens ihrer nationalen Politik zuteil wird. Im Jahr 2001 bemühte mein französischer Architektenfreund Paul Andreu den Präsidenten Chirac höchstpersönlich nach Shanghai, damit dieser ihm als 2. Preisträger den Auftrag für das Opernhaus verschaffte - und dem 1. Preisträger, unserem Büro, diesen Bau wegzunehmen. Unser Begehren, seitens Außenminister Fischer Beistand zu erlangen, stieß auf taube Ohren.

Missbräuchlicher politischer Einfluss zugunsten privater Interessen? Mir sind im Kontext großer öffentlicher Bauvorhaben im Ausland zahlreiche Wettbewerbsverletzungen bekannt, die grob gegen internationales Recht verstoßen. Sie kommen vor allem durch politische Begünstigung zustande. Im Vergleich dazu ist die Verbindung des Außenministers zu Ralf Marohn nicht einmal das Haar in der düsteren Suppe. Während der Ostasienreise im Januar habe ich insgesamt 25 Stunden neben Marohn im Flugzeug gesessen und mit dieser Nachbarschaft die erfreuliche Komponente solcher Expeditionen erfahren dürfen: menschlichen Kontakt zu Persönlichkeiten finden, den man sonst nicht hätte, Zeit für diskursiven Austausch, Sympathie und Freundschaft.

Marohn ist Inhaber eines Beratungsunternehmens, das deutsche Firmen in China berät und mit seiner langjährigen Erfahrung unterstützt, also ein Anwalt deutscher Wirtschaftsinteressen. Den Schönheitsfehler, dass der Bruder des Außenministers an der Firma beteiligt ist, will ich nicht bemänteln. Unser Architekturbüro erfreut sich auch ohne nennenswerte politische Unterstützung weltweit interessantester Aufträge. Deswegen singe ich auch kein Klagelied. Ich bin auch weit davon entfernt, Fehler von Guido Westerwelle zu beschönigen. Was ich beklage, ist ein Gezänk mit möglicherweise wahltaktischem Hintergrund, das in den Medien breitgetreten wird. Es ist unappetitlich und hat dem Ansehen Deutschlands und seiner Wirtschaft sehr großen Schaden zugefügt.

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