Westafrika:Fataler Wettkampf

Westafrika: Äthiopiens Regierung hat stark in die Bildung von Frauen investiert – das macht sich inzwischen bemerkbar.

Äthiopiens Regierung hat stark in die Bildung von Frauen investiert – das macht sich inzwischen bemerkbar.

(Foto: Michaelt Tewelde/AFP)

In Niger bekommen die Frauen weltweit den meisten Nachwuchs, auch aufgrund fragwürdiger Traditionen.

Von Bernd Dörries

Manchmal reicht der Platz einfach nicht aus, um all die Namen der Söhne und Töchter einzutragen. In Niger bekommen die männlichen Einwohner vom Staat eine Art Stammbuch, in das sie ihre Kinder eintragen können, vielleicht auch, damit sie nicht den Überblick verlieren: 20 Seiten hat das Büchlein, manchmal reichen sie nicht aus, um jedes Kind einzutragen. Mehr als sieben Kinder bekommt jede Frau in Niger im Durchschnitt. Weil Polygamie weit verbreitet ist, haben viele Männer mehr als 15 Kinder.

Die Vereinten Nationen haben berechnet, dass sich die Bevölkerung Nigers bis zum Jahr 2050 auf etwa 60 Millionen Einwohner verdreifachen wird. Andere Schätzungen gehen sogar von 80 Millionen aus. "Die Mehrzahl der Staaten - insbesondere südlich der Sahara - wird kaum in der Lage sein, die erforderliche Gesundheits- und Bildungsinfrastruktur für die Menschen bereitzustellen, geschweige denn genügend Jobs, die ein auskömmliches Leben ermöglichen", schreibt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.

Es ist aber eher das Ausland, das sich Sorgen macht. In Niger gibt es keine umfassende gesellschaftliche Diskussion über das enorme Bevölkerungswachstum. Wer viele Kinder hat, steigt im Ansehen. Die muslimischen Geistlichen erzählen Frauen immer wieder, dass es nicht im Sinne Allahs sei, Kondome oder die Pille zu benutzen. Durch die Vielehe entsteht zwischen den Ehefrauen ein regelrechter Wettkampf darum, wer seinem Mann die meisten Kinder schenken kann. Je mehr Söhne und Töchter, desto mehr wird dieser Strang der Familie später erben. Viel zu verteilen gibt es aber oft nicht. Millionen Menschen in Niger leben in bitterer Armut, sind Subsistenzbauern, die ein bisschen Kartoffeln und Reis anbauen, vielleicht noch ein paar Papayas. Durch die Erderwärmung und die Abholzung breitet sich die Sahara immer weiter aus, der Regen wird weniger, die Ernte auch. Weniger Kinder würde für viele Familien mehr zum Essen bedeuten.

Viele Väter und Mütter denken aber anders. Sie wünschen sich sieben oder zehn Kinder. Von denen, so die Denkweise, werden zwei oder drei aufgrund der Kindersterblichkeit früh zu Tode kommen. Von den übrigen wird es eines vielleicht auf die Schule schaffen und ein weiteres günstig heiraten. Je mehr Kinder, desto höher die Chance, dass es eines zu etwas bringt, vielleicht sogar nach Europa schafft. Individuell mag das logisch erscheinen, für die Gesellschaft als Ganze ist es fatal. Wirtschaftliches Wachstum wird durch ein fast ebenso hohes Wachstum der Bevölkerung aufgefressen. Niger hat schlicht nicht die Ressourcen, um 80 Millionen Menschen zu ernähren. Viele werden sterben, oder auswandern. So langsam scheint auch der Politik klar zu werden, dass das Bevölkerungswachstum problematisch ist. Präsident Mahamadou Issoufou spricht sich immer deutlicher für Familienplanung aus. "Bevor der Islam kam, heirateten Frauen im Alter von 18 Jahren. Weil der Islam aber falsch interpretiert wird, bekommen junge Frauen schon mit 12 oder 13 Jahren Kinder", sagte er kürzlich dem Guardian. "Der Islam sagt aber, du sollst nur Kinder haben, wenn du sie auch gut versorgen kannst." Bis sich diese Erkenntnis in weiten Teilen der Bevölkerung durchsetzt, ist es noch ein weiter Weg. Trotz Aufklärungskampagnen benutzen nur etwa zehn Prozent der Paare im Niger Verhütungsmittel.

In Addis Abeba bekommen Frauen im Schnitt jetzt weniger als zwei Kinder

In Äthiopien ist die Zahl mittlerweile vier Mal so hoch. Das Land ist ein Beispiel, wie ein hohes Bevölkerungswachstum gesenkt werden kann. Mitte der Neunzigerjahre noch bekam jede Äthiopierin im Schnitt sieben Kinder, wie auch in Niger. Mittlerweile ist die Zahl auf vier gesunken. Was auch dazu führte, dass sich die Ernährungssituation entspannt hat, die dramatischen Hungersnöte gehören der Vergangenheit an.

Das Land hat in den vergangenen Jahren viel in Bildung investiert. Noch im Jahr 2005 konnten etwa 70 Prozent der Bevölkerung weder lesen noch schreiben, heute ist es nur noch die Hälfte. Frauen, die bis zum 18. Lebensjahr die Schule besucht haben, bekommen deutlich weniger Kinder als Mädchen, die früh aus dem Bildungssystem ausscheiden. Die Schulbesucherinnen sind beruflich erfolgreicher und selbstbewusster. In den Städten ist das Bildungsniveau höher als auf dem Land. In der Hauptstadt Addis Abeba ist die Zahl der Kinder pro Frau sogar auf unter zwei gefallen.

Die Regierung hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten zudem massiv in das Gesundheitssystem investiert. Im ganzen Land wurden 16 000 Gesundheitsstationen eingerichtet, in denen sich Frauen über Familienplanung informieren können. Mehr als 40 000 wurden zu Gesundheitshelferinnen ausgebildet, die dann wiederum weitere Freiwillige ausbilden; es ist eine ganze "Gesundheitsentwicklungsarmee" entstanden, so nennt der Staat die Helferinnen offiziell. Sie haben dazu beigetragen, das Bevölkerungswachstum innerhalb weniger Jahrzehnte um 50 Prozent zu senken, auf derzeit 2,5 Prozent.

Es ist eine Erfolgsgeschichte, die aber nicht alle afrikanischen Politiker zum Nachdenken bringt. Viele tun das Konzept der Familienplanung als zu westlich oder kolonial ab. "Diejenigen, die Familienplanung betreiben, sind faul. Sie haben Angst, dass sie ihre Familie nicht ernähren können", sagte Tansanias Präsident John Magufuli im Jahr 2018. Er habe bei Besuchen in Europa bereits gesehen, was eine alternde Bevölkerung anrichte. Seine Landsleute sollten deshalb so viele Kinder wie möglich bekommen. Der Präsident selbst hat allerdings nur zwei.

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