Westerwelle und die FDP:Eiskaltes Erwachen

Westerwelle hat seinen Zenit überschritten und nicht nur Profilneurotiker fordern mittlerweile den Rücktritt des FDP-Chefs. Auch wenn er es nicht glauben mag: Es gibt Kollegen, die ihn ersetzen können.

Peter Blechschmidt, Berlin

Schwere Erdbeben kündigen sich oft durch kleine seismographische Schwingungen an. Ein Murren über mangelnde Durchsetzungsfähigkeit in der Koalition hier, unterschiedliche Prioritäten in Steuerfragen da, vielsagendes Schweigen auf kritische Fragen dort - jenseits des üblichen Gemäkels an Führungskräften waren seit etlichen Wochen in der FDP Absetzbewegungen weg von Parteichef Guido Westerwelle zu registrieren.

Bundestag

Guido Westerwelle sieht sich mit mehreren Rücktrittsforderungen konfrontiert.

(Foto: dapd)

Mittlerweile reichen die Ausschläge auf der parteiinternen Anti-Westerwelle-Skala weit über den Signalcharakter hinaus. Kaum eine Gesprächsrunde von Politikinteressierten, geschweige denn Liberalen, in der nicht über die Zukunft der FDP und ihres Vorsitzenden spekuliert wird. In dieser Woche nun haben erstmals angesehene FDP-Mitglieder, die nicht als Profilneurotiker abgetan werden können, ausdrücklich den Rücktritt des Vorsitzenden gefordert.

Der offene Brief, den die beiden baden-württembergischen Alt-Liberalen Wolfgang Weng und Georg Gallus zusammen mit zwei Landtagskandidaten an Westerwelle geschrieben haben, fasst in knappen Sätzen zusammen, was zumindest unter den Sympathisanten und Wählern der FDP längst mehrheitsfähig zu sein scheint. Die Schreiber würdigen die "gewaltigen" Verdienste Westerwelles. Aber sie stellen auch fest, dass der Niedergang in den Umfragen mit ihm an der Spitze nicht mehr aufzuhalten sei.

Unter Westerwelles Führung hat die FDP bei der letzten Bundestagswahl mit 14,6 Prozent eines der besten Ergebnisse ihrer Geschichte erzielt. Unter seiner Führung hat sie auch den wohl schlimmsten Absturz erlitten, der je einer Partei nach einem grandiosen Wahlsieg widerfahren ist. In Umfragen dümpelt die FDP mittlerweile bei unter fünf Prozent.

Die Gründe dafür liegen sicherlich nicht bei Westerwelle allein. Aber ein Vorsitzender, der eine Partei dermaßen auf seine zentrale Rolle ausgerichtet hat, trägt nun mal auch den Großteil der Verantwortung - ungeachtet dessen, dass die Partei sich Westerwelles Machtanspruch relativ bereitwillig untergeordnet hat. Der immer noch jugendlich wirkende Jurist aus Bonn wird am 27. Dezember 49 Jahre alt. Für einen Spitzenpolitiker ist das kein Alter, in dem er ans Aufhören denkt. Westerwelle aber, so sieht es aus, hat den Zenit seiner politischen Karriere überschritten.

Das hat er sich zum großen Teil selbst zuzuschreiben. Ganz offenkundig war die FDP trotz eines fulminanten Wahlkampfs personell wie inhaltlich auf die Regierungsbeteiligung nicht vorbereitet. Keines der vollmundigen Wahlversprechen wurde eingehalten. Die Chancen des Außenministeriums, das Westerwelle gegen den Rat auch wohlmeinender Parteifreunde um jeden Preis erlangen wollte, hat er überschätzt, genau wie er die Mühen unterschätzt hat. Am Ende reichte die eher läppische Maulwurf-Affäre um seinen Büroleiter Helmut Metzner - und Westerwelle steht als unfähiger Krisenmanager da.

Kritik an der One-Man-Show

Natürlich weiß Westerwelle um die Stimmung in der Partei. Bislang hat er die Lage allerdings hauptsächlich unter dem Aspekt betrachtet, was dies für ihn selbst bedeutet. Er hat sich gefragt, ob er sich den vielen Anfeindungen - den öffentlichen wie den meist noch viel gehässigeren im Stillen, die auch auf sein Privatleben anspielen - weiter aussetzen will. Er hat sich geprüft, ob er sich die Kraft zutraut, die Dinge noch einmal zu wenden.

"Ihr kauft mir den Schneid nicht ab", hat er im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf bei einem missglückten Auftritt den Journalisten entgegengeschleudert. Im Sommerurlaub auf Mallorca ist er dann zu dem Schluss gekommen, dass er um den Vorsitz kämpfen wolle, dass er sich nicht wie ein Hund vom Hof jagen lassen werde. Er sei kein Kapitän, der bei Sturm von der Brücke gehe, hat Westerwelle vor kurzem wieder bekräftigt.

Das sei auch im Interesse der Partei, hat Westerwelle vor Vertrauten argumentiert. Es gebe doch außer ihm niemanden, der das FDP-Schiff durch diese schweren Zeiten steuern könne. Die wenigen, die ihm so nahestehen, dass sie als Berater gelten können, dürften ihn in dieser Einschätzung bestärkt haben. Wann immer aus der Partei Kritik an der angeblichen One-Man-Show Westerwelles geäußert wurde, kamen sie mit der Gegenfrage, wo denn der substantielle Beitrag zum Erfolg sei bei Ministern wie Rainer Brüderle, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger oder Philipp Rösler.

Nun aber stellt sich für immer mehr Liberale die Frage, ob die Interessen Westerwelles und der Partei noch deckungsgleich sind. Ob Westerwelle seiner Partei nicht einen weiteren Dienst erweisen sollte, indem er sich vom Vorsitz zurückzieht. Niemand wisse, ob ein solcher Schritt bessere Wahlergebnisse bringe, schreiben Weng und Gallus. Er brächte aber Motivation und Hoffnung für die Wahlkämpfer.

Wie auf ein magisches Zeichen starrt die FDP diesmal auf das traditionelle Dreikönigstreffen in Stuttgart am 6. Januar. Die einen hoffen auf die große Stimmungswende, auf den Aufbruch in eine bessere Zeit. Andere spielen verschiedene Szenarien durch, wie man den Vorsitzenden loswerden könnte, und arbeiten an einer Zermürbungsstrategie. Wieder andere erwarten zumindest ein klares Signal ihres Vorsitzenden, wie es mit der Partei und vor allem mit ihm weitergehen soll. Wird er auf dem Bundesparteitag im Mai in Rostock erneut für den Parteivorsitz kandidieren und es auf eine Vertrauensabstimmung ankommen lassen? Oder wird er ein Konzept entwickeln, wie er einen Übergang auf einen jüngeren Nachfolger mitgestalten kann?

Das immer wieder vorgebrachte Argument, es gebe zu einem Vorsitzenden Westerwelle keine Alternative, nutzt sich langsam ab. In der FDP ist eine Riege fähiger junger Leute nachgewachsen, die sich durch sachorientierte Arbeit auszeichnen wollen und die für die machttaktischen Ränkespiele der Altvorderen nichts übrighaben. An erster Stelle steht der seit einem Jahr amtierende Generalsekretär Christian Lindner. Aber da sind auch Gesundheitsminister Rösler, sein Staatssekretär Daniel Bahr, der seit kurzem auch Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen ist, und der Haushaltsexperte Otto Fricke. Da sind Abgeordnete wie der ehemalige Juli-Vorsitzende Johannes Vogel, wie Daniel Volk, Florian Toncar oder Horst Meierhofer, die das Zeug haben, gute Arbeit zu leisten.

Manchmal hat es den Anschein, als fehle den meisten von ihnen das Macht-Gen, das Politiker treibt, sich um höchste Ämter zu bewerben. "Sie müssen irgendwann den Mut haben, Flagge zu zeigen", sagt ein alter Fahrensmann wie Gerhart Baum. Und vielleicht muss ein Vorsitzender Westerwelle kommen und diese jungen Leute, für die Politik verständlicherweise nicht der alleinige Lebensinhalt ist, in die Pflicht nehmen, an seiner Stelle Führung auszuüben.

Ob Guido Westerwelle solche Größe aufbringt, ist eine Frage, auf die viele eher mit Nein antworten. Zumal sie bezweifeln, dass ein Rückzug auf das Außenamt ihm wirklich das erhoffte Ansehen zurückbringt. Wie auch immer er sich entscheide, sagt ein führender Liberaler: "Die Lösung der Causa Westerwelle liegt bei Westerwelle."

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