Süddeutsche Zeitung

Westerwelle zu Bundeswehreinsatz:Afghanistan trotz Rückschlägen stabiler

2012 sind keine deutschen Soldaten am Hindukusch gefallen - erstmals seit Beginn des Isaf-Einsatzes vor elf Jahren. Außenminister Westerwelle wertet das als Verbesserung der Sicherheitslage, Entwarnung möchte er nicht geben. Der Einsatz bleibe gefährlich.

Nico Fried, Berlin

Nach einem Jahr ohne gefallene deutsche Soldaten in Afghanistan sieht Außenminister Guido Westerwelle (FDP) erfreuliche Verbesserungen in der Sicherheitslage. Zugleich warnte er aber am Neujahrstag davor, das Risiko des Einsatzes zu unterschätzen.

"Es ist eine große Erleichterung, dass im abgelaufenen Jahr kein deutscher Soldat in Afghanistan sein Leben verloren hat", sagte Westerwelle der Süddeutschen Zeitung. "Auch das zeigt, dass sich die Sicherheitslage trotz Rückschlägen weiter stabilisiert hat." Für eine Entwarnung sei es "jedoch zu früh", so der Außenminister. Der Einsatz bleibe gefährlich, "wir müssen weiterhin auf Rückschläge gefasst sein". Auch werde es weiter "großer Anstrengungen bedürfen, um die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an Afghanistan fortzusetzen", sagte Westerwelle.

2012 waren erstmals seit Beginn des Isaf-Einsatzes der Bundeswehr, für den der Bundestag Ende Dezember 2001 das Mandat erteilt hatte, keine Toten im deutschen Kontingent zu beklagen. Der Kommandeur der Internationalen Schutztruppe Isaf für Nordafghanistan, Bundeswehr-General Erich Pfeffer, sagte der Nachrichtenagentur dpa, die Sicherheitslage im Norden Afghanistans, wo die Bundeswehr das Regionalkommando hat, habe sich in den vergangenen 18 Monaten "deutlich verbessert". Zuletzt war am 2. Juni 2011 ein deutscher Soldat getötet worden. Seit Beginn des Afghanistan-Engagements vor elf Jahren starben 52 Bundeswehr-Soldaten, 34 davon bei Angriffen und Anschlägen.

Die Regierung in Kabul teilte am Montag mit, dass afghanische Soldaten und Polizisten die Verantwortung für die Sicherheit im Land schneller als bislang erwartet übernehmen sollen. Man sei dem Zeitplan deutlich voraus, wonach der Prozess bis Ende 2014 abgeschlossen sein solle, sagte der Beauftragte von Präsident Hamid Karsai, Aschraf Ghani, in Kabul. Dann soll die Nato-geführte Schutztruppe Isaf ihren Einsatz beenden.

Ghani sagte, nach Abschluss einer vierten und damit vorletzten Reihe von Gebieten, in denen der Übergabeprozess nun beginnen soll, würden fast 90 Prozent der Bevölkerung in Gegenden leben, in denen afghanische Sicherheitskräfte zuständig seien. 52 weitere Distrikte sollen in den nächsten Monaten unter die Kontrolle der Afghanen kommen, die dann die Verantwortung über 312 der 398 Distrikte innehaben würden. In 23 der 34 afghanischen Provinzen sollen einheimische Sicherheitskräfte verantwortlich sein.

"Ein positives Zeichen"

Die Ankündigung der afghanischen Regierung, diese vierte von insgesamt fünf Phasen einzuleiten, wertete Westerwelle ebenfalls als "ein positives Zeichen". Die Konsolidierung der Sicherheitsverantwortung in afghanischen Händen "ist die wichtigste Voraussetzung, um den Abzug der internationalen Kampftruppen wie geplant fortsetzen und im nächsten Jahr abschließen zu können", sagte der Außenminister.

Die Verbesserung der Sicherheitslage ist nach den Worten von General Pfeffer nicht nur an der Statistik abzulesen. "Wesentliches Kennzeichen dafür ist vor allem die zunehmende Fähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte, diese Vorfälle eigenständig zu beherrschen." Aus der Bevölkerung würden afghanische Armee und Polizei zunehmend unterstützt. Im abgelaufenen Jahr hätten die einheimischen Sicherheitskräfte "schrittweise und erfolgreich die Verantwortung bei der Planung und Durchführung der Sicherheitsaufgaben" übernommen. Sie seien mittlerweile bei praktisch allen Operationen in Nordafghanistan federführend.

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben nach Einschätzung des Generals deutliche Fortschritte gemacht. "Aber es gibt auch noch Bereiche mit erheblichem Verbesserungsbedarf", sagte Pfeffer. "Dieser liegt insbesondere in der Optimierung der Zusammenarbeit zwischen Militär und den verschiedenen Polizeikräften sowie in allen Bereichen der Logistik und Instandhaltung von Gerät und Infrastruktur."

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus, führt die positive Entwicklung auch auf die deutlich verbesserte Ausrüstung der Bundeswehr zurück. "Die Gefährdung der Soldaten hat auch deswegen abgenommen, weil wir sie nicht mehr mit offenen Campingwagen durchs Gebirge schicken, sondern weil wir geschützte Fahrzeuge in ausreichender Zahl haben", sagte Königshaus der dpa.

"Wir haben bei der Schutzausrüstung ein Niveau erreicht, das wirklich am oberen Rand dessen liegt, was auch bei den Verbündeten üblich ist." Königshaus sprach in diesem Zusammenhang von einer Trendwende. "Das beharrliche Dringen auf eine bessere Ausstattung, Ausrüstung, Ausbildung hat Erfolg gehabt", sagte der Wehrbeauftragte, der in der Vergangenheit - nicht selten zum Missfallen des Verteidigungsministeriums - immer wieder Ausrüstungsdefizite beklagt hatte. Königshaus geht davon aus, dass die Bundeswehr auch nach 2014 mit mindestens 1000 Soldaten in Afghanistan bleiben muss.

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SZ vom 02.01.2013/fran
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