Westerwelle unter Beschuss:"Haider der deutschen Politik"

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Parteifreunde, Koalitionskollegen und die politische Konkurrenz: Alle beziehen Stellung zu Westerwelle - und vergreifen sich selbst im Ton. Selbst ein ehemaliger Porno-Star gibt seinen Senf dazu.

Derzeit scheint es auf dem politischen Parkett kaum jemanden zu geben, der keine Meinung zu den provokanten Äußerungen von FDP-Chef Westerwelle zum Sozialstaat hat: Parteifreunde, Koalitionskollegen und politische Gegner beziehen Position - und vergreifen sich dabei bisweilen selbst in Ton.

An seinen Äußerungen scheiden sich die politischen Geister: FDP-Chef und Bundesaußenminister Guido Westerwelle. (Foto: Foto: AP)

"In der Hartz-IV- Debatte outet sich Guido Westerwelle als Jörg Haider der deutschen Politik", twitterte beispielsweise Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner.

Der Außenminister fische am rechten Rand, "indem er angeblich für normale Arbeitnehmer eintritt und wie Koch gegen Geringverdiener und Arme hetzt", lästerte Stegner weiter. Der SPD-Landesverband bestätigte Stegners Aussagen.

Die Reaktion der FDP auf den Vergleich folgte prompt: "Wenn Herr Stegner meint, dass sich über die Zukunft des Sozialstaates mit 140 Zeichen diskutieren lässt, belegt er das derzeit unterirdische Niveau seiner Partei", giftete der Kieler FDP- Fraktionschef Wolfgang Kubicki im Nachrichtenportal shz.de zurück. Zudem zeige "das dumpfe Getöse", dass den Sozialdemokraten zu dem Thema nichts Intelligentes einfalle.

Auch in der Twitter-Gemeinde wurden die Äußerungen Stegners kritisch betrachtet. Stegner bot Kubicki laut shz.de ein Streitgespräch an, "in dem man mehr als 140 Zeichen hat".

Schwesig: Westerwelles Sprüche unanständig

Auch Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) kritisierte die Äußerungen Westerwelles zum Sozialstaat scharf: "Herr Westerwelle spaltet dieses Land mit solchen Äußerungen", sagte die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende dem Sender NDR Info. Die Sprüche des Bundesaußenministers Sprüche seien "ziemlich unanständig".

Westerwelle hatte am Sonntag seine Kritik bekräftigt, diejenigen, die arbeiten, würden "mehr und mehr zu den Deppen der Nation". Schwesig betonte, es sei auch ihre Überzeugung, dass sich Arbeit wieder lohnen müsse. Doch dafür dürften die Sozialleistungen nicht gekürzt, sondern es müsse ein flächendeckender Mindestlohn eingeführt werden. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müsse verbessert werden.

Schwesig schloss nicht aus, dass es bei der Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze zu einer Anhebung der Leistungen kommen wird. Auf alle Fälle müsse die Teilhabe von Kindern an Bildung, Kultur, Sport und Freizeit sichergestellt werden. Das geht nach Ansicht der Sozialministerin vor allem durch Sachleistungen und eine gute Infrastruktur aus Kitas und Ganztagsschulen mit einem warmen Mittagessen.

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Seit dem Krisengipfel wollen die Liberalen "mehr Tempo" machen und klopfen täglich starke Sprüche - am liebsten gegen die Union. Auch die Konservativen keilen zurück. Die Zitate der Wunschpartner - Fortsetzung garantiert.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast forderte unterdessen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu einer Regierungserklärung über die Sozialpolitik der Koalition auf. "Die Äußerungen des Außenministers kommen einem Aufruf zur sozialen Spaltung gleich", sagte Künast am Montag in Berlin.

"Der Vizekanzler stellt mitten in der schwersten Wirtschaftskrise das Sozialstaatsprinzip infrage." Dazu könne die Kanzlerin nicht wie gewohnt schweigen. "Wir fordern Frau Merkel auf, mit einer Regierungserklärung zu zeigen, ob diese Regierung für soziale Gerechtigkeit steht."

"Populismus pur"

Merkel zeigte sich unterdessen offen für die Forderung nach einer Generaldebatte zum Sozialstaat, die auch Westerwelle will. Am Freitag hatte sich Merkel von Westerwelles Wortwahl distanziert.

Die von Westerwelle angestoßene Diskussion über den Sozialstaat muss nach Auffassung der Linkspartei jedoch in eine gesamtgesellschaftliche Debatte münden. Das Thema dürfe nicht nur auf den Bundestag beschränkt bleiben, forderte Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch mit Blick auf Westerwelles Forderung nach einer Generaldebatte.

Gleichzeitig wies er die Äußerungen des Außenministers scharf zurück: "Was Westerwelle macht, ist Populismus pur für eine Klientel." Bartsch wiederholte seinen Vorwurf, Westerwelle betreibe einen "eiskalt kalkulierten Klassenkampf von oben".

Grünen-Politiker Cem Özdemir warf der Koalition völlige Planlosigkeit bei der Fortentwicklung des Sozialstaats vor. Einzig bei der FDP herrsche Klarheit: "Westerwelle will die Axt an die Grundfesten des Sozialstaates legen, um damit seine Steuersenkungsversprechen für Besserverdienende zu finanzieren", sagte Özdemir am in Berlin. Eine Generaldebatte - wie von FDP-Chef Guido Westerwelle gefordert - würden die Grünen dazu gerne führen. Teilhabe- und Chancengerechtigkeit müssten gestärkt werden.

"Es wäre besser, wenn er schweigt"

"Die Geschwindigkeit der Auflösungserscheinungen von Schwarz-Gelb ist atemberaubend", sagte Özdemir. Angesichts zunehmender "Kakophonie" sei völlig unklar, welche Konsequenzen die Bundesregierung aus dem Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgericht ziehen wolle. "Wäre heute nicht Rosenmontag, müsste man über so viel Narretei an der Regierung kräftig ins Grübeln geraten."

Auch CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt kritisierte Westerwelle. "Als Bundesminister muss man sich immer bewusst sein, dass man alle Deutschen vertritt, sagte er der Passauer Neuen Presse.

Westerwelle erhält jedoch auch Unterstützung für seine Position vom Koalitionspartner: Der stellvertretende Unionsfraktionschef Michael Fuchs (CDU) kritisierte zwar die Wortwahl Westerwelles, hielt aber die Warnung vor einer Umverteilung zulasten der Steuerzahler für gerechtfertigt. "Von der Wortwahl hätte ich mich nicht so ausgedrückt", sagte Fuchs in Berlin. "Aber prinzipiell müssen wir darauf achten, dass das Lohnabstandsgebot gewahrt bleibt."

Die Forderung von Hessens FDP-Justizminister Jörg-Uwe Hahn nach einem Machtwort von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wies der Unionsfraktionsvize allerdings zurück. "Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe eines Landesministers ist, die Bundeskanzlerin zu irgendwelchen Taten aufzufordern." Der hessische FDP-Chef hatte gefordert, dass Merkel sich angesichts von Kritik aus der Union vor Westerwelle stellen soll.

Fuchs kritisierte den früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler scharf, der Westerwelle einen "Esel" genannt hatte. "Die Äußerung von Heiner Geißler ist in meinen Augen unsäglich. Für mich ist er nicht mehr ernst zu nehmen. Es wäre besser, wenn er schweigt."

CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach forderte den FDP-Chef in der ARD zu "hundertprozentiger Konzentration auf die Sacharbeit" auf. Der Vize-Regierungssprecher sieht für die Forderung von Westerwelle nach genug Abstand zwischen dem Lohn und staatlicher Hilfe keinen Dissens. "Es gibt in der Bundesregierung völlig Einigkeit darin, dass das Lohnabstandsgebot eingehalten werden muss."

Der CDU-Politiker warnte davor, dass die Pläne der schwarz-gelben Koalition für Steuerentlastungen unter zusätzlichen Sozialausgaben leiden könnten. "Westerwelle möchte sich die Option für Steuerentlastungen aufrechterhalten", sagte Fuchs. "Die ist kaputt, wenn wir im Sozialbereich mehr ausgeben. Geld kann man nicht beliebig vermehren." Er betonte zugleich: "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts heißt aber nicht automatisch mehr Geld."

Indes sprach sich auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) gegen eine generelle Erhöhung der Hartz-IV-Sätze aus. Das Bundesverfassungsgericht habe eine transparente Berechnung verlangt, aber nicht gesagt, dass sie zu niedrig seien, sagte Böhmer im Deutschlandfunk. "Man muss das natürlich auch im Zusammenhang mit den Tarifentwicklungen in vielen Bereichen der Wirtschaft sehen, und demzufolge kann ich nicht erkennen, dass sie nennenswert steigen sollten."

Böhmer rechnet mit Veränderungen bei den Regelsätzen für Kinder. "Das halte ich für angemessen. Aber dass grundsätzlich jetzt alle darauf hoffen können, dass sie mehr bekämen, diese Hoffnung würde ich nicht verbreiten wollen." Nach Einschätzung Böhmers muss die mit Hartz IV verbundene finanzielle Ausstattung zum Leben reichen: "Natürlich nicht zu einem Wohlstand, das hat aber auch niemand verlangt und das hat das Gericht auch nicht gefordert. Aber es sollte niemand hungern müssen." Dies sei seiner Ansicht nach gewährleistet. "Was ich so von den Betroffenen höre, sind die Sätze wenigstens für die Erwachsenen bestimmt nicht hoch, aber durchaus auskömmlich."

Auch der Berliner FDP-Fraktionsvorsitzende Christoph Meyer stärkt dem Chefliberalen Westerwelle den Rücken. Es sei ein Missverständnis, dass Westerwelle generelle Leistungskürzungen verlange, sagte Meyer im RBB-Inforadio. Die FDP wolle nicht Bedürftigen, gerade nicht Alleinerziehenden Geld wegnehmen. "Sondern im Gegenteil, es geht darum, dass wir den wirklich Bedürftigen in der Gesellschaft auch genügend Ressourcen zur Verfügung stellen können", betonte der FDP-Fraktionschef. Deshalb sei eine Generaldebatte über den Sozialstaat wichtig, damit die wirklich Schwachen vom Staat die Unterstützung bekämen, die sie verdienten.

Und wenn das alles noch nicht genug wäre: meldete sich auch noch Ex-Erotik-Star Dolly Buster zu Wort: Sie verteidigt die Äußerungen Westerwelle. "Er sagt die Wahrheit", erklärte Buster der ddp.

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