Flüchtlingskrise:Grüne Kompromisse

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Winfried Kretschmann wird wohl wieder zum Kompromiss in der Frage der sicheren Herkunftsstaaten bereit sein. (Foto: imago/Jakob Hoff)
  • Die Bundesregierung kann bei ihrem Plan, weitere Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, auf die Unterstützung von Hessen und Baden-Württemberg hoffen.
  • An beiden Regierungen sind die Grünen beteiligt.
  • Sie könnten dafür Zugeständnisse verlangen wie bei der Finanzierung der Flüchtlingsbetreuung.

Von Susanne Höll, Wiesbaden, und Josef Kelnberger, Stuttgart, Stuttgart/Wiesbaden

Die schwarz-rote Bundesregierung kann bei ihrem Plan, zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms weitere Balkanländer zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, auf die Unterstützung der von den Grünen mitregierten Länder Baden-Württemberg und Hessen hoffen. Falls die Bundesregierung beim Spitzentreffen zur Flüchtlingsfrage andere Forderungen der Grünen erfülle, sei ein Einverständnis vorstellbar, hieß es in Kreisen von Landespolitikern.

Mit den Stimmen der beiden Länder wäre die Mehrheit im Bundesrat sicher

Spitzenvertreter der Grünen hatten in den vergangenen Wochen über das strittige Thema beraten. Ziel ist es, Verwerfungen wie im vergangenen Jahr zu vermeiden. Damals hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum Unwillen der grünen Bundesspitze und etlicher Länderpolitiker der Forderung der Bundesregierung nach Deklarierung von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten im Bundesrat zugestimmt. Mittlerweile würde Kretschmanns Stimme allein nicht mehr genügen. Ob nun ein einheitliches Votum der Länder mit grüner Regierungsbeteiligung zustande kommt, ist ungewiss. Mit den Stimmen von Baden-Württemberg und Hessen aber wäre die Mehrheit im Bundesrat sicher.

Kretschmann hat vor dem Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern an diesem Donnerstag mehrmals seine Kompromissbereitschaft bekräftigt. Bei den Grünen gibt es niemanden, der die Kluft zwischen den Idealen der Partei und den Zwängen der Realität stärker spürt als er. Der erste und einzige grüne Regierungschef hatte den Flüchtlingszustrom von Anfang an zur Chefsache gemacht. Nun steht Kretschmann in der Kritik für jedes Problem bei der Unterbringung.

Die CDU regiert in den meisten Kreisen und Kommunen, deshalb fällt ihr leicht, den Unmut wegen überfüllter Flüchtlingsquartiere gegen den grünen Regierungschef zu wenden. Auch deshalb muss Kretschmann ein halbes Jahr vor der Landtagswahl an einem Kompromiss mit der CDU-Kanzlerin Merkel gelegen sein.

Sollte der Regierungschef in Stuttgart alleinstehen, hätte das verheerende Folgen

Kretschmann wird sich wohl ohne Gesichtsverlust auf einen Kompromiss einlassen können. Zu seinen Kernforderungen gehören die Gesundheitskarte, Arbeitsmarkt-Korridore für Menschen vom Westbalkan und eine dauerhafte Beteiligung des Bundes an den Kosten für Unterbringung und Verpflegung der Asylbewerber. Seit einem Jahr verlangt er, das Bundesamt für Migration müsse mehr Personal zur Verfügung stellen, um Asylanträge zügiger entscheiden zu können. Das soll nun geschehen.

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Vor dem Flüchtlingsgipfel in Stuttgart plädiert Baden-Württembergs Landeschef für mehr gezielte Einwanderung. Das nehme den Druck von den Ländern - und lindere den Fachkräftemangel.

Die Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten hält Kretschmann für Symbolpolitik ohne große Wirkung, ob positiv oder negativ. Deshalb fällt ihm eine Zustimmung nicht schwer. Sollte er in der Frage im grünen Lager alleinstehen und ein Kompromiss deshalb scheitern, hätte das verheerende Folgen für seine Flüchtlingspolitik - und auch für seinen Wahlkampf.

Die Grünen in Hessen sind zu einem Ja bereit, unter Bedingungen

Die schwarz-grüne Koalition in Hessen hatte sich vor einem Jahr im Bundesrat bei dem Thema enthalten, die Landes-Grünen hatten aber hinterher Verständnis für Kretschmann geäußert. Diesmal sind die Grünen zu einem Ja bereit - unter der Voraussetzung, dass die Bundesregierung Zugeständnisse in anderen Punkten macht. Etwa bei der Finanzierung der Flüchtlingsbetreuung, zusätzlichen Angeboten bei Deutschkursen, mehr Engagement bei der Erstbetreuung von Schutzsuchenden und insbesondere beim Zugang von Nicht-EU-Bürgern vom Balkan auf den deutschen Arbeitsmarkt.

Die hessischen Grünen sind nach wie vor der Auffassung, dass die mit kürzeren Asylverfahren verbundene Ausrufung weiterer sicherer Herkunftsstaaten die aktuellen Probleme bei der Flüchtlingsbetreuung nicht erleichtert. Doch die hessische Landesvorsitzende der Grünen, Daniela Wagner, machte deutlich, dass die Flüchtlingslage überall schwierig ist und deshalb auch Zugeständnisse der Grünen nötig seien. Sie glaube nicht, dass bei einer Zustimmung zu weiteren sicheren Staaten "grüne Ideale" verkauft würden.

In Rheinland-Pfalz, wo die Grünen Juniorpartner der SPD sind, ist man von einer Zustimmung weit entfernt. Die Grünen befürchten, im Falle einer Zustimmung bei der Landtagswahl nächstes Jahr Stimmen zu verlieren. In Hessen, wo kommendes Jahr Kommunalwahlen stattfinden, ist die Lage eher umgekehrt. Dort regieren die Grünen in etlichen Kommunen mit und sehen sich daher in der Verantwortung.

© SZ vom 24.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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