Westbalkan-Gipfel:Scholz fordert Tempo

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EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Kanzler Olaf Scholz und Albaniens Premier Edi Rama in erster Reihe beim Berliner Westbalkan-Gipfel. (Foto: Michele Tantussi/Getty)

Die Annäherung der Kandidaten für den EU-Beitritt schleppt sich dahin. Der Kanzler erwartet nun Taten statt Worte – und bei dem Treffen mit den Staats- und Regierungschefs der sechs Länder kommt etwas in Bewegung.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Bundeskanzler Olaf Scholz hat geladen, und die sechs Staaten des westlichen Balkan sind auch dieses Mal wieder in die deutsche Hauptstadt gekommen. „Es ist uns gelungen, etwas zu schaffen, das ich den Geist von Berlin nennen würde“, sagte Scholz zum Auftakt des Gipfeltreffens im Kanzleramt am Montag, zu dem die Staats- und Regierungschefs der EU-Beitrittskandidaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien erschienen waren. Allerdings war es bis wenige Tage vor dem Treffen nicht klar, ob diesmal ein Durchbruch gelingen würde.

Eine Aufnahme in die EU in Aussicht gestellt hatten die Mitgliedstaaten den sechs Ländern schon auf dem EU-Gipfel im Juni 2003 in Thessaloniki, also vor mehr als 20 Jahren. „Es wird höchste Zeit, dass diesen Worten konkrete Taten folgen“, bekräftigte Scholz. Allerdings sei der Beitritt „tatsächlich lange nicht auf der Agenda“ gewesen, räumte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz ein. Das habe sich aber mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine geändert.

Angela Merkel startete den „Berliner Prozess“ schon 2014

Vor zehn Jahren hat die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel den „Berliner Prozess“ ins Leben gerufen. Er soll die Länder des westlichen Balkan enger an die EU heranführen – mit kleinen und praktischen Schritten, die zugleich konkrete Verbesserungen für das Leben der Menschen in der Region mit sich bringen. Im Zentrum: der Weg zu einem gemeinsamen Markt auf dem Westbalkan, der bereits weitgehend EU-Standards entspricht. Diese wirtschaftliche Annäherung sei neben der Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Standards die zweite wichtige Voraussetzung auf dem Weg in die EU, sagte von der Leyen.

Bei dem Treffen wurde nun ein neuer Aktionsplan für den gemeinsamen regionalen Markt verabschiedet und ein weiteres Mobilitätsabkommen unterzeichnet, das es Studierenden ermöglichen soll, Universitäten in allen sechs Ländern zu besuchen. Beschlossen wurde auch eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Umsetzung der Grünen Agenda, die Deutschland mit 1,5 Milliarden Euro unterstützt. Die Hälfte soll schon bis Jahresende ausgezahlt werden. Engere Kooperation soll es in den Bereichen Landwirtschaft, Sicherheit, Konnektivität und Verkehr geben. Die Staaten verabschiedeten zudem eine gemeinsame Erklärung zur Bekämpfung von irregulärer Migration und organisierter Kriminalität.

Die Blockade des Freihandelsabkommens Cefta scheint gelöst

Hintergedanke des Berliner Prozesses ist es, auf technischer Ebene Fortschritte in Richtung eines EU-Beitritts zu erzielen, auch wenn ungeklärte Statusfragen weiter bestehen, etwa zwischen Serbien und Kosovo. Vereinbart wurden etwa Möglichkeiten zum Roaming von Handytelefonaten in der Region, in der insgesamt 17 Millionen Menschen leben, Vereinbarungen zum Geoblocking bei Streaming-Anbietern wie Netflix oder die gegenseitige Anerkennung von Berufsabschlüssen, Personalausweisen als Reisedokument oder Kraftfahrzeugversicherungen.

Durch Streit im bilateralen Verhältnis aber war es bis vor wenigen Tagen unklar, ob eine dreijährige Blockade bei der weiteren Umsetzung des Freihandelsabkommens Cefta überwunden werden kann. Immer noch erschwerten Konflikte der Vergangenheit die Zusammenarbeit heute, monierte Scholz. Beim Außenministertreffen vor zehn Tagen hatte sich eine Lösung aber bereits abgezeichnet, die verbindliche Zusage aller Beteiligten kam allerdings erst am vergangenen Mittwoch. Das Entscheidungsgremium von Cefta, dem neben den sechs Westbalkan-Ländern auch Moldau angehört, kann nun wieder arbeiten.

Die ungeklärten Statusfragen zwischen Kosovo und Serbien bremsen vieles

Kosovo hatte im Streit mit Serbien die Lieferung von bestimmten Waren aus dem Nachbarland blockiert und dies damit begründet, Waffenlieferungen verhindern zu wollen. Ministerpräsident Albin Kurti hat nun zugesagt, diese wieder an den Grenzübergängen abzufertigen. Die Bundesregierung hatte der Regierung in Pristina zeitweise gedroht, die nächsten Integrationsschritte mit den fünf anderen Staaten voranzutreiben. Das hat neben der Pendeldiplomatie des Sondergesandten der Bundesregierung, Manuel Sarrazin, nun zu einer Einigung beigetragen. Deutschland hat Kosovo in Aussicht gestellt, mit Scannern zur Kontrolle von Lastwagen an der Grenze zu helfen, um so möglichen Waffenschmuggel zu verhindern.

Allerdings stellte Kanzler Scholz klar, dass die Gespräche zwischen Kosovo und Serbien unter Vermittlung der EU über eine Normalisierung der Beziehungen „nicht zufriedenstellend verlaufen“. Er bestehe darauf, dass beide Seiten ihre eingegangenen Verpflichtungen einhalten, fügte Scholz hinzu. Auch in anderen Ländern müsse man nationalistische, spaltende Rhetorik feststellen. Das sei eine Gefahr für das Zusammenwachsen und Zusammenleben in Frieden und Wohlstand. Belgrad erkennt die Unabhängigkeit Kosovos nicht an und betrachtet es als abtrünnige Provinz. Kosovos Regierung wiederum beharrt in vielen Fragen auf eine De-facto-Anerkennung durch Serbien.

Von der Leyen machte deutlich, dass sich die Geschwindigkeit des EU-Beitritts daran bemesse, wann die einzelnen Staaten die Anforderungen der EU erfüllten. Albaniens Präsident Edi Rama hat dies für sein Land für das Jahr 2030 angekündigt. Scholz bekräftigte, dass es zwar eine gemeinsame Perspektive für den Beitritt aller sechs Länder gebe, man aber diejenigen nicht aufhalten werde, die schneller voranschreiten.

Beim Gipfeltreffen in Albaniens Hauptstadt Tirana 2023 hatte die EU den sechs Ländern zudem in Aussicht gestellt, im Gegenzug für Reformen schon vor dem Beitritt in den Genuss der Vorteile des EU-Binnenmarktes zu kommen. Von der Leyen kündigte an, dass die EU in dieser Woche für fünf von sechs Ländern die von ihnen unterbreitete Reformagenda annehmen würde. Damit ist auch der Zugang zu Investitionen verbunden, für die Brüssel insgesamt sechs Milliarden Euro bereitstellt.

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