Man weiß nicht mehr, ob man über die FDP lachen oder weinen soll. Die Geschichte dieser großen kleinen Partei hat sich in eine Tragikomödie verwandelt, die aber keinen guten Ausgang und kein Ende mehr findet. Seit gut zwanzig Jahren, seitdem Guido Westerwelle in dieser Partei eine Hauptrolle spielt, ist die Politik der FDP Theater. Als Theater war diese Politik anfänglich bemerkenswert; sie fand Beachtung, sie machte Eindruck, sie fesselte ein kurzzeitig wachsendes Publikum, weil sie marktschreierisch war und aufdringlich. Sie weckte große Erwartungen, die sie dann in der Regierung maßlos enttäuschte.
Diese Enttäuschung ist alles, was geblieben ist - gewaltige Enttäuschung über die FDP und maßlose Enttäuschung über den FDP-Außenminister. Die liberale Tragikomödie mündet in eine Tragödie.
Westerwelle provoziert so viel Häme, dass man sich dabei ertappt, Mitleid zu haben. Mitleid verdient aber weniger das Subjekt Westerwelle als das Objekt FDP: Westerwelle hat ihr viel mehr genommen, als er ihr gegeben hat. Ihre wirtschaftspolitische Kompetenz ist dahin, ihre Tradition als die Partei der großen Außenminister befleckt. Und es sieht so aus, als würde der Fleck jeden Tag größer.
Das Machtwort des Vorsitzenden Rösler ist da kein Reinigungsmittel. Und die politischen Ablenkungsmanöver - Rentenbeitrag senken, Solidaritätszuschlag drücken - wie sie soeben auf der FDP-Klausur verkündet werden, helfen da auch nicht nachhaltig.
Was traut sich Rösler?
Wie die FDP wieder zu einer erfolgreichen Partei werden soll, weiß keiner; der neue Vorsitzende auch nicht. Bei seiner Wahl hat er versprochen, dass er "liefern" wird; aber er weiß selbst nicht, was er liefern soll. Fürs Erste müsste es wohl der komplette Abschied von der Ära Westerwelle sein. Aber das traut sich Rösler nicht.
Er kaschiert seine Führungsschwäche mit seltsamen Reden, die so klingen, als gebe von nun an er als Parteichef die Direktiven aus, nach denen der Außenminister zu handeln habe. Rösler tut so, als sei das Amt des deutschen Außenministers ein imperatives Mandat der Parteizentrale der FDP. Das ist nur peinlich - und ein Ergebnis der Schwäche Westerwelles und der Führungsverlegenheit Röslers.
Im Außenamt sitzt ein Mann als Minister, der der FDP schadet und dem Land nichts nutzt. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn die gellende Kritik an Westerwelle wieder abgeflaut ist; sie war zuletzt noch lauter und schriller, als Westerwelle es je war. Sie wird, wie eine Sirene, auf Knopfdruck neu anheben; und solche Knöpfe gibt es viele. Die Sirene hat das Totenglöckchen abgelöst, das früher die Krisen der FDP begleitet hat.
Man kann die Tragikomödie der FDP und die Rolle des Guido Westerwelle darin mit Carl Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick" vergleichen - wo der Schuster Wilhelm Voigt sich in der Uniform eines preußischen Hauptmanns einen Trupp Gardesoldaten unterstellt und dann das Rathaus besetzt. So ähnlich hat es Westerwelle mit der FDP gemacht. Als Darsteller war er so überzeugend, dass ihn die Partei immer wieder bejubelt und gewählt hat. Er hat die FDP mit seinem Ego und seiner Exzentrik überrollt, und die Partei hat sich überrollen lassen.
Westerwelle hat das Maß verloren und durch Anmaßung ersetzt; und als er im Amt des Außenministers zum Maß zurückfinden wollte, fand er es nicht mehr. Natürlich war und ist Westerwelle bestens demokratisch legitimiert und bemüht sich im Ministeramt redlich. Aber es reicht nicht. In der Öffentlichkeit steht er da wie einer, der es durch Anmaßung erlangt hat. Das mag ungerecht sein, ist aber so. Er ist zur Personifikation dessen geworden, was man an der FDP nicht mag. Es wäre ein Wunder, wenn es gelänge, das abzuschütteln.
Der Unterschied zwischen der liberalen und der echten Köpenickiade besteht zum einen darin, dass Westerwelle als Protagonist nicht sympathisch ist wie weiland der Schuster Wilhelm Voigt zumal in der Gestalt, die Heinz Rühmann ihm gegeben hat; im Gegenteil: Bei Westerwelle ist das Anmaßende anmaßend und sonst nichts. Zum anderen war die echte Köpenickiade von nur kurzer Dauer. Nach vollbrachter Tat setzte sich der falsche Hauptmann in die Bahnhofswirtschaft, ließ sich ein Glas Helles servieren und verschwand mit dem nächsten Zug. Bei der FDP ist das anders. Westerwelle ist noch immer so stark, dass ihn die Partei nicht los wird; und zugleich ist er so schwach, dass er den Rücktritt nicht mehr von selbst schafft.
Die Köpenickiade bei der FDP dauert nun schon viele Jahre - und das politische Ende des Guido Westerwelle ist nicht enden wollend. Er hat nicht nur das Heft des Handelns, sondern auch den Faden verloren; den hält jetzt der neue Vorsitzende Rösler, der aber damit bisher auch nicht viel anzufangen weiß. Das ist bitter nicht nur für die FDP, sondern für die Demokratie in Deutschland. Wenn die FDP verkümmert, verkümmert ein Stück bundesrepublikanischer Tradition. Es wird derzeit, auch in der FDP, viel über den Rettungsschirm für den Euro gestritten. Die FDP scheint einen Rettungsschirm so dringend zu brauchen wie dieser. Nur weiß man, wenn es um die FDP geht, nicht, was da eigentlich gerettet werden soll. Wenn sie wieder zu Substanz findet, wächst das Rettende auch.