Süddeutsche Zeitung

Westerwelle und die FDP:Die Rebellion der Kohleschipper

Eine ganze Partei fällt auf die Schnauze: Guido Westerwelle trägt zwar Schuld am Debakel der FDP, versagt haben aber alle Liberalen - auch die, die jetzt ihren Chef stürzen wollen. Umso grotesker ist die Debatte über seine Nachfolge.

Kurt Kister

Wenn Guido Westerwelle über sich selbst redet, frönt er gerne einer Vorliebe für maritime Sprachbilder. Am liebsten sieht er sich als Kapitän. "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt's einen, der die Sache regelt. Und das bin ich", rief er 2001 auf einem Wahlparteitag aus.

Seitdem hat er diesen Spruch oft wiederholt. Jetzt, da sein Schiff mal wieder vom Untergang bedroht ist, sagt der rheinische Landmatrose: "Ich verlasse das Deck nicht, wenn es stürmt."

Nun sucht man bei Sturm den Kapitän auf der Brücke und nicht auf Deck. Westerwelle hat das falsche Bild benutzt, aber dadurch die richtige Analogie gewählt: Der FDP-Chef agiert nicht mehr von der Brücke aus. Die eigene Mannschaft, wenn auch eher die Stewards und Kohleschipper, rebelliert offen gegen ihn; in der Gunst der Bürger ist die Partei abgestürzt. Nicht nur Quertreiber, wie der unverbesserliche Möllemann-Ministrant Kubicki, wollen den Vorsitzenden stürzen, sondern auch etliche Liberale aus der zweiten und dritten Reihe.

Man muss kein Westerwelle-Fan sein, um zu befinden: Die FDP macht es sich zu einfach. Die Partei hat die große Mehrheit jener Wähler enttäuscht, die ihr 2009 zugelaufen sind, weil sie in der FDP ein durchsetzungsfähiges, marktliberales Korrektiv zu einer sozialdemokratisierten Union sahen. Die gesamte FDP hat in dem Sinne versagt, dass sie nicht erfüllt hat, was bürgerliche Wechselwähler von ihr erwartet haben.

Gewiss, der Politiker Westerwelle konnte mit dem starken Mandat von fast 15 Prozent nicht umgehen, und er scheitert bis heute in der Doppelrolle als erster FDP-Mann und Außenminister. Aber neben ihm haben es viele seiner jetzt offenen und fast alle heimlichen Kritiker aus seiner Partei auch nicht besser gemacht. Die FDP insgesamt ist auf die Schnauze gefallen, auch wenn Westerwelle als erster gestolpert ist.

Dagegen-Mann und Dafür-Partei

Wie grotesk die Debatte verläuft, zeigt die Tatsache, wer als Nachfolger Westerwelles gehandelt wird. Da ist der Wirtschaftsminister Brüderle, ein Mann der Vergangenheit, die im Moment manchem Liberalen als Zukunft erscheint. Brüderle gilt als Erfolg, weil er als einziger FDP-Minister kein klarer Misserfolg ist. Und dann gibt es den jungen, möglicherweise gescheiten Christian Lindner, aus dem etwas werden könnte, bliebe ihm die Zeit, Erfahrung zu sammeln. Bleibt ihm die nicht, wird er verheizt.

Westerwelle war ein bedeutender Oppositionspolitiker, mit dem Regieren hat er es nicht so. Die FDP aber fühlte sich stets weniger als Oppositionspartei denn als geborene Mitverantwortungsträgerin. Sie hat einen Dagegen-Mann an der Spitze und ist doch eine Dafür-Partei.

Die vielen grauen Dafür-Typen von Brüderle über Gerhardt bis Zeil können nicht verwinden, dass ausgerechnet ein habitueller Oppositioneller und Krawallist diese Partei kurzzeitig in nie gekannte Höhen geführt hat. 2011 wird die FDP Landtagswahlen verlieren, und dann wohl auch ihren unpassenden Chef.

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Quelle:
SZ vom 20.12.2010/jab
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